Stanford-Ökonom Nicholas Bloom vergleicht es mit einem „Massenexperiment“. Tatsächlich war die corona-bedingte, terminlich eingrenzbare und fast lückenlose Übersiedelung von Büropersonal in Homeoffice-Strukturen ein für die Wissenschaft gefundenes „Forschungsfressen“.
Bloom bediente sich und ging in einer Untersuchung der Frage nach, ob, wie und warum Homeoffice bleiben wird. Auf Basis von 22.500 Arbeitnehmern, die zwischen Mai und Dezember vergangenen Jahres an der Studie teilnahmen, zeichnet er ein Zukunftsbild des amerikanischen Arbeitsmarkts, das sich deutlich von Vor-Corona-Zeiten unterscheidet. Demnach werden 23 Prozent der Arbeitstage künftig im Homeoffice bestritten werden – nachdem es vor der Pandemie nur fünf, und in der Corona-Hochphase bis zu 50 Prozent waren.
Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler, Arbeitsrechtler und auch Immobilienentwickler sind sich noch unklar, ob sich diese Größenordnungen auch auf Europa übertragen lassen. Außer Frage steht aber für alle, dass die Entwicklung hin zu einer Translokation von Arbeit, die während des Lockdowns Fahrt aufgenommen hat, nicht verschwinden oder zur Gänze umkehrbar sein wird. So hat die Facebook-Zentrale angesichts der sich ausbreitenden Delta-Variante vermeldet, die Homeoffice-Regelung abermals zu verlängern. Eine Rückkehr des Büropersonals ist – wie bei Amazon – erst für Anfang 2022 geplant. Auch Microsoft und Google warten zu und holen ihre Mitarbeiter erst im Oktober wieder aus dem Homeoffice.
Mancher der großen High-Tech-Konzerne führt parallel eine Impfpflicht für seine Mitarbeiter ein – ein rechtlich heikles Feld, wie auch eine Testpflicht.
Juristisch noch pikanter ist eine Idee, mit der die Konzerne auf den wachsenden Zuspruch zum Homeoffice reagieren: So kann es künftig zu Gehaltskürzungen kommen, wenn Beschäftigte dauerhaft von zu Hause arbeiten. Bei Google soll es dafür intern einen eigenen Lohnrechner geben, der einem die erwartbaren Verluste kalkuliert. Sie orientieren sich an den Preisen des Wohnorts und der Entfernung zwischen Büro und zu Hause, da die Zeit fürs Pendeln wegfällt. Auch das wäre in Österreich ein rechtlich heikler Einschnitt, wie AK-Experte Max Turrini ausführt. Für die Beschäftigten von Facebook und Twitter in den USA, die in weniger teure Wohngegenden umgezogen sind, ist es jedenfalls bereits Realität: Sie erhalten künftig geringere Gehälter.
Druck "über die Bande"
In der Schweiz werden derartige Modelle mit anderen Vorzeichen thematisiert. Es wird nicht gekürzt, dafür könnten jene langfristig eher Prämien oder Lohnerhöhungen erhalten, die im Büro arbeiten. So wird „über die Bande“ Druck auf Mitarbeiter ausgeübt, wieder an ihre Schreibtische zurückzukehren. Es gehe dabei weniger um Kontrolle, als um bessere Kommunikation, wird versichert. „Physische Distanz ist für eine innovative, kollaborative Kultur ein Irrweg“, schimpfte beispielsweise David Solomon, Chef der Bank Goldman Sachs. Auch Amazon-Gründer Jeff Bezos präferiert eine „bürozentrierte Kultur“.
Es geht für die Unternehmen nicht zuletzt um eine betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung für ihre Büroinfrastruktur. Gerade die Tech-Giganten haben in den letzten Jahren teilweise Unsummen in spektakuläre Headquarters gesteckt. Investitionen, die ad absurdum geführt werden, wenn die Büros dann halb leer stehen, weil die Mehrheit von zu Hause aus arbeitet. Das könnte künftig auch Auswirkungen auf ganze Stadtviertel haben, wie Nicholas Bloom errechnet hat. Er geht in klassischen Büro-Innenstädten von fünf bis zehn Prozent weniger Personal aus. Bezüglich der Hybridvariante Büro/Homeoffice schlägt er fixe Tage statt freier Einteilung vor: Montag, Mittwoch, Freitag im Büro – das verhindere „künstliche“ Wochenendverlängerungen.
Klaus Höfler