Aus strategischer Sicht ordnet Post-Chef Georg Pölzldie Übernahme des fast kompletten ING-Geschäfts in Österreich als ähnlich wichtigen Meilenstein ein wie die Übernahme der türkischen Tochter Aras oder des österreichischen Paketgeschäfts von DHL. "Wir bringen unsere unterschiedlichen Geschäfte mit anorganischem Wachstum, also Zukäufen weiter und bauen rund um unser Kerngeschäft neue Geschäfte auf," erklärt Pölzl den Hintergrund des am späten Montagabend fixierten Deals.
Die Bank99, die zu 80 Prozent der Post und zu 20 Prozent der Grawe gehört, bekommt dadurch den Wachstumsschub, den sie für das Erreichen der Gewinnschwelle in zwei bis drei Jahren braucht. Der Start der Bank im April des Vorjahres war ausgerechnet in den ersten Corona-Lockdown gefallen. Nach wie vor sorgt die Pandemie für unter den Erwartungen liegende Einkünfte etwa bei den hunderten aufgestellten Bankomaten, die im Moment kaum von Touristen frequentiert werden.
100 Millionen Euro nimmt die Post für den aus Pölzls Sicht extrem wichtigen Wachstumsschritt in die Hand. Das ist kein Kaufpreis, sondern die finanzielle Ausstattung, um das ING-Geschäft und die Bank99 zusammenzuführen. Die Post will dabei insofern von den ING-Strukturen profitieren, "dass die ING das modernste Online-Banking Österreichs hat," so Pölzl. Wie viele der rund 150.000 Kunden bei der Stange bleiben, ist freilich noch unklar. Denn bevor die Post etwa neue Services ankündigt oder anbietet, die sie bei der Bank99 schon hat, werden noch einige Monate ins Land gehen, weil erst die Aufsichtsbehörden grünes Licht geben müssen.
Mindestens 270 Mitarbeiter werden übernommen
Die Bank99 wird praktisch die komplette Infrastruktur und mindestens 270 der etwa 300 Mitarbeiter in der Wiener ING-Zentrale unweit des Praters übernehmen. Die ING spart sich im Gegenzug die Kosten für eine Auflösung ihrer Aktivitäten in Österreich. Sie behält nur das Firmenkundengeschäft mit etwa 50 Unternehmen und die damit verbundenen Mitarbeiter, das sind rund zwei Dutzend, wie die ING-Sprecherin Veronika Gruber erklärt. Für den niederländischen ING-Konzern, beziehungsweise die deutsche ING-Bank, der Wien zugeordnet ist, hatte sich das Geschäft mit Gratis-Sparkonten angesichts der Nullzinsen als nicht profitabel erwiesen. Alle Sparer, die nicht gleichzeitig ein Depot für Fonds oder Aktien oder einen Kredit hatten, waren in den vergangenen Wochen gekündigt worden. Sie bekamen ihr Geld auf ihre Hauptkonten zurück überwiesen. Alle ING-Kunden mit aufrechten Konten werden von der Bank99 mit sämtlichen Pflichten unter den aktuellen Geschäftsbedingungen übernommen, immer vorausgesetzt, die Behörden legen kein Veto ein, was aber als unwahrscheinlich gilt.
"Wollen das Beste aus beiden Welten zusammenführen"
Die Zukunftspläne für die künftig viel größere Bank99 - aktuell hat sie selbst rund 90.000 Kunden - erklärt Pölzl in einem einfachen Satz: "Wir wollen das Beste aus beiden Welten zusammenführen." Bei der Bank99 ist das vor allem auch das eng geknüpfte Filialnetz mit Poststellen und Postpartnern sowie den Selbstbedienungsstationen. Die physische Präsenz soll vor allem beim Kreditgeschäft, das gerade stärker ausgebaut wird, ein Vorteil sein, erwartet Pölzl. Klassischen Sparern sollen fondsgebundene Sparpläne schmackhaft gemacht werden. Ob die ING Frankfurt auch ein möglicher Partner für bestimmte Bankprodukte ist, wie etwa Kredite, wollte Pölzl noch nicht sagen. Dafür sei es noch zu früh. Pölzl: "Nach monatelangen Verhandlungen ungeachtet von Wochenenden und Feiertagen sind wir jetzt erst einmal extrem froh, dass die Unterschrift gelungen ist."
Claudia Haase