Als im Frühjahr aus Wolfsburger Kreisen durchgesickert war, dass Hans Dieter Pötsch als Vorsitzender des Aufsichtsrats des deutschen Auto-Giganten in die Verlängerung gehen würde, hielt sich das Erstaunen in Grenzen. Kenner des Konzerns hatten nur eine Antwort darauf: ,,Wer, außer Pötsch, soll es machen?“
So wird der hochgewachsene Österreicher heute auf der virtuellen Hauptversammlung der Volkswagen AG vom Nominierungsausschuss des Aufsichtsrates für eine Verlängerung des Mandats vorgeschlagen – und man kann davon ausgehen, dass Pötsch dabei für fünf weitere Jahre als oberster Chef des Kontrollgremiums bestätigt wird.
Formal steht die Kür außer Frage. Zu souverän hat der 70-jährige gebürtige Trauner Deutschlands wichtigstes Unternehmen durch die Turbulenzen der letzten fünf Jahre manövriert. Als langjähriger Finanzvorstand von Volkswagen kennt er das 12-Marken-Imperium mit seinen 670.000 Mitarbeitern wie seine Westentasche, er versteht das System VW und kann den Pulsschlag und Sound der Autostadt deuten wie kein anderer.
Einziger überlebender Topmanager des Skandals
Und vor allem genießt Pötsch das Vertrauen der bestimmenden Kräfte in Wolfsburg. Der mächtige Betriebsrat respektiert und schätzt den gewieften Strategen und gut vernetzten Finanzmarktexperten ebenso wie das Land Niedersachsen. Wesentlich aber: Pötsch hat den uneingeschränkten Rückhalt der Eigentümerfamilie Porsche/Piëch, die 53 Prozent der Stimmrechte an Volkswagen hält und ohne deren Zustimmung in Wolfsburg gar nichts geht.
Die zweite Karriere von Hans Dieter Pötsch, der bei Volkswagen schon 1992 unter Bernd Pischetsrieder an Bord kam, ist umso erstaunlicher, als der Oberaufseher dem alten System zugeordnet wurde und tatsächlich der einzige überlebende Topmanager des Dieselskandals ist. Vor allem die deutschen Medien hatten Pötsch lange im Visier. Man wollte nicht so recht glauben, dass ausgerechnet der oberste Finanzer und die rechte Hand von Martin Winterkorn keine Wahrnehmung von den betrügerischen Vorgängen hatte, und stellte seine Rolle als Aufräumer infrage.
Leisen Widerstand gab es auch gegen seinen 15 Millionen Euro schweren Ausgleich, den er bei seinem Wechsel in den Aufsichtsrat als Verzicht für zwei Jahre Vorstandsgehalt kassierte. Sein Mandat als Vorstandsvorsitzender der Familienholding Porsche SE, das viele für unvereinbar hielten, stand ebenso in der Kritik. Und nicht zuletzt sorgte da die Anklage wegen vorsätzlicher Marktmanipulation für Brisanz: Pötsch wurde vorgeworfen, als damaliger Finanzvorstand den Kapitalmarkt zu spät über die drohenden Kosten informiert zu haben. Das Verfahren wurde erst im Sommer 2020 eingestellt.
Integrationsfigur und heimlicher Herrscher
All das perlte von Pötsch ab. Vielmehr überzeugte der Österreicher, der nach dem Sturz von Ferdinand Piëch Ende 2015 von den Gremien als dessen Nachfolger aus dem Hut gezaubert wurde, die Kritiker durch eine besonnene und kompetente Amtsführung. Bei Volkswagen von allen Seiten für seine Erfahrung, seine Handschlagqualität und den Pragmatismus geschätzt, entwickelte sich Pötsch zu einem Moderator der Macht, der die unterschiedlichen Kräfte und Interessen der Großaktionäre, des Managements und des Betriebsrats ausbalanciert. In der multipolaren Wolfsburger Welt wird Pötsch als Integrationsfigur und heimlicher Herrscher gesehen, der aber gerne im Hintergrund bleibt und auch seine Grenzen kennt.
Pötsch ist bei Volkswagen der Mann für alle Fälle, der Flächenbrände löscht und Konflikte löst. Immer dann, wenn es irgendwo im weltgrößten Autokonzern kracht, die Funken sprühen oder Verhandlungen stocken, läutet das Telefon im Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden. Vor allem der kantige Vorstandschef Herbert Diess bot ihm öfters die Gelegenheit, seine Qualitäten als Mediator und Vermittler unter Beweis zu stellen. „Metternich vom Mittelkanal“, adelte ihn einmal ein deutsches Magazin für sein diplomatisches Geschick.
Ferienhaus am Packer Stausee
In Wolfsburg hat Pötsch auch abseits der Vorstandsetagen hohes Ansehen. Obwohl um Distanz bemüht – im Konzern pflegt er mit niemanden das Du-Wort – ist der immer korrekt gekleidete Fußball-Fan, der zwischendurch auch Aufsichtsratschef von VfL Wolfsburg war, stets ein höflicher Gesprächspartner, der gut zuhören kann. Mit seiner Frau, einer gebürtigen Köflacherin, lebt Pötsch seit vielen Jahren in Wolfsburg. In sein Büro geht er täglich. So wird es auch in den nächsten fünf Jahren sein, die kaum weniger anspruchsvoll sein sollten als die vergangenen, weil sich im Zuge der Transformation die Frequenz der Entscheidungen eher erhöhen dürfte.
In die Heimat zieht es Pötsch dennoch regelmäßig. Beruflich wegen seines Mandats als Aufsichtsratschef der Porsche Holding Salzburg, außerdem ist er seit 2019 Präsident der Deutschen Handelskammer in Österreich. Privater Lebensmittelpunkt wird Wien erst in der Zeit nach VW, die Steiermark, wo er am Packer Stausee ein Ferienhaus besitzt, bleibt bevorzugtes Urlaubsrefugium der Familie.
Gerhard Nöhrer