Ist die aktuelle Entwicklung hin zu (im langjährigen Vergleich) hohen Inflationsraten in Österreich, aber auch in Deutschland und den USA, aus Ihrer Sicht eine kurzfristige Erscheinung oder müssen wir uns auch längerfristig auf eine höhere Teuerung einstellen? Sind Sorgen vor einer deutlich steigenden Inflation aus Ihrer Sicht berechtigt?
Christian KEUSCHNIGG: Da mache ich mir schon ein wenig Sorgen. Die expansive Geldpolitik begünstigt zumindest einen Anstieg der Inflation. Der Anstieg der Vermögenspreise für Immobilien oder Aktien ist ja schon etwas inflationär. Eine zentrale Rolle spielen allerdings auch die Erwartungen der Haushalte und Unternehmen. Wenn angesichts der jüngsten Entwicklungen die Inflationserwartungen kippen und die Arbeitenden sich mit höheren Lohnforderungen gegen Inflation schützen wollen, dann ist die Lohn-Preis-Spirale perfekt. Dann haben wir mit der Inflation definitiv ein Problem.
Was sind derzeit die Treiber der Inflation – welche könnten auch nachhaltiger wirken?
Die zentralen Treiber sind die Geldpolitik und die Inflationserwartungen. Idealerweise beträgt sie zwischen ein und zwei Prozent. Solange alle von einer solch stabilen Entwicklung ausgehen und damit die Inflationserwartungen stabil bleiben, kann dieser Zustand auch tatsächlich Bestand haben. Manche Preise steigen stärker, andere sinken, und im Durchschnitt haben wir eine Inflation von ein bis zwei Prozent. Die Lohnforderungen der Arbeitenden und die Preissetzung der Unternehmen pendeln sich darauf ein, sodass es im Nachhinein keinen Grund gibt, davon abzuweichen.
Was ist dafür nötig?
Dazu müssen allerdings die Zentralbanken das nötige Vertrauen schaffen, in dem sie auch eine zurückhaltende Geldpolitik betreiben. In Österreich sollte man sich wieder auf die Benya-Formel besinnen, die ja auch vom berühmten Gewerkschaftsboss Anton Benya stammt. Der Nominallohnzuwachs sollen das Produktivitätswachstum und die Inflationsabgeltung nicht übersteigen. Damit ist unser Land in der Vergangenheit sehr gut gefahren.
Die Kombination aus guten Wachstumsdaten und steigender Inflation wird im Herbst zu hohen Lohnforderungen bei den KV-Runden führen, daran lässt die Gewerkschaft keine Zweifel. Womit rechnen Sie?
Die Gewerkschaften sollten ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Etwas Theaterdonner muss ja wohl sein, aber das Endergebnis wird dann eben hoffentlich die Benya-Formel sein. Dann kann nicht viel schiefgehen.
Die Preise für viele Rohstoffe sowie industrielle Vorprodukte sind zuletzt massiv nach oben geklettert. Hält das aus Ihrer Sicht an?
Die Verteuerung wichtiger Rohstoffe kann schon einen einmaligen Preisanstieg auslösen, nachher gibt es auf einem höheren Preisniveau wieder die normale Inflation, solange sich die Inflationserwartungen nicht verändern. Dies wird dann passieren, wenn die Rohstoffpreise abrupt und stark ansteigen, sodass Innovation und Produktivitätswachstum das nicht wettmachen können. Man erinnere sich an die Inflationsschübe durch Ölpreissteigerungen. Aber die Innovation hat den Verbrauch so stark reduziert, dass wir heute an dieser Front kein Problem mehr haben.
Zusätzlich sind Versorgungs- und Lieferkettenengpässe, nicht nur bei Halbleitern, ein bestimmendes Thema. Ist eine baldige Normalisierung zu erwarten?
Ich hoffe sehr auf eine baldige Normalisierung. Ich hoffe auch, dass die Industrie sich mit Lagerhaltung, Diversifizierung der Lieferketten und anderen Puffern schützt. Allerdings verursacht diese Sicherheit auch Kosten. Die internationale Handelspolitik sollte wieder kooperativer werden und nicht Protektionismus und Strafzöllen den Handel stören. So können schlagartige Preisanstiege an einzelnen Stellen der Wertschöpfungskette vermieden werden.
Steigt durch diese Inflationsentwicklung aus Ihrer Sicht der Druck auf die Notenbanken Korrekturen bei der ultralockeren Geldpolitik vorzunehmen?
Tja, wenn die Inflation mehrere Jahre auf drei bis fünf Prozent ansteigt, müssen sie ja etwas tun. Ihr zentraler Auftrag besteht doch darin, für ein stabiles Preisniveau zu sorgen. Mit einer dauerhaft ultralockeren Geldpolitik wird das nicht gehen. Ehrlich gesagt sollte die Geldpolitik in dem Versuch zur konjunkturellen Feinsteuerung deutlich zurückhaltender sein. Das funktioniert ohnehin nicht sonderlich gut. Vor allem kann sie nicht ständig den Regierungen die Verantwortung für die Konjunkturpolitik abnehmen.
Was wäre die Aufgabe der Regierungen?
Die Regierungen sollten die automatischen Stabilisatoren stärken und für eine krisenrobuste Wirtschaft sorgen, da kann man viel tun. Sie sollten auch ihre Staatsschulden im Zaum halten, damit sie nicht selber zum Krisenherd werden. Dann könnte die Geldpolitik sich wieder mehr auf Preisstabilität konzentrieren.
Hat die EZB hier überhaupt Spielraum, um gegenzusteuern?
Diesen Spielraum sollten sie sich eben wieder vorsichtig zurückholen. Wenn bei einem Ausstieg die Nominalzinsen ansteigen, wird es zu einer Börsenkorrektur kommen. Auch der Wert der Staatsanleihen wird fallen und viel Vermögen vernichten. Wenn in der Vergangenheit Staatsanleihen zu null Prozent Fixzinsen mit langer Laufzeit ausgegeben wurden, will das doch niemand mehr kaufen, wenn neu die Zinsen zwei Prozent betragen. Also müssen die Anleihepreise fallen. Das ist für alle, die Staatsanleihen halten, eine schlechte Nachricht: Banken, Pensionskassen, Privatanleger usw. Solche Vermögensverluste können auch zu einem Konjunktureinbruch beitragen. Gerade deshalb ist der Ausstieg so schwer. Aber ewig kann es nicht so weitergehen.