Bitcoin war die erste Kryptowährung, heute sehen viele darin eine Art digitales Gold, andere wiederum sprechen von einem reinen Spekulationsobjekt. Was ist Bitcoin heute wirklich?
JOHANNES GRILL: Ganz unabhängig von der tatsächlichen Anwendung ist Bitcoin nur eine Technologie, ein freies Protokoll, das jeder ohne Erlaubnis nutzen kann. Es ermöglicht einen digitalen Eigentumstransfer ohne eine zentrale Instanz, direkt, global, in Sekunden um die ganze Welt verteilt. Jeder mit einem Internetzugang kann das nutzen, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen. Und in El Salvador soll Bitcoin bald parallel zum US-Dollar zum Alltags-Zahlungsmittel werden und kann dort dann als Wertträger und Zahlungssystem in einem genutzt werden. Die Anwendungen von Bitcoin sind ganz breit. Digitales Gold passt genauso wie Spekulation oder Sicherung der Menschenrechte passt, Pool der Freiheit passt. Ohne Bitcoin wäre die Welt wohl eine schlechtere.
Wie war Ihr erster Kontakt zu Bitcoin?
Ich komme aus dem Banken-IT-Bereich und habe damals Zahlungsverkehrsprojekten gemacht, dann hab ich Bitcoin entdeckt. Da hab ich mir gedacht, das ist viel simpler und einfacher als der aktuelle globale Zahlungsverkehr. Wer heute von Österreich Geld nach Brasilien überweisen will, braucht zwischengeschaltete Korrespondenzbanken. Das ist kompliziert, da kann viel schiefgehen und es ist teuer. Und dann entdeckt man etwas wie Bitcoin, wo das sofort und direkt geht und das sogar vergleichsweise einfach. Es ist halt ein völlig anderes System, als das was wir bisher kennen. Und noch dazu ist die Menge der Bitcoins begrenzt. Es wird nie mehr als 21 Millionen Stück geben und rund 18,7 Millionen sind bereits im Umlauf. Egal ob man das gut oder schlecht findet, das ist ein technisches Faktum. Bitcoin hat also einen Grundnutzen, den digitalen Eigentumstransfer, und gleichzeitig begrenzte Menge.
Diese begrenzte Menge ist für Bitcoin-Befürworter eines der wichtigsten Kriterien. Warum?
In Europa und auch in den USA sind Euro und Dollar ja relativ stabil. Hier ist Bitcoin aus Investmentsicht spannend. Die Zentralbanken produzieren ja immer mehr Geld, bei Bitcoin ist die Menge aber begrenzt. Gleichzeitig hat Bitcoin eine ziemlich starke Innovationswelle angeschoben. Wir haben also so etwas wie digitales Gold, eine begrenzte Menge und durch die Innovationskomponente hat es auch einen Start-up-Charakter. Diese Kombination macht Bitcoin so interessant, für den kurzfristig spekulativen Anleger genauso wie für den langfristig orientierten Anleger, der sein Vermögen über die Zeit bringen will.
Anfang des Jahres hat ja auch Tesla-Chef Elon Musk die Kryptoszene aufgewirbelt. Erst hat er Bitcoin bejubelt, dann kritisiert, und genau so ist der Kurs hinauf und hinunter. Wie sicher ist ein Investment, das von einem einzigen Menschen so beeinflusst werden kann?
Es war schön, wie ich im Februar gehört habe, dass Tesla in Bitcoins investiert. Da gab es einen Kurssprung von mehr als zehn Prozent. Das hat medial viel bewegt, viele Menschen sind wieder auf das Thema gekommen, die sich vorher noch nicht damit beschäftigt hatten. Aber bei Elektroautos ist auch die CO2-Thematik automatisch da. Da gab es wohl einen gewissen Druck. Dennoch ist Tesla nicht aus Bitcoin ausgestiegen, Tesla ist ja noch immer in Bitcoin investiert. Und es gibt ja auch Lösungen, wie das Lightning-Network, bei der Millionen Bitcoin-Transaktionen in der Minute abgewickelt werden, ohne dass auch nur ein bisschen Strom verbraucht wird. Das kommt in der Diskussion halt nicht vor. Langfristig ist es aber egal, was Elon Musk oder Tesla mit Bitcoin machen. Das ist kurzfristig interessant, das sind nette Geschichten. Mittelfristig wird der Einfluss von Tesla oder Musk auf Bitcoin auch immer weniger werden.
Musk hat vor allem den Stromverbrauch kritisiert. Warum braucht das Bitcoin-System so viel Energie?
Es kann jeder sich als Miner betätigen, sprich Hardware verwenden und dem System Rechenleistung zur Verfügung stellen, um neue Bitcoins zu erzeugen. Auf der Kostenseite hat man natürlich die Betriebskosten und die Stromkosten. Auf der Einnahmeseite hat man die neu erzeugten Bitcoins. Wenn jetzt der Kurs stark ansteigt, dann ist es für viele Miner lukrativer, Bitcoins zu minen. Das heißt, es wird mehr Rechenleistung investiert. Und damit steigt der Stromverbrauch. Bitcoin selbst ist es egal, ob mit 1000 Watt gemined wird oder mit einem Megawatt gemined wird. Aber dass man überhaupt über das Thema redet, liegt daran, dass man bei Bitcoin relativ schön den Stromverbrauch hochrechnen kann. Es gibt genug andere Technologien, Wirtschaftszweige, militärische Dinge, wo der Stromverbrauch und CO2-Ausstoß um ein vielfaches höher als bei Bitcoin ist.
Die meisten Miner sitzen bisher aber in China, wo es billigen Kohle-Strom gibt.
Jene Miner sind am erfolgreichsten, welche die effizientesten Betriebskosten haben und das sind vor allem die Stromkosten. Die gehen dorthin wo Strom günstig ist, oft abgelegenere Gebiete, wo beispielsweise in China eine Retortenstadt mit Kraftwerk geplant wurde, in die niemand wirklich hingezogen sind. Und Kohle-Strom ist in China ja staatlich subventioniert. Und so gesehen hat die chinesische Entscheidung, die Miner aus dem Land zu drängen, eigentlich mehrere Vorteile. Bitcoin befreit sich von China. Ein großer Teil der Mining-Leistung war ja in China. Und egal wo die Miner hingehen, der Strommix dürfte an den neuen Orten deutlich klimafreundlicher sein.
Was wären Alternativen zu China?
Island ist bei Minern beliebt. Die hatten eine energieintensive Aluminiumindustrie. Deshalb sind dort Kraftwerkskapazitäten da, großteils Geothermie, und die können den Strom sehr günstig anbieten. Island hat noch dazu den Vorteil, dass es eher kühl ist und man die Rechenzentren mit Frischluft kühlen kann und keine Klimatisierung braucht. Die Miner sind an sich mobil. Man braucht nur eine Internetanbindung und eine stabile, gleichmäßige und günstige Stromversorgung. Mining kann sogar die wirtschaftliche Basis für neue CO2-neutrale Kraftwerke bilden, da man für eine gewisse Grundlast einen fixen Abnehmer hat. Auch Hochspannungsleitungen sind nicht nötig. Die Miner stellen ihre Hardware direkt neben dem Kraftwerk auf. Bitcoin dürfte mittelfristig vielleicht sogar dazu beitragen, dass es grüner wird in der Energieerzeugung.
China will auch die Zahlungen mit Bitcoin einschränken. Kann ein Staat Bitcoin eigentlich verbieten?
Ein Staat kann alles verbieten, was er will, insbesondere autokratische Staaten. Und China gilt ja nicht unbedingt als lupenreine Demokratie. Ich hoffe halt, dass wir in Europa nicht mit Verboten auf das Unbekannte reagieren, nur weil man es nicht versteht. Die Frage ist auch, ob man als Staat Bitcoin in den Untergrund drängen will oder es im Licht, in einem regulierten Rahmen, agieren lässt. Verhindern oder abdrehen kann man Bitcoin nämlich nicht. Das hat man in vielen Ländern schon gesehen.
Warum sollte das nicht gehen?
Wenn man die Tauschbörsen in den Untergrund treibt, hat der Staat auch keine Möglichkeit die Käufer und Verkäufer zu identifizieren. Dadurch weiß er gar nicht, wer der echte Besitzer der Bitcoins ist. Dann kann man vielleicht vermuten, dass das mein Konto ist, dass ich die Bitcoin besitze. Aber ich kann immer sagen, ich habe die Private-Keys nicht. Der Nachweis, dass jemand Bitcoins besitzt und darüber verfügen kann, ist nicht zu führen.
Es gab ja in Deutschland den Fall, dass von der Polizei beschlagnahmte Bitcoins auf einmal verschwunden waren. Wie ist so etwas möglich?
Der Spruch dazu: Not your Keys, not your Bitcoin. Das bedeutet, die tatsächliche Verfügungsgewalt über Bitcoin hat immer jene Person, die die Private Keys kennt. Wenn jetzt die Polizei bei jemanden Computer beschlagnahmt oder auch dieses Backup einer Bitcoin-Wallet, bestehend aus 24 Wörtern - dann kann die Polizei darüber verfügen. Wenn jetzt aber diese Person eine Kopie davon hat, dann können beide darüber verfügen und wer die Bitcoins als erstes weiter überweist, der hat sie dann ausgegeben. Dann hat man zwar Zugriffsdaten aber auf leere Konten. Das dürfte in Deutschland passiert sein, der mutmaßliche Täter war ja sogar im Gefängnis und trotzdem sind die Bitcoins verschwunden. Die Behörden haben zwar die Zugriffsdaten beschlagnahmt aber die Bitcoins nicht abgezogen. Da dürften Komplizen noch eine Kopie davon gehabt haben oder die Informationen wurden aus dem Gefängnis geschmuggelt. Und es sind ja nur ein paar Wörter, die kann man sich gut merken. Die Komplizen haben die Bitcoins dann woanders hin überwiesen und die Behörden saßen auf leeren Wallets. Die können dann zwar nachschauen, wohin die Bitcoins überwiesen wurden aber auf diese Wallets haben die Behörden dann keinen Zugriff mehr.
Wenn jemand sich heute entscheidet "irgendetwas mit Kryptowährungen" machen zu wollen, womit fängt man am besten an?
Als Erstes sollte man sich über Bitcoin informieren. Man braucht eine seriöse Handelsplattform, die idealerweise der europäischen Regulierung unterliegt. Dort muss man sich legitimieren und ausweisen. Und das ist auch gut so, weil niemand will Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unterstützen. Dann kann man mit einer ganz normalen Banküberweisung Euros hin transferieren und Bitcoins kaufen. Wer größere Beträge investieren will, sollte über einen längeren Zeitraum mehrmals kaufen, damit man nicht genau die Spitze erwischt und den teuersten Preis zahlt. Man muss natürlich das Risiko im Auge behalten. Bitcoin schwankt stark. Wenn man diese Schwankung nicht ertragen will oder kann, sollte man weniger investieren. Wichtig: Bitcoin ist nichts, mit dem man schnell reich wird. Es schützt vielmehr gegen die schleichende Verarmung, wenn der Euro an Geldwert verliert. Bitcoin ist aus meiner Sicht daher als sehr langfristiges Investment zu sehen. Also durchaus mal rein wagen, mit kleinen Beträgen anfangen, damit man ein Gefühl bekommt, sich Knowhow erarbeitet. Wenn man es ein bisserl in der Praxis ausprobiert hat, nimmt das auch viel von der nebulösen Theorie.
Es gibt immer wieder Berichte von Bitcoin-Börsen, die plötzlich nicht mehr im Netz sind und die Investoren nicht mehr an ihre Bitcoins kommen. Wie schützt man sich davor?
Wer Bitcoins langfristig hält, sollte sie auch wirklich selbst halten. Börsen werden immer wieder angegriffen, die halten Millionensummen für Kunden und sind damit ein ideales Ziel für Hacker. Gerade, wenn man höhere Geldbeträge investiert, lohnt es sich ab 60 Euro ein gutes Hardware-Wallet wie Trezor oder die Bitbox02 zu kaufen. Das kann jeder nach kurzer Einarbeitung einfach bedienen und hat damit einen sehr hohen Level an Sicherheit und hat tatsächlich die Bitcoins in der eigenen Verfügungsgewalt. So kann man die Bitcoins auch einfach weitergeben oder vererben.
Es gibt neben Bitcoin ja über 10.000 andere Kryptowährungen. Wie viel dieser alternativen Kryptowährungen sind seriös?
Wenn ich was suche, das den Wert über Zeit speichern soll, dann gibt es nur Bitcoin. Wenn ich in eine technologische Start-up-Ideen investieren will, kann ich mir auch ansehen, was es sonst noch gibt. Es mag da immer wieder mal spannende Technologien geben. Nur ob es die in zehn Jahren noch gibt und ob es überhaupt so weit kommt, ist vollkommen offen. Bitcoin ist der sichere Hafen, die Basis.
Immer wieder wird auf Veranstaltungen nach Investoren für mutmaßlich neue Technologie aus dem Kryptobereich gesucht. Wie kann man hier seriöse von unseriösen Projekten unterscheiden?
Wenn jemand einem etwas verkaufen will, dann ist schon große Vorsicht angesagt. Selbst ich als Bitcoin-Befürworter will ja keine Bitcoins verkaufen und schon gar nicht meine. Was man immer wieder sieht, dass windige Geschäftemacher Leuten den Chart von Bitcoin vor die Nase halten und sagen, wir haben etwas Besseres. Das dann kombiniert mit einem Multi-Level-Marketing-System ist zu 99 Prozent Betrug und zu einem Prozent ein wirklich schlechtes Investment. Ich hab in den vergangenen zehn Jahren nichts gesehen, das irgendwie über Strukturvertrieb und Pyramiden-System vertrieben wurde, das ein seriöses, interessantes Investment gewesen wäre. Im Gegenteil, wir haben genug nachgewiesene Betrügereien und genug Dinge, die sich in einem nebulösen Graubereich bewegen und versuchen Regularien auszutricksen und auch naive Investoren ködern wollen. Die Leute sollten bisserl den Hausverstand einschalten. Vor allem, wenn jemand, sehr euphorisch jemanden etwas fast aufdrängen will und dabei auch noch Provision kassiert, Finger weg, das hat keinen Sinn.
Roman Vilgut