Deutschland streicht dank Negativzinsen eine Milliardensumme beim Schuldenmachen ein. Bei der Emission von Bundeswertpapieren zur Finanzierung des Haushalts einschließlich Sondervermögen wurden von Jänner bis August "Zahlungen in Höhe von rund 4,251 Milliarden Euro vereinnahmt". Das geht aus einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Schreiben von Finanzstaatssekretärin Sarah Ryglewski auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi von der Linkspartei hervor.
"Deutsche Staatsanleihen sind so beliebt, dass die Käufer uns Geld schenken", erklärte De Masi am Montag. Die Milliardensumme kommt durch die negativen Zinsen am Kapitalmarkt zustande. Investoren geben dem Bund bei der Schuldenaufnahme mehr Geld, als sie am Ende zurückbekommen.
Auktionen 1,72-fach überzeichnet
Die für das deutsche Schuldenmanagement verantwortliche Finanzagentur hat bis Ende August Bundeswertpapiere von mehr als 275 Milliarden Euro an Investoren zugeteilt. Die durchschnittliche Emissionsrendite betrug minus 0,55 Prozent. Dennoch waren die Auktionen 1,72-fach überzeichnet. "Der Bund hätte in den Auktionen sogar noch mehr Anleihen verkaufen können. Denn im Schnitt gab es von den Banken deutlich mehr Gebote als verkaufte Anleihen", erläuterte De Masi.
Ökonomischer Wahnsinn
Für ihn ist das ein Zeichen dafür, dass Deutschland ohne Probleme langfristig aus den Schulden herauswachsen könne. "Wenn es voreilig zurück zur Schuldenbremse geht, droht der kalte Entzug für Wirtschaft, öffentliche Investitionen und Sozialstaat", führte De Masi aus. Eine Rückkehr zur Kreditobergrenze der Schuldenbremse wäre "ökonomischer Wahnsinn". "Der Bund verdient sogar Geld mit Krediten, und wir stehen vor dem größten Umbau der Industriegeschichte durch Klimawandel und Digitalisierung", betonte De Masi.
Mehr als 480 Milliarden geliehen
Insgesamt will sich die Finanzagentur in diesem Jahr das Rekordvolumen von mehr als 480 Milliarden Euro von Investoren leihen. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz schreibt wegen der hohen Kosten im Kampf gegen die Folgen der Coronakrise tiefrote Zahlen. Der Bundestag hatte im April den Nachtragshaushalt 2021 mit einer Rekord-Neuverschuldung von 240 Milliarden Euro beschlossen. Nicht nur diese Summe muss durch neue Schulden gedeckt werden, sondern auch die Refinanzierung alter Verbindlichkeiten.
Nachfrage steigt, Rendite drückt
Der deutsche Bund steht bei Investoren hoch im Kurs, da seine Bonität von großen Ratingagenturen mit der Bestnote "AAA" bewertet wird und die Rückzahlung damit als sehr sicher gilt. Zudem gibt es einen riesigen Markt für den Handel mit diesen Papieren, weshalb Bundeswertpapiere für Pensionsfonds, Vermögensverwalter und andere Anleger nahezu Bargeld-Status genießen. Hinzu kommt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) in großem Stil als Käufer von Wertpapieren auftritt. Dadurch steigt die Nachfrage, was wiederum die Renditen drückt.
Auch österreichische Staatsanleihen sind zu einem Gutteil mit Negativzinsen belegt und werden dennoch stark nachgefragt. Bei der jüngsten Auktion wurde ein zehnjähriges Papier mit einer Emissionsrendite von minus 0,146 Prozent aufgestockt, die Anleihe war rund zweifach überzeichnet. Im vergangenen Jahr 2020 war sogar die durchschnittliche Begebungsrendite aller neu aufgenommenen Schulden in Österreich mit minus 0,32 Prozent negativ.