Das Recht und seine höchsten Institutionen stehen derzeit im Mittelpunkt politischer Diskussionen und sind Ziel heftiger Attacken. Zuletzt hat die Präsidentin der Richtervereinigung gewarnt, dass die Justiz Spielball eines politischen Konflikts wird. Wie geht es Ihnen mit der aktuellen Debatte?
CHRISTOPH BEZEMEK: Ich teile das Unbehagen. Eine kritische Auseinandersetzung ist durchaus wichtig, es kommt aber auf den Ton, den Zeitpunkt, die Verantwortung von Funktionsträgern an. Und da ist zuletzt nicht immer alles gänzlich glücklich gelaufen. Als Professor für Öffentliches Recht kann ich das nicht gerne sehen. Der Auftrag der Rechtswissenschaften ist daher umso klarer.
Nämlich?
Die Funktionsweisen des rechtsstaatlichen Systems zu erklären.
Erklären ist das eine, sie weiterzuentwickeln das andere. Wie rüstet man sich beispielsweise für die Rechtsfragen, die durch die Digitalisierung entstehen?
Da sind innovative Ansätze und Antworten notwendig. Der virtuelle Raum darf kein rechtsfreier Raum sein. Wir stellen uns dieser Herausforderung – Stichwort „Smart Regulations“. Es geht dabei um ein Vordenken, wie Recht der Zukunft aussehen soll. Wir haben zwar einen etablierten Rahmen, aber wir müssen diese bewährten Muster adäquat anpassen. Und als Jurist braucht es neben einer exzellenten Kenntnis des geltenden Rechts zugleich auch die Fähigkeit, darüber hinauszudenken. Diese Fähigkeit, zu vermitteln, steht im Zentrum unseres angebotenen Studiums.
Für viele Studierende führt es trotzdem direkt in eine Anwalts- oder Notariatskanzlei.
Und das ist ja auch nichts Verwerfliches. Es sind hoch angesehene und wichtige juristische Kernberufe, für die wir unsere Studierenden auf höchstem Niveau vorbereiten. Aber das Feld an beruflichen Möglichkeiten ist noch viel größer. Auch wenn man auf dem Weg zur Sportmanagerin, zum Filmproduzenten oder zur Start-up-Unternehmerin ist: Das Jusstudium ist vor allem eine Denkschule, in der man in alle Facetten des Lebens eintaucht. Das Recht ist vielfach eine Blaupause der Gesellschaft. Es zu verstehen, heißt, menschliches Zusammenleben und die Voraussetzungen, an die es geknüpft ist, zu verstehen. Im Jusstudium erarbeitet man sich das Rüstzeug, um zu besseren Antworten zu kommen. Wir bilden demnach nicht mehr nur einfach Juristen aus, sondern Entscheidungsträger, die die Welt von morgen aktiv mitgestalten.
Der Eingang zu diesem Karriereweg wurde aber künstlich verengt: Es gibt nur 600 Studienplätze.
Das ist nicht wenig, aber natürlich weniger als zuvor. Aber die Kontingentierung hebt auch die Leistung. Es überwiegen jene, die wissen, dass Jus genau das Richtige für sie ist. Jene, für die Jus nur ein Verlegenheitsstudium ist, fallen weg.
An technischen Universitäten und in der Wirtschaft wird vielfach über das sinkende Wissensniveau der Schulabgänger und Studienanfänger geklagt. Machen Sie diese Erfahrung auch?
Ich sehe keine Veränderung, eine gewisse Bandbreite hat es immer gegeben. Und schon antike römische Schriftsteller klagen über die „dümmere Nachfolgegeneration“. Man sollte das nicht dramatisieren.
Wird es künftig bei standardisierten Rechtsfragen überhaupt noch einen Juristen brauchen? Das könnte künstliche Intelligenz ja schneller und auf Basis von mehr Quellen beantworten.
Es geht nicht nur um die Buchstaben des Gesetzes. Man muss darüber hinausdenken. Das ist die juristische Geisteshaltung. Wir wollen unsere Studierenden in diesen Mindset bringen. Wir verfolgen dieses „Über-den-Tellerrand-Blicken“ auch als Lehrende und haben eine Vielzahl an Querschnittprofessuren, wo es um Interdisziplinarität und Internationalität geht.
Was aber auffällt, ist, dass die Rechtswissenschaftliche Fakultät an der Uni Graz mit zuletzt 8,5 Prozent die mit Abstand wenigsten internationalen Studierenden hat. An der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät liegt dieser Wert bei 19 Prozent, auf der Naturwissenschaftlichen Fakultät bei knapp 16 Prozent.
Das überrascht mich nicht. Recht ist ein gebietsbezogenes Phänomen, das sich an den nationalen Vorgaben orientieren muss. Ich brauche also das nationale Recht als Grundlage, wenn ich wo als Jurist arbeiten möchte. Da orientiert man sich stärker am Angebot vor Ort.
Aber es heißt doch, dass Internationalität auch deswegen so wichtig ist, weil die meisten Entscheidungen ohnehin in Brüssel getroffen und nur noch auf nationales Recht übertragen werden.
Der Einfluss der Europäischen Union ist nicht so groß. Man delegiert Verantwortung aber gerne nach oben – auch in einem integrierten Europa. Aber natürlich führen Globalisierung und Digitalisierung zu völlig neuen Herausforderungen in einem Umfeld, das einem ebenso stetigen wie rasanten Wandel unterworfen ist. Da sind wir als Juristen gefordert.
Klaus Höfler