"Ich bin nicht bereit für so ein Ende", ließ Lionel Messi unter Tränen wissen. "Der Klub steht über dem Vorstand, den Spielern und sogar über dem besten Spieler der Welt", sagte Joan Laporta stoisch. Gedacht keinesfalls als Entgegnung auf den kleinen großen Fußballer, sondern eher als nüchterne Ergänzung. Was beide Sätze eint? Sie beschreiben das Trauerspiel rund um den FC Barcelona – das eine sportliche und eine wirtschaftliche Facette kennt.
Messi, das war Barca. 21 Jahre beim Verein, 35 gemeinsame Titel, darunter viermal die Champions League. 672 Tore. 672! Laporta, das ist Barca. Im März als Präsident des FC Barcelona zurückgekehrt und bedacht mit einem "miserablen Erbe", wie er mit Blick auf die finanzielle Gebarung des Weltvereins mit seinen mehr als 140.000 Mitgliedern nicht müde wird zu betonen.
Tatsächlich steht der stolze FC vor gigantischen Herausforderungen und einem Schuldenstand von in Summe 1,2 Milliarden Euro. Dazu beigetragen hatten nicht zuletzt jene 960 Millionen Euro, die Barca in den letzten drei Jahren, vielfach kreditfinanziert, am Transfermarkt für Antoine Griezmann, Philippe Coutinho & Co. ausgab.
Weil noch dazu ein Großteil der Barcelona-Schulden kurzfristig, also binnen zwölf Monaten, zu bezahlen ist, musste der Klub erst im Juni auf Geld der US-Investmentbank Goldman Sachs zurückgreifen. Die eingesammelten 525 Millionen (Kredit-Laufzeit: 15 Jahre; 3 Prozent Zinsen) werden genutzt, um einerseits kurzfristige Kredite zurückzuzahlen und andererseits die Laufzeiten von Darlehen auszudehnen. Eine Kehrseite der Umstrukturierung: die Zinslast erhöht sich. Zahlte Barcelona 2018 noch weniger als eine Million Euro an Zinsen, muss man mittlerweile laut Daten des für gewöhnlich sehr gut informierten Schweizer Fußballbloggers "SwissRamble" im Jahr 26 Millionen Euro dafür aufwenden. Europarekord für einen Fußballklub.
So weit, so schlecht, möchte man meinen. Jetzt ist aber der Hauptgrund für die Trennung von Barca und Messi ein anderer. Ursache ist eine seit 2013 etablierte Gehaltsobergrenze, die die spanische Liga vorgibt. Diese orientiert sich federführend an den jeweiligen Umsätzen, also dem Einkommen, der Vereine. La Liga agiert dabei noch viel vehementer als die UEFA, die ebenfalls eine Form des "Financial Fairplay" etablierte. Während aber die UEFA-Regelung rückwärtsgewandt ist, greift die spanische Liga schon ein, bevor Geld überhaupt erst ausgegeben werden kann. La Liga will durch die Regulierung verhindern, dass Geld ausgegeben wird, das die Vereine nicht haben. Halten sich die Vereine nicht an die Spielregeln, kann die Liga unter anderem die Anmeldung von neuen Spielern verhindern.
Bei Barca jedenfalls griff La Liga massiv ein. Lag die Obergrenze für die Saison 2019/20 noch bei 671 Millionen Euro, waren es für die Folgesaison nur mehr 347 Millionen Euro. Für 2021/22 soll es noch einmal zu einer Senkung kommen, spanische Medien kolportierten zuletzt gar eine Summe von 160 Millionen Euro. Die Senkung hängt freilich mit den durch die Covid-Krise stark getroffenen Umsätzen der Vereine zusammen. Diese nehmen an den Spieltagen weniger ein (18 Prozent der gewöhnlichen Umsätze lukriert Barca damit), bekommen weniger TV-Geld (35 Prozent) und verkauften schlussendlich auch weniger Fanartikel (47 Prozent). Barca etwa soll die Krise in Summe mehr als 400 Millionen Euro kosten.
Barca-Gehälter liegen an der Spitze
Das drastische Absenken der Gehalts-Grenze ist für den Klub eine zusätzliche Katastrophe. Immerhin zahlt der katalanische Vorzeigeklub seinen Spielern so viel, wie kein anderer Verein auf dieser Welt. Für die Saison 2019/20 fielen Gehaltszahlungen von 443 Millionen Euro an. Zum Vergleich: Manchester City zahlt 401 Millionen Euro, Atletico Madrid entlohnt im Vergleich mit nahezu läppischen 227 Millionen Euro. Die Dimensionen lassen bereits erahnen, wie hart Barca jetzt in das Gehaltsgefüge eingreifen muss.
Teilweise passierte das auch bereits. Spieler wie Gerard Piqué, Marc-André ter Stegen, Frenkie de Jong oder Clement Lenglet akzeptierten teils deutliche Einbußen, dazu sucht man für andere finanzielle "Schwergewichte" wie Miralem Pjanic, Ousmane Dembele oder Samuel Umtiti neue Vereine.
Die romantische Erzählung, wonach Messi – 2017 bis 2021 soll der Argentinier bei Barcelona 555 Millionen Euro verdient haben – künftig völlig auf Gehalt seines Herzensvereins verzichten würde, hatte indes kaum Substanz. Manch ein spanischer Experte verwies rasch auf einen Passus im spanischen Arbeitsrecht, wonach ein neues Salär nicht weniger als 50 Prozent des vorherigen ausmachen dürfte. Andere zitierten wiederum einfach Laporta, den Präsidenten. Recht unverblümt erklärte dieser, dass die Gehälter bei Barca selbst ohne Messi immer noch 95 Prozent des Einkommens auffressen würden. Einen Wert von 70 Prozent fordert La Liga, mit dem Argentinier wäre man bei 110 Prozent gewesen. Es gab also schlichtweg keinen Spielraum mehr.
Pangl: Pandemie zeigt nur bestehende Schwächen auf
Von einer "Gratwanderung", auf der sich große Klubs wie Barcelona seit geraumer Zeit befinden, spricht indes Georg Pangl. Der einstige Vorstand der österreichischen Bundesliga und Generalsekretär der European Leagues hat sich mit der Pangl Football Group selbstständig gemacht und erstellt unter anderem Transfer-Finanzierungspläne von Klubs unterschiedlichster Größe.
Ja, die Pandemie habe die Vereine belastet, erzählt Pangl. Aber sie habe in Wahrheit "nur Löcher aufgezeigt, die es bereits gegeben hat". Tatsächlich sei das Financial Fairplay der UEFA diesbezüglich in der Vergangenheit ein wenig lax gewesen. "Größtes Manko" war tatsächlich, dass man mit potenziellen Sanktionen immer "nachgelaufen sei".
La-Liga-Boss Javier Tebas, Pangl kennt ihn von vielen Treffen als "Mann der Umsetzung", fahre nun eine "sehr klare Linie", die durchwegs "hart zu sich selbst, also zu La Liga" sein kann.
Widerstand gegen La-Liga-Chef Tebas
Gegen den Kurs des Liga-Chefs kündigt sich indes zunehmend auch Widerstand der großen Vereine an. Vor allem ein milliardenschwerer Deal der Liga selbst sorgt für Unmut. Diese will dem Finanzdienstleister CVC zehn Prozent der Anteile übertragen und dafür 2,7 Milliarden Euro kassieren.
90 Prozent des Geldes sollen an die Vereine gehen, so das La-Liga-Versprechen. Die Klubs aber, konkret vor allem Barca und Real, stoßen sich aber daran. So soll der Vertrag unter anderem vorsehen, dass La Liga künftig elf Prozent der Erlöse mit audiovisuellen Rechten an den Investor abgibt. Auf eine Laufzeit von 50 Jahren. Barca nannte das "unangemessen", Real schrieb gar von einer "betrügerischen Struktur".
Auch deswegen ziehen die Madrilenen jetzt vor Gericht. Man werde sowohl gegen Liga-Boss Javier Tebas als auch gegen das Unternehmen mit Sitz in Luxemburg und dessen für Spanien zuständigen Managing Partner zivil- und strafrechtliche Schritte einleiten, teilte der Verein am Dienstag mit.