Haben Sie als Finanzchef einer mit 1,4 Milliarden Euro bewerteten Nachhilfeplattform selbst je Nachhilfe gebraucht?
PAUL KRALL: Tatsächlich nie, aber ich habe selbst welche gegeben, und zwar in Buchhaltung. Ich war immer schon ein Zahlenmensch.
Mathematik ist das meist gebuchte Nachhilfefach bei GoStudent. Können Sie das verstehen?
Sie können gerne „du“ sagen. Das Thema Mathe zeigt die Probleme des Schulsystems mit der Wissensvermittlung auf. Hier setzt GoStudent an. Wir vermitteln unsere Tutoren nicht bloß nach dem Fach, sondern auch nach Charaktereigenschaften bzw. gemeinsamen Hobbys. Wir nennen das „Profile“ und möchten ein „Match“ zwischen Schüler und Lehrer erreichen. Dass nach den Probestunden die allerwenigsten ihren Tutor wechseln, spricht für uns.
GoStudent vermittelt 400.000 Unterrichtsstunden im Monat, was einem Außenumsatz von acht Millionen Euro entspricht. Ist Bildung ein gutes Geschäft?
Bildung ist einerseits ein fragmentierter Markt: die Landesgesetze, die Unterrichtspläne. Und Bildung ist ein sensibles Thema. Es definiert den Werdegang des Kindes, der allzu oft vom Ausbildungsniveau der Eltern abhängt. Wir sehen unser Produkt als eine Leistung für ein selbstbestimmtes Leben. Unsere Vision: Wir wollen die erste globale Schule sein. Für jeden zugänglich, hohe Qualität, guter Preis.
GoStudent hat in der jüngsten Finanzierungsrunde 205 Millionen Euro von Investoren lukriert und wird mit 1,4 Milliarden Euro bewertet. Was bedeutet das für dich als Finanzchef?
Es ist für unser junges Unternehmen eine Bestätigung, dass wir etwas richtig gemacht haben und ein Ansporn, die nächsten Schritte zu setzen. Neben der Softbank, Tencent und Dragoneer ist der Fonds DST Global der führende Investor, der auch bei Airbnb, Facebook, WhatsApp und Spotify eingestiegen ist. So ein Fonds gibt sein Geld nicht auf Basis der Vergangenheit her.
Wie groß ist dein Team?
Die Finance-Abteilung ist auf 15 Teammitglieder gewachsen. Wir sind de facto die führenden Buchhalter, bereiten mit dem Steuerberater die Jahresabschlüsse vor. Wir sind auch Analyseteam, das Zahlen verwertet.
Was sind also die Pläne auf dem Weg zur „globalen Schule“?
GoStudent ist derzeit mit 600 Beschäftigen in 15 Ländern tätig – mit Deutschland als unserem Hauptmarkt, der 60 Prozent der Umsätze ausmacht. Wir werden noch dieses Jahr nach Latein- und Nordamerika expandieren. Die ersten Schritte gehen nach Mexiko und Kanada.
Die Entscheidung basiert auf Marktanalysen?
Latein- und Nordamerika sind sicherlich andere Märkte als die europäischen, aber wir können unser Modell gut skalieren und auf neue Märkte ausrollen, wiewohl bisher noch kein europäischer Bildungsanbieter nach Amerika gegangen ist. Auch weitere Target- also Zielländer sind schon ausgemacht. Polen kommt als neuer Markt dazu, sodass wir Ende des heurigen Jahres in rund 20 Ländern vertreten sein möchten und 1000 Talente beschäftigen werden. Die Lehrer – wir nennen sie Tutoren – sind davon noch ausgenommen.
Tutoren sind demnach keine Mitarbeiter?
Sie sind essenzieller Bestandteil unserer GoStudent-Gemeinschaft. Jedoch arbeiten sie auf eigene Rechnung, sind selbstständig. Die meisten sind Studenten. Der Schüler zahlt je nach Wochenstunden und Abo-Dauer – wir bieten Abos auf drei, sechs, zwölf und bald auch 24 Monate – rund 23 Euro pro Einheit. Dem Tutor bleiben zwischen 15 und 18 Euro pro Stunde. Darauf, dass er seine Einkünfte versteuern muss, weisen wir ihn selbstverständlich hin. Das Abo-System soll unsere Vision vom lebenslangen Lernen unterstreichen. Es macht keinen Sinn, nur mal schnell vor der Schularbeit Stunden zu nehmen. Die Einheiten finden immer per Videokonferenz und immer 1:1 statt, sie dauern 50 Minuten.
Wie prüft GoStudent die Tutoren?
Sie durchlaufen einen dreistufigen Bewerbungsprozess, der mit einer fachlichen Eignungsprüfung beginnt – etwa mit einem Mathetest auf Maturaniveau. Bestehen sie ihn, folgt ein pädagogisches Gruppeninterview. Der letzte Schritt ist ein individuelles Interview. Damit stellen wir die gleichbleibende Qualität der Tutoren sicher.
Alternative Lernmethoden. . .
. . . empfehlen wir unseren Tutoren zu verwenden, um die Learning-Experience für die Schüler zu verbessern. Zum Beispiel Quizze. Oder Flächenberechnung wird mithilfe des Videospiels Minecraft vermittelt, wo man mit Würfel-Boxen eine 3D-Welt baut. Wir regen auch an zu einer aktiven Tutor-Community.
Ist GoStudent beim Video-Unterricht dabei?
Nein. Wir haben anonymisierte Metadaten, mit denen wir arbeiten. Feedbackbögen zum Beispiel. Dabei ist auch künstliche Intelligenz im Einsatz.
Die Personalsuche klappt?
Wir haben ein tolles Human Resources-Team, aber natürlich ist die Talentsuche herausfordernd. Wir suchen Wirtschaftler, Informatikerinnen, Softwareingenieure, aber auch Pädagoginnen, Quereinsteiger, auf globaler Ebene noch 500 Talente bis Ende 2021. Wichtig ist, dass die Unternehmenskultur geteilt wird.
Wachstum durch Expansion?
Auch durch Diversifizierung. Derzeit sind wir vor allem in der schulischen Nachhilfe tätig. Unsere derzeit rund 15.000 Schüler sind zwischen 6 und 19 Jahre alt. Wir wollen uns aber zum Hauptansprechpartner entwickeln, wenn es um Bildung geht. Uns also aus dem rein schulischen Zielgruppenbereich herausbewegen. Wer im Internet etwas sucht, spricht von „googeln“. Eine Begriffsassoziation wie diese strebt auch GoStudent an.