Österreichweit haben Unwetter in den vergangenen Wochen etliche Hektar Anbaufläche vernichtet. Wie stark treffen solche Wetterkapriolen die RWA und das Lagerhaus?
REINHARD WOLF: Ich komme ja aus dem Weinviertel, wo es enorme Unwetter-Schäden gibt. Bei meinem Elternhaus ist das Dach kaputt, ebenso bei den Maschinenhallen meines Bruders, bei meinem Neffen sind 20 Hektar Erdäpfel dem Boden gleich gemacht. Und es gibt noch immer genügend Leute, denen das nicht zu denken gibt. Niemand bekommt früher mit, was passiert, als die Landwirte. Das sind die wirklichen Seismografen des Klimas, weil sie mit dem Wetter produzieren.
Wie wirkt sich das auf das Geschäft der RWA aus?
Ganz massiv, und zwar in dreierlei Richtung. Einmal sind es unsere Kundinnen und Kunden, die vom Wetter betroffen sind und deren Einkommen und Kaufkraft vom Wetter abhängig sind. Zweitens bringt schlechtes Wetter uns schlechte Mengen und das bedeutet wenig Auslastung in unseren Silos. Und drittens sind die Agrarmärkte zu richtigen Wettermärkten geworden. Die Frage, wie wird die Ernte in Rumänien, beeinflusst ganz massiv unsere Preise hier. Daher ist das Wetter auch für die gesamte Preisbildung extrem wichtig.
Bei den Preisen gab es in den vergangenen Monaten vor allem bei Mais und Soja einen starken Anstieg. Warum?
Man darf Soja und Mais hier nicht ganz gleichsetzen. Bei Mais ist es tatsächlich so, dass wir weltweit eine sehr gute Nachfrage haben. Da gibt es eine Kennziffer, die Stock-to-Use-Ratio. Wie viel von einem Jahresverbrauch liegt weltweit auf Lager. Liegt diese Quote unter 25 Prozent, ist das Erfahrungsgemäß ein Zeichen für einen Preisauftrieb. Beim Mais sind wir derzeit unter 20 Prozent. Die Gründe: Wir hatten eine extrem starke Nachfrage aus China und wir hatten zum Teil im vergangenem Jahr schlechte Ernten in Rumänien und in Frankreich. Dazu kommt: Die Nachfrage nach Mais steigt auch in der Industrie - für die Ethanol- und Stärke-Herstellung. Obendrein sind in den Maismärkten derzeit sehr viele Finanzspekulanten aktiv.
Was sind die Gründe beim Soja?
Beim Soja hat es sehr viel damit zu tun, dass China sehr viel gekauft hat. Die haben den Markt echt leer gesaugt. Und beim Soja-Markt muss man zwischen GMO (gentechnisch verändert, Anm.) und Non-GMO (genfrei) unterscheiden. Und es ist vor allem das Non-GMO-Soja nach oben gegangen. Das ist auch ein bisschen eine Frage von Angebot und Nachfrage. Bei Non-GMO-Soja gibt es eine starke Nachfrage. Früher war das ja nur ein österreichisches Thema, heute ist es ein europäisches. Aber Soja-Preise gehen bereits wieder nach unten.
Es gibt Bestrebungen, in Österreich die Schweinefütterung auf Non-GMO umzustellen - aus lokaler Erzeugung. Gibt es überhaupt genug genfreies Soja aus Europa?
Ich bin schon sehr lange in dem Geschäft. Und das Thema Schließen der europäischen Eiweiß-Lücke kenne ich seit beinahe 40 Jahren. Wir produzieren in Europa zu wenig Eiweiß-Futtermittel. Das ist ein Faktum. Es hat sich viel getan in der jüngsten Zeit, es ist vieles dazugekommen, aber das reicht noch lange nicht aus. Das Umstellen der Schweinefütterung auf Non-GMO geht daher sicher nicht von heute auf morgen. Mittelfristig ist sicher einiges möglich. Aber welche Auswirkungen hat das auf die Produktionskosten? Die würden deutlich steigen. Wie wettbewerbsfähig ist dann noch die österreichische Landwirtschaft? Im Supermarkt werden die Menschen auch weiterhin zum österreichisches Fleisch mit AMA-Gütesiegel greifen. Dort wird aber nur ein Teil des Fleisches verkauft. Ein großer Teil geht in die Gastronomie oder zu Verarbeitungsbetrieben. Was haben wir davon, wenn wir uns in Österreich Produktionsauflagen verschreiben, die uns nicht mehr wettbewerbsfähig machen.
Wie würde sich die Umstellung auf Non-GMO-Soja für Schweine auf die Preise für Verbraucher auswirken?
Es wird teurer, ganz klar. Der Landwirt, die Landwirtin, kann diese Mehrkosten nicht schlucken. Und wer die Herkunft nicht deklarieren muss, wird natürlich zu billigen Importprodukten greifen - Kantinen, Wursthersteller, wer auch immer. Der Markt folgt immer dem Preis. Und wenn man dem österreichischen Wursthersteller die Verarbeitung von Billigfleisch verbietet, dann wird die Wurst auch nicht mehr in Österreich produziert. Das muss man schon von Anfang bis zum Ende denken. Solche Maßnahmen allein und isoliert in Österreich zu machen, hat ein gewisses Risiko.
Bei der Preisfrage scheiden sich die Geister. Die Bauern kritisieren regelmäßig Aktionen in den Supermärkten, gleichzeitig kann sich nicht jeder das Demeter-Bio-Schweinefleisch leisten.
Das ist schon ein Punkt. Wir haben schon eine Verpflichtung, an jene zu denken, die sich finanziell schwertun. Es gibt halt auch die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, die um 1600 Euro Miete zahlen muss und auch das Essen kaufen muss. Und die kauft das billige Toastbrot und den Pressschinken nicht, weil er ihr so schmeckt, sondern weil sie nichts anderes im Börsel hat. Wenn man diese Diskussion gesamthaft führt, gehört auch dazu.
Die Werbung zeichnet ja gerne ein recht idyllisches Bild der Landwirtschaft. Wie sehr stimmt die aktuelle Landwirtschaft mit der Wahrnehmung der Konsumenten überein?
Ich glaube nicht, dass es wirklich nur ein Bild der Landwirtschaft gibt, sondern viele. Es gibt Menschen, die von sprechenden Schweinen in der Werbung beeindruckt sind. Es gibt aber auch genügend, die das Bild der Landwirtschaft kennen, wie sie wirklich ist. Und es gibt viele, die haben gar kein Bild über Landwirtschaft, weil es ihnen egal ist. Die kaufen einfach Fleisch und Milch im Supermarkt.
Was die Landwirtschaft in den Fokus der Konsumenten gerückt hat, ist der Pflanzenschutz. Der Nationalrat hat im Mai ein Teilverbot von Glyphosat beschlossen. Wie trifft das die RWA?
In unserer Bilanz ist das egal. Wenn das eine Mittel nicht eingesetzt werden darf, werden halt Ersatzmittel herangezogen, die oft noch teurer sind. Da bin ich vollkommen entspannt. In der Diskussion über Pflanzenschutz, über gesellschaftliche Vorgaben an die Landwirtschaft, sind wir natürlich auch ein Betroffener. Da müssen wir höllisch aufpassen, dass wir nicht ein Fachthema von einer gesellschaftspolitischen Diskussion überlagern lassen. Bei Glyphosat wissen alle was richtig ist und was nicht richtig ist, weil es ausschließlich gesellschaftspolitisch diskutiert wird. Und das halte ich für falsch. Ich glaube, solche Debatten sollte man wissenschaftsbasiert führen. Bis jetzt gibt es keinen Hinweis, dass Glyphosat schädlich ist. Es steht nur zusammen mit geräuchertem Fleisch und vielen anderen Dingen auf einer WHO-Liste. Die Landwirtschaft wird hier ein Stück in Geiselhaft genommen und das ist nicht in Ordnung. Gesellschaftliche Diskussionen sollten nicht am Rücken der Bauern ausgetragen werden.
Ein großes gesellschaftliches Thema ist die Digitalisierung. Wie digital ist die Landwirtschaft eigentlich?
Sie ist heute schon sehr weit. Wir haben sogar ein eigenes Agro-Innovation-Lab, wo wir an Robotern arbeiten oder an besserer Satellitennavigation. Ich war gerade erst mit einem jungen Mitarbeiter bei einigen Lagerhaus-Obmännern. Dort hat er gezeigt hat, was alles schon möglich ist. Es ist unglaublich. Das betrifft aber alle Gesellschaftsbereiche. Wir bedienen mit einer Selbstverständlichkeit unsere Navis im Auto, das wäre vor 20 Jahren undenkbar gewesen. Was in der Landwirtschaft nicht wegkommt, ist das Arbeiten unter freiem Himmel. Das bedeutet, die Unvorhersehbarkeit sind mit Sicherheit größer als überall anders. Die Landwirtschaft war auch immer sehr handarbeitsintensiv. Wir sehen jetzt sehr deutlich, dass es gerade im Gemüsebau massive Arbeitskräftemangel gibt. Die massive Handarbeit macht auch den Beruf des Landwirt nicht gerade attraktiv. Und daher ist es ganz normal, dass Mechanisierung und Digitalisierung Einzug halten werden.
Sind die Landwirte für diese neue Technologie richtig ausgebildet?
Die Landwirtschaft hat generell ein sehr gutes Schulsystem. Man muss sich nur anschauen, wie viele landwirtschaftlichen Fachschulen es in Österreich gibt, wie viele höhere Schulen es gibt. Man findet eigentlich keinen Landwirt, keine Landwirtin, die nicht zumindest eine mittlere Schule mit Landwirtschafts-Schwerpunkt gemacht hat. Und das Schulsystem ist gut, die können was. Das ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil - auch international gesehen. Wenn in Ungarn jemand mit einem Traktor fahrt, ist das meist Lkw-Fahrer. In Österreich ist es ein Landwirt, der erkennt, was auf seinem Feld passiert, weil er das gelernt hat. Und er steigt auch aus und schaut sich das Feld an. Der in Ungarn fahrt einfach.
Die Technologie ist auch eine Kostenfrage. Ein Traktor kostet heute so viel wie ein Oberklasse-Auto. Wie viele Landwirte können sich diese Investition noch leisten?
Wenn es sich überhaupt ausgeht. Das war nie anders. Technik hat ihren Preis. Aber sie kann heute auch mehr. Traktoren sind satellitengesteuert, können Precission-Farming, da ist eine technische Ausstattung dahinter, das ist unglaublich. Bei John Deere gibt es ein Angebot, bei dem der Traktor mit unserem Steuerstand verbunden ist. Der Traktor sendet permanent Signale und wir stellen auf unseren Rechnern anhand von Algorithmen fest, ob der Traktor gut funktioniert oder nicht. Und zwar lange bevor der Traktorfahrer das merkt. Anhand der Kühlmitteltemperatur und des Öldrucks, bemerken wir beispielsweise, dass in 24 Stunden der Turbolader kaputt ist. Wir warten aber nicht bis er kaputt ist, der Landwirt bekommt die Nachricht, dass der Traktor ein Problem hat und in die Werkstatt sollte. Oder unsere Fachleute kommen selbst und haben den Turbolader möglicherweise schon mit. So etwas kostet halt Geld.
Österreich hat ja eine klein strukturierte Landwirtschaft. Besteht in der Technisierung und den Kosten dafür nicht die Gefahr, dass immer mehr kleine Landwirte aufgeben?
Das mag sein. Aber ist das nur in der Landwirtschaft so oder auch in allen anderen Industriebereichen. Wo sind die vielen kleinen Fleischereibetriebe in den Dörfern, die heute durch eine Wurstfabrik ersetzt sind? Wo sind die Schuster oder die Schneiderinnen? Die sind ersetzt worden durch Fabriken in China. Das ist noch schlimmer. Einen gewissen Strukturwandel durch technischen Fortschritt gibt es überall, natürlich auch in der Landwirtschaft. Ich bin hier vielleicht ein bisschen nüchtern, aber vor manchen Themen können wir nicht die Augen verschließen. Mir tut natürlich jeder leid, der nicht in der Landwirtschaft bleiben kann. Deshalb brauchen wir auch Wege, die ökologisch, ökonomisch, sozial, verantwortungsbewusst, fair und erträglich sind. Es darf keiner unter die Räder kommen.
Gibt es für Landwirte so etwas wie Warnzeichen, die signalisieren, dass sich etwas im Betrieb ändern muss?
Hier gibt es keine Standardantwort. Jeder Landwirt, jede Landwirtin, muss für sich selber die Antworten finden. Wenn der Landwirt hier im Weingut Bockmoar nur Wein produzieren würde und im Fass vermarkten würde, könnte er vielleicht nicht überleben. Doch es gibt hier die Buschenschenke, es werden Zimmer vermietet, die Familie arbeitet mit. Und damit erzielen sie ihr Familieneinkommen. Wenn ein Hof nicht groß genug ist, muss man schauen, wo gibt es Alternativen. Es gibt viele, die jetzt wieder Biogemüse produzieren. Es gibt andere, die machen etwas Neues in der Tierhaltung. Man kann die eigene Wertschöpfungskette verlängern. In Österreich ist die Landwirtschaft auch sehr eng mit dem Tourismus verbunden. Die Größe des Betriebes ist nie ein Kriterium.
Ein anderes Segment, in dem die Lagerhäuser sehr aktiv ist: Baustoffe. Die Baubranche boomt. Was ist derzeit am schwierigsten zu bekommen?
Alles was aus der Petrochemie kommt, wie Dämmstoffe, Isolierstoffe. Das ist im Moment das Schwierigste. Es geht auch ein Stück weit hinein in den Ziegel, in Stahl, Bewehrungsstahl, Holz zum Teil. Man muss da nur aufpassen. Das ist derzeit etwas überhitzt und nach jedem Berg kommt auch wieder ein Tal. Diese Überhitzung muss nicht dauerhaft sein. Wir gehen davon aus, dass es im Herbst wieder zu einer Normalisierung kommt.
Sollten Häuselbauer warten, bis die Preise wieder fallen?
Einen Rat zu geben, ist aber schwierig. Aber meine Erfahrung ist: Wenn Preise sehr kurzfristig, sehr steil nach oben gehen, gibt es immer eine Korrekturphase. Holz ist jetzt ein Thema, niemand hat Bauholz. Aber in den USA fallen die Preise schon wieder. Das kommt jetzt nicht gleich in Europa an. Aber es ist ein Zeichen, dass das nicht immer alles rauf gehen muss. Die Baupreise sind in Österreich auch ziemlich stark befeuert durch die Investitionsprämie. Diese Förderung war wichtig, damit wir aus der Coronakrise gleich ordentlich durchstarten konnten. Aber es gibt halt Nebeneffekte.
Wie wichtig sind die Privatkunden für die Lagerhäuser inzwischen geworden?
Für uns ist jeder Kunde, jede Kundin, wichtig. Wenn ich mir den österreichweiten Schnitt anschaue, machen wir 40 bis 50 Prozent des Umsatzes mit der Landwirtschaft. Das ist jetzt nicht zwingend immer Getreide und Düngemittel. Viele Landwirte und deren Familien sind ja auch Kunden außerhalb des engen Agrarbereichs, kaufen in den Haus/Gartenmärkten ein. Unsere Kraft kommt schon vom Land und der Landwirtschaft. Aber natürlich schauen wir, dass wir auch andere Kunden ansprechen. Was uns sehr zupasskommt, ist der Trend zum Urban Gardening, zum eigenen Haus und Garten, zum Cocooning, wo sich die Leute ihr eigenes Nest bauen. Und das ist genau unsere Kernkompetenz. Welchem Unternehmen traut man mehr zu, beim Thema Garten, Gemüse, Anbau, Dünger und Gartenpflege richtig zu beraten, als dem Lagerhaus, das das seit 120 Jahren für die Bauern macht. Das liegt in unserer Natur.
Kommt bald das Innenstadt-Lagerhaus?
Wir haben das vor einigen Jahren in Wien versucht. Da hat sich kurzfristig eine Möglichkeit aufgetan und wir haben gesagt, das probieren wir mal. Aber der Slogan "die Kraft am Land" kommt nicht von ungefähr. Dort sind wir authentisch. Man kennt die Leute im Lagerhaus, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kennen die Menschen, die zu ihnen kommen. Das muss nicht immer alles ganz genau auf der Feingoldwaage liegen. Jede Filiale darf ein bisschen anders aussehen. In Wien konnten die Menschen mit dem Lagerhaus nichts anfangen. Die können auch mit dem, was wir tun, nichts anfangen. Die haben keinen Garten, keine Blumen. Aber in dem Moment, in dem diese Leute aufs Land ziehen, brauchen sie jemanden, bei dem man den Rasenmäher nicht nur kaufen, sondern auch reparieren lassen kann. Und das sind dann wieder wir.
In der Coronakrise haben viele auf Online-Handel gesetzt. Wie wichtig ist der Online-Shop für das Lagerhaus?
Jeder Online-Shop ist ein Wettbewerber, der sich dadurch auszeichnet, dass wir ihn nicht mehr sehen. Wenn Obi oder Hagebau eine Filiale bauen, können wir sogar die Autos auf den Parkplätzen sehen. Bei Amazon sehen wir nur das Auto der Post, wissen aber nicht, ob da wirklich ein Amazon-Paket drinnen ist oder etwas von Zalando oder Alibaba oder wer auch immer. Diese Art von Handel können wir uns nicht verschließen. Wir wollen dabei unsere Stärke, unser dichtes Filialnetz nutzen und nicht die Standorte umbringen. Das Lagerhaus hat wir einen durchaus herzeigbaren Online-Shop, wir laden Kunden beim Kauf aber immer ein, das Bestellte in der nächsten Filiale abzuholen. Wenn schon alle von Regionalität reden, dann wollen wir den Kundinnen und Kunden auch die Chance bieten. Viele schauen dann vielleicht am Sonntag auf der Homepage und gehen am Montag ins Lagerhaus und sagen, das hätte ich gerne.
Roman Vilgut