Im Vatikan steht einer der größten Strafprozesse seiner Geschichte an: Ab kommendem Dienstag (27. Juli) wird geklärt, wer für den Finanzskandal im Staatssekretariat verantwortlich ist. Erstmals muss sich dabei ein Kardinal der römisch-katholischen Kirche vor dem vatikanischen Strafgericht verantworten. Insgesamt stehen neun Männer und eine Frau aus Kirchen- und Laienämtern vor Gericht.
Hintergrund des Prozesses ist ein missglückter Immobiliendeal im Londoner Stadtteil Chelsea, der in den Jahren 2018 und 2019 über die Bühne ging und für große Schlagzeilen sorgte. Das Geschäft hatte dem Vatikan als Staat damals hohe Verluste beschert. Auch aus dem Peterspfennig, der einmal jährlich weltweit gesammelten Kollekte für den Vatikan, soll für das Geschäft Geld entnommen worden sein. Die Anklagen lauten unter anderem auf Veruntreuung, Korruption, Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung.
Reformen nach Skandal
Mehrere Behörden Italiens und des Vatikan haben seit Juli 2019 in der Sache ermittelt. Dabei erstreckten sich die Untersuchungen international bis in die Vereinigten Arabischen Emirate, Großbritannien, die Kanalinsel Jersey, Luxemburg, Slowenien und die Schweiz. Das Vorgehen folgte den Reformen zur Transparenz in den vatikanischen Finanzen, die von Papst Franziskus seit Beginn seines Pontifikats 2013 begonnen wurden.
Prominentester Angeklagter ist Kardinal Angelo Becciu. Der 73-Jährige musste im vergangenen September von seinem einflussreichen Posten als Vorsitzender der Abteilung für Seligsprechungen im Vatikan zurücktreten. Franziskus hatte ihn wegen des Verdachts entlassen, Geld aus Wohltätigkeitsfonds für Verwandte abgezweigt zu haben. Becciu wird in diesem Zusammenhang Veruntreuung, Machtmissbrauch und Zeugenbeeinflussung vorgeworfen. Der Kardinal hat wiederholt seine Unschuld beteuert. Als langjähriger Substitut (2011-18) im Staatssekretariat, das sowohl für die diplomatischen Beziehungen des Heiligen Stuhls zu anderen Staaten und die Politik des Heiligen Stuhls an sich zuständig ist, soll er bei den Finanzaktionen der mächtigen Behörde die Fäden gezogen oder wenigstens Grünes Licht gegeben haben.
Machtmissbrauch und Luxusgüter
Zu den weiteren Angeklagten zählt der ehemalige Leiter der vatikanischen Finanzinformationsbehörde (AIF), der Schweizer René Brülhart. Ihm und dem Investmentfondsmanager Enrico Crasso wird ebenfalls Machtmissbrauch vorgeworfen. Auch der ehemalige AIF-Direktor Tommaso Di Ruzza muss sich dem Gericht im Vatikan stellen. Einzige angeklagte Frau ist Cecilia Marogna, Vertraute von Kardinal Becciu. 2015 erhielt sie von Becciu Hunderttausende Euro - angeblich für Wohltätigkeitszwecke. Allerdings gab Marogna einen Großteil des Geldes für private Luxusgüter aus.
Vorgeladen ist auch Investmentbanker Gianluigi Torzi, gegen den die italienischen Behörden bereits im April einen Haftbefehl erlassen hatten. Die Justiz wirft ihm Geldwäsche und das Ausstellen von Rechnungen für fiktive Finanzgeschäfte vor. Bei dem Immobiliendeal in London soll der Italiener einen illegalen Gewinn von 15 Millionen Euro gemacht haben. Ein Teil davon soll in den Kauf von Aktien geflossen sein.
Das vatikanische Gericht wird beim Verfahren prominente Zeugen vorladen. Zu ihnen könnte auch der vatikanische Staatssekretär Kardinal Pietro Parolin zählen. Er sei jederzeit zu einer Aussage im Prozess bereit, sagte Parolin.