Die europäische Jugend sei „von Institutionen frustriert“, warnt der Präsident der europäischen Wirtschaftskammern (Eurochambres), Christoph Leitl. Aber das könne er gut verstehen: „Denn das europäische Parlament ist eine Seniorenveranstaltung.“ Das Durchschnittsalter der Mandatare liege um 14 Jahre höher als im Bevölkerungsschnitt, nicht einmal jeder Zehnte sei jünger als 40 Jahre. „Daher ist das Parlament nicht repräsentativ“, so die Kritik des früheren Chefs der heimischen Wirtschaftskammer.

Leitl, der in Neumarkt das europäische Jugendforum initiiert hat, fordert jetzt Gegenmaßnahmen. Konkret solle es künftig einen ständigen „Jugendausschuss“ in Brüssel geben, der ähnlich wie der „Ausschuss der Regionen“ das EU-Parlament berät. „Ich denke an ein Jugendparlament, das diesen Namen auch verdient.“

Nicht nur ignorieren

Eine der Aufgaben könne es sein, jene Ideen, die derzeit in der „Konferenz zur Zukunft Europas“ diskutiert werden, langfristig weiterzuverfolgen. Denn so lange die Anliegen der Jugend nur „liebevoll ignoriert“ würden, dürfe man sich nicht wundern, wenn junge Menschen ein europapolitisches Engagement nicht für sinnvoll halten.

Wer wird entsandt?

Wer auf welche Weise in so ein Gremium entsandt wird, solle die Jugend selber festlegen. Die Arbeitsweise könne überwiegend virtuell laufen, dazwischen seien aber Präsenz-Sitzungen empfehlenswert. Leitl erhofft sich höhere Bedeutung für Zukunftsfragen wie den Klimaschutz, aber auch eine bessere politische Verankerung junger Menschen: „Dann kommt es nicht zu Erscheinungen wie ‘Fridays für Future’, was ja nichts anderes ist als ein Verzweiflungsakt.“

Auch zum Thema Arbeitsmarkt wartet Leitl mit Ideen auf - wobei er aber ausdrücklich betont, sich nicht in die Innenpolitik einzumischen, sondern nur „für die europäische Ebene“ zu sprechen. Es sei jedenfalls alarmierend, dass es sehr viele Arbeitslose, aber auch zunehmend offene Stellen gebe, die längerfristig nicht besetzt werden können. Abhilfe verspricht er sich vom dänischen Modell: Dort erhalten Arbeitslose anfangs als Arbeitslosengeld fast ihr gesamtes früheres Einkommen ersetzt, die Ersatzrate geht aber bei jeder erfolglosen Job-Vermittlung deutlich zurück. Das versteht Leitl als Anreiz, Arbeit anzunehmen. „Denn es stimmt ja etwas nicht mit unserem Anreizsystem, wenn Wirtshäuser schließen müssen, weil sie fürs Wochenende kein Personal finden.“

Feuerwehr und Besuchsdienst

Was sich der „Eurochambres“-Chef außerdem vorstellen kann: „Gutwillige Arbeitsssuchende mit Vermittlungshindernissen sollen für einen europäischen Sozial- und Umweltdienst gewonnen werden.“ Als Beispiel nennt er Tätigkeiten bei der Feuerwehr, Rotkreuzhelfer oder Besuchsdienste für alte Menschen im Krankenhaus. Es gehe um „gesellschaftlich wertvollen Dienst“, der den Betroffenen vor allem Anerkennung bringe.

Die ÖVP und die Chats

Zur Lage der ÖVP und von Bundeskanzler Sebastian Kurz - Stichwort Chat-Affäre - nimmt Leitl nur zurückhaltend Stellung. „Wer ohne Fehl’ und Tadel ist, der werfe den ersten Stein“, sagt er zu den Handy-Nachrichten. Europaweit müsse man aufpassen, „dass wir die politische Tätigkeit nicht zu sehr in die Gerichte hineinbringen“.

Gebe es Vorwürfe, müssten die viel rascher einer vorläufigen Abklärung zugeführt werden, damit Betroffene nicht endlos damit belastet würden. Leitl regt an, das Instrument der „Einstweiligen Verfügung“, das es im Zivilrecht gibt, auch bei Strafrechtsthemen anzuwenden.