Lidl Österreich impft die Belegschaft gegen Covid-19. Wie hoch ist die Bereitschaft?
ALESSANDRO WOLF: Sie ist relativ hoch. Wir gehen davon aus, auf den österreichischen Durchschnitt von rund 70 Prozent zu kommen. Bei jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich impfen lassen wollen, haben wir die Erstimpfung durchgeführt.
Wie halten Sie es, wenn sich eine Mitarbeiterin nicht impfen lassen möchte?
Wir zwingen niemanden dazu. Aber es gilt in den Filialen und in den Büros die 3-G-Regel.
Die Pandemie hat das Einkaufen sehr verändert. Was ist heute anders als vor einem Jahr?
Es gibt einen Trend zum One-Stop-Shopping. Der Kunde geht weniger oft einkaufen und erwartet ein größeres Sortiment. Wir haben unseres von 1600 auf über 2000 Artikel ausgeweitet, heuer werden noch einmal bis zu 200 Artikel hinzukommen. Ein zweiter Trend geht in Richtung biologischer, regionaler, hochwertiger Waren. Das Bio-Segment bauen wir heuer um 25 Prozent aus. 2020 waren erstmals mehr als 50 Prozent der verkauften Lebensmittel österreichischer Herkunft. Das ist ein Riesensprung für uns.
Wäre es eine Selbstbeschränkung, nur heimische Produkte anzubieten?
Es gibt Bereiche, wo wir das haben. Rind, Huhn und Schwein aus unserem dauergelisteten Sortiment sind zu 100 Prozent aus Österreich. In den Wochenaktionen bieten wir auch Fleisch aus Deutschland an. Doch sind österreichische Produkte deutlich gekennzeichnet.
Sie sehen sich nicht in der Rolle, die Konsumenten ein bisschen erziehen zu wollen?
Man darf nicht vergessen, es gibt Familien, die müssen genau auf ihr Haushaltsbudget schauen. Da wäre es von uns vermessen, wenn wir jemanden zu etwas verpflichten wollen.
Zwangsläufig kauften 2020 viele Menschen online ein. Lidl Österreich hat keinen Onlineshop – ändert sich das nun?
Wir gehen davon aus, dass der stationäre Einkauf der Haupteinkaufsort der Kunden bleiben wird. Daran wird sich für uns in den nächsten Jahren nichts ändern. Es muss ja noch bewiesen werden, dass man damit Geld verdienen kann. Doch ist Lidl in 30 Ländern vertreten und wir machen Tests.
Lidl Österreich wurde als „Great Place to Work“ ausgezeichnet. Der Handel im Coronajahr als angenehmer Arbeitsplatz?
Der Einzelhandel ist kein einfacher Job und war in der Coronazeit noch einmal deutlich herausfordernder. Sechs bis acht Stunden FFP2-Maske tragen, an der Kasse sitzen, Ware einräumen. Ich habe das an einem Praxistag selbst gemacht und war am Abend fix und fertig. Es war für uns nicht so sicher, dass wir diese Auszeichnung wieder bekommen, denn wir haben die Spannungen in der Belegschaft schon mitbekommen. Da sind ja viele Mütter dabei, die Kinder im Homeoffice hatten, eine extrem große Belastung. Maßgeblich ist, wie die Teams und die Führungskräfte vor Ort arbeiten, das geht nicht von der Geschäftsleitung aus.
Hat Lidl sich die Wertschätzung etwas kosten lassen?
Wir haben nicht nur die Prämien bezahlt, sondern auch das Mindestgehalt erhöht. Wir zahlen bis zu 19 Prozent über dem Kollektivvertrag.
Finden Sie Nachwuchs?
Wir haben heuer vier Monate vor Ende der Frist 106 Lehrlinge eingestellt, anstatt wie bisher 50. Das sind unsere Führungskräfte von morgen. Und wir haben das Lehrlingsentgelt im ersten Lehrjahr auf 1000 Euro angehoben.
Im jüngsten „Retail Reputation Report“ schnitt Lidl nicht gut ab.
Es gibt auch andere Studien wie jene von ÖGVS (Gesellschaft für Verbraucherstudien, Anm.), wo wir heuer die Gesamtwertung gewonnen haben. Doch wir wissen, dass wir noch Hausaufgaben machen müssen, beim Image und bei Nachhaltigkeit.
Sie sind seit eineinhalb Jahren Chef von Lidl Österreich. Welche Schwerpunkte setzen Sie?
Wir rollen seit Monaten ein neues Filialkonzept aus, investieren dafür 100 Millionen Euro. Bis Mitte September sind die Hälfte der Filialen umgestellt, 2023 schließen wir die Transformation ab. Der große Fokus ist das Thema Frische und Wertigkeit im Ambiente. Das Konzept kommt gut an.
Wie digital sind die Filialen?
Wir testen heuer digitale Preisschilder, wir gehen weg vom gedruckten Plakat und wir beobachten das Thema Selfscanning und Selfcheckout genau. In der Schweiz bieten wir in einem großen Teil der Filialen Selfcheckout an.
Kaum ein Land hat so viele Lebensmittelmärkte wie Österreich. Ist Expansion noch ein Ziel?
Das Tempo wird langsamer. Heuer nehmen wir vier neue Filialen ans Netz. Wir haben aber 250 Filialen, wo wir noch Wachstumspotenzial sehen, sei es durch Modernisierungen, das neue Filialkonzept oder, wo möglich, durch Flächenerweiterungen.
Die Lebensmittelketten haben vom Coronajahr sehr profitiert. Geht sich da heuer überhaupt ein Wachstum aus?
Der Markt wird inflationsbereinigt kaum wachsen. Mit unserem Filialkonzept peilen wir ein nachhaltiges Wachstum an, das soll in den nächsten Jahren Früchte tragen. Unser Ziel ist es, dass unsere Kunden bei uns den Wocheneinkauf tätigen und nicht nur Schnäppchen kaufen. Unser Fokus liegt insbesondere auf jungen Familien.
Klimaschutz ist ein Megatrend. Welchen Beitrag leistet Lidl?
Wir haben einige Themen in Angriff genommen. Zum Beispiel sind wir die ersten in Österreich, die Obst nicht mehr per Flugzeug importieren. Bis Ende des Jahres statten wir jede dritte Filiale mit einer Fotovoltaikanlage aus und jede vierte mit einer E-Tankstelle. Wir setzen außerdem Akzente gegen unnötige Plastikverpackungen und gegen Lebensmittelverschwendung.
Wie steht Lidl Österreich zum Thema Einwegpfand?
Das befürworten wir. Was zu wenig oft beachtet wird, ist der Wert des Rohstoffes PET-Flasche. Ohne Pfand weiß ich nicht, woher das PET-Material für die von der EU vorgeschriebenen Recyclinganteile in PET-Flaschen kommen sollen. Wir müssen aus einer Flasche wieder eine Flasche machen und nicht ein anderes Produkt.