Die Vorschusslorbeeren für Alfred Stern fallen fast so üppig aus wie jene, die vor sechs Jahren auf Rainer Seele herabregneten. In der Öffentlichkeit ist der 56-Jährige zwar ein ähnlich unbeschriebenes Blatt, wie es Seele damals war. Aber während der scheidende OMV-Chef das Rampenlicht dann richtig liebte, dürfte Alfred Stern grundsätzlich eher die leiseren Töne anschlagen. Er gilt als extrem fokussiert, meidet Nebenschauplätze und zieht als privates Rückzugsgebiet für seine Familie mit zwei Töchtern einen kleinen Weinbauort in Niederösterreich den Wiener Nobelgegenden vor – vielleicht, weil hier einiges an die Heimat Kitzeck im Sausal erinnert, wo der Vater beliebter Gemeindearzt war.
Mit dem an der Montanuni Leoben ausgebildeten Kunststofftechniker am Steuer dürfte die tief greifende Neuausrichtung der OMV viel weniger hohe Wellen aufwerfen als Seeles Kurswechsel Richtung Petrochemie. Wirkte der vor fast zwei Jahren intern offenbar wie ein Affront, ist er heute Gebot der Stunde.
Stern selbst, der erst im April den Borealis-Chefsessel, gegen den des OMV-Vorstandes für die Chemiesparte getauscht hatte, ist in den vergangenen Monaten völlig in die OMV abgetaucht und nie aufgetreten.
„Klar Schiff machen“
Eine der spannendsten Fragen rund um seinen Jobantritt wird sein, ob er auf dem fossilen Tanker auch personell „klar Schiff machen“ wird. Denn eigentlich wollte eine ganz andere Mannschaft das Kommando übernehmen – mit an Piratenmanier anmutenden Methoden.
Während viele OMV-Insider in Seeles vorzeitigem Abgang eine der größten Intrigen an der Spitze eines ATX-Konzerns sehen und sehr klare Signale des neuen Kapitäns erwarten, rechnen andere auch mit einer gewissen wirtschaftlichen Entzauberung von Seeles expansiver Kauf- und Verkaufspolitik. Die setzte viel Geld frei, wie werthaltig sie auf Dauer ist, wird sich erst weisen.
Was inneren Zusammenhalt oder Arbeitsklima in der OMV angeht, da könnte der 56-jährige Steirer, der mit einer US-Amerikanerin verheiratet ist, allerdings in einer anderen Galaxie gelandet sein, obwohl die Headquarter von Borealis und OMV in Wien fast nur durch die Donau getrennt sind. Eine globale, stark amerikanisch geprägte Borealis-Konzernkultur, die darauf basiert, Forscher aus aller Welt möglichst für immer an sich zu binden, trifft auf eine sehr österreichische OMV, aus der sich die Politik noch nicht sehr lange und nicht unbedingt gern heraushält.
OMV-Zukunft mit Kunststoff-Kreislaufmodellen
Klar ist – ohne ambitionierte CO2-Einsparungsziele in der neuen OMV-Strategie wird der Staat mit seinem 31,5-Prozent-Anteil am Konzern in einen schweren Interessenkonflikt geraten. Stern gilt ohnedies nicht als Mann der grünen Feigenblätter. Als langjähriger Borealis-Forschungschef machten seine Teams das Petrochemie-Unternehmen zum unangefochtenen Patente-Kaiser Österreichs. Stern kann eine konkrete OMV-Zukunft mit Kunststoff-Kreislaufmodellen in Aussicht stellen und wohl auch darlegen, wie viel eigenes Gas und Öl man dafür noch wie lange unter welchen Bedingungen fördern will. Denn längst geht es nicht mehr nur um das Verbrennen von Öl und Gas, auch die Förderung selbst ist wegen der Freisetzung enormer Mengen von Methangas hoch klimaschädlich.
Theoretisch hat Stern einen Trumpf in der Hand: Die Förderung könnte abgespalten werden, was allerdings angesichts der Produktionskosten von sieben Dollar je Barrel nur Öl ins Feuer der intern schwelenden Konflikte um den Explorationsvorstand und stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Johann Pleininger gießen würde.
Die auf die OMV gerichtete öffentliche Aufmerksamkeit ist riesig. Stern, der um fünf Uhr aufsteht, um auch Sport im akkurat getakteten Arbeitstag unterzubringen, wird diesem Druck mit der ihm eigenen extremen Disziplin begegnen.