Ein begriffliches „Offensivspektakel“ – so kurz nach der Fußball-EM sei die Entlehnung erlaubt – sieht anders aus. Und trotzdem ging die Europäische Zentralbank (EZB) heute, Mittwoch, rhetorisch einen bedeutenden Schritt nach vorne. Oder, wie es EZB-Chefin Christine Lagarde formulierte: „All dies hat uns zu der Entscheidung geführt, einen Gang hochzuschalten und das Digital-Euro-Projekt zu starten.“
Mit „all dies“ meint Lagarde die Arbeit jener vergangenen neun Monate, in denen die EZB gemeinsam mit nationalen Euro-Notenbanken auslotete, wie ein „digitaler Euro“ aussehen könnte. Und wann es sinnvoll sei, diesen von der Leine zu lassen. Der nunmehr gefasste Entschluss des EZB-Rats: Das Projekt „digitaler Euro“ – den Begriff hat die EZB geschützt – startet offiziell. Und zwar mit einer zwei Jahre lang andauernden Untersuchungsphase. Danach, lässt EZB-Direktor Fabio Panetta wissen, soll mit der konkreten Entwicklung eines digitalen Euros begonnen werden, die „rund drei Jahre dauern“ könnte. Womit die Europäer bereits in fünf Jahren digitale Euros in ihren – dann digitalen – Geldbörsen haben könnten.
Was aber steckt hinter dieser wegweisenden Entscheidung?
DIGITALE WÄHRUNG. Immer mehr Menschen begleichen ihre Rechnungen heute ohne Bargeld. In China etwa wurden 2019 nur mehr 40 Prozent der Geschäfte mit physischer Währung abgewickelt, in Schweden waren es 20 Prozent und in Südkorea gar nur mehr 14 Prozent. Die Notenbanken folgen diesem Trend und tüfteln an digitalen Währungen. Egal ob in China, den USA oder in Europa. Wie zurzeit bei Bargeld soll auch der digitale Euro "echtes" Zentralbank-Geld sein. Also ein ausfallsicheres Zahlungsmittel, da die EZB im Gegensatz zu Unternehmen und sogar Staaten nicht pleitegehen kann.
FEINDBILD KRYPTOCOIN. Dass die EZB ihr Bemühen um einen Digitaleuro intensiviert, hat freilich auch mit den immer gefragteren Kryptocoins wie Bitcoin oder Ethereum zu tun. Die EZB – und andere Notenbanken – sehen in den dezentral organisierten Coins, die da und dort bereits als Zahlungsmittel eingesetzt werden, gefährliche Spekulationsobjekte. Deswegen wird die Einführung des digitalen Euros gerne mit dem einhergehenden Schutz der Verbraucher argumentiert. Zugleich ist derlei digitale Währung freilich auch ein Schutz der Notenbanken selbst. Auf Bitcoin & Co. haben diese nämlich kaum Einflussmöglichkeiten.
DIE TECHNOLOGIE DAHINTER. Technologisch könnte die EZB mit der „Blockchain“ auf eine Lösung setzen, die ausgerechnet mit dem Bitcoin groß und bekannt wurde. Zuletzt hieß es aber, dass die Zentralbank das bereits bestehende italienische Echtzeitüberweisungssystem „TIPS“ bevorzuge. In der jetzt verlautbarten Stellungnahme werden beide Technologien als passend beschrieben.
DAS LIMIT. Offiziell sagt die EZB vorerst nichts zu einer „Obergrenze“ für die digitalen App-Geldbörsen, sogenannte „Wallets“. Inoffiziell ist zu vernehmen, dass die Grenze wohl bei 3000 oder 4000 Euro liegen könnte. Dass es überhaupt eine Begrenzung geben wird, hat mit der Sorge zu tun, dass die Europäer mit einem Schlag sämtliches Geld von den Girokonten der Geschäftsbanken in die „Wallets“ verfrachten könnten.
DIE BARGELDFRAGE. Über der Einführung eines Digitaleuros thront natürlich die Frage, ob man damit nicht eine Abschaffung des Bargelds beschleunigen würde. Um derlei Befürchtungen zu zerstreuen, wird seitens der EZB gebetsmühlenartig von einer „Ergänzung zum Bargeld“ gesprochen. Themen rund um die Zukunft des Bargelds sind aber insbesondere in Österreich und Deutschland hochsensibel, wie hierzulande ein Volksbegehren zeigt, das bereits in der Unterstützungsphase regen Zulauf erfahren hat.
>> Blogpost von EZB-Direktor Fabio Panetta <<
Am kommenden Dienstag dürften jene mahnenden Stimmen, die zumindest vor einer schleichenden Abkehr des Bargelds warnen, überdies neue Nahrung erhalten. Denn dann will die EU-Kommission umfassende Pläne zur Geldwäsche-Bekämpfung präsentieren. Einer der Vorschläge: Ein einheitliches EU-weites Limit für Bargeldzahlungen von 10.000 Euro. 18 von 27 EU-Ländern haben bereits derartige Obergrenzen für Barzahlungen oder planen sie.
Österreich zählt nicht dazu und will das auch nicht akzeptieren, wie Finanzminister Gernot Blümel wiederholt betont hat. Man werde „keine schleichende Abschaffung des Bargeldes akzeptieren“. Blümel lädt am Donnerstag – gemeinsam mit Markt- und Meinungsforscher Peter Hajek – zu einem Medientermin. Thema: „Aktuelles zum Bargeld“.