Dafür braucht es keine Glaskugel: Der heiße Herbst, Synonym für ritualisierte Lohnverhandlungen voller Gebärden, Drohungen und Kompromisse, wird sich wiederholen. Und doch wird es diesmal anders sein. Auf ein pandemisches Krisenjahr 2020 folgten Monate der
turbulenten Erholung. Des Preisauftriebs. Und des fehlenden Personals vielerorts.
Eine Gemengelage, die sich ein Gewerkschafter als Lohnverhandler nur erträumen kann. Von Vorfreude ist dennoch keine Spur, erstickt durch sprunghafte Teuerung und steigender Unsicherheit.
Die wiederkehrende Mahnung der Arbeitgeber zu maßvoller Steigerung der Löhne könnte mehr denn je abprallen – nicht nur am Habitus verhandlungsgestählter Funktionäre. Sondern an der Lebenswirklichkeit der Arbeitnehmer: Ihr Alltag wurde empfindlich teurer, das Schreckgespenst der Inflation zeigt sich an Zapfsäulen, bei Mieten, im Wohnbau und bald auch verstärkt beim Lebensmitteleinkauf. Auch, weil ihre Arbeitgeber steil steigende Erzeugerpreise in erheblichem Maße an Konsumenten weiterreichen.
Eine allzu kräftige Lohnerhöhung treibt die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale weiter an. Wo ist der Ausweg aus dem Dilemma? Die Zentralbank verfügt über all die Instrumente, die über den Wert unseres Geldes bestimmen.
Es liegt an ihr, die Inflation einzufangen, ehe sie davongaloppiert. Aber noch immer fehlt jegliches Signal der EZB, die stark steigende Inflation bekämpfen zu wollen. Diese Aufgabe den Arbeitnehmern aufzubürden, wäre wohl definitiv zu viel verlangt.