In aktuellen Konjukturprognosen heißt es, dass Kärnten heuer und 2022 schneller wächst als der Österreichschnitt. Können Sie das bestätigen?
NORBERT WOHLGEMUTH: Unsere Studien zeigen, dass Kärnten mehr oder weniger gleich rasch wächst. In Österreich dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt 2021 und 2022 um 3,4 bzw. 4,3 Prozent zunehmen. Das Bruttoregionalprodukt in Kärnten könnte um 3,5 bzw. 4,5 Prozent steigen. Die geringfügigen Differenzen bei den Nachkommastellen sind nicht von Belang. Es geht um die Vorkommastellen.
Bei welchen Werten könnte man behaupten, Kärnten sei auf der „Überholspur“?
WOHLGEMUTH: Das Bruttoregionalprodukt pro Kopf in Kärnten ist im Bundesländervergleich eines der niedrigsten. Damit es zum Österreichschnitt aufschließt, ist selbst ein jährliches Wachstum, das über zehn Jahre um einen vollen Prozentpunkt über jenem von Österreich liegt, zu wenig. Die anderen Bundesländer wachsen ja auch.
Ihre Prognose für den Arbeitsmarkt in Kärnten?
WOHLGEMUTH: Die Arbeitslosigkeit sinkt. Doch die Arbeitslosenquote wird mit 9,5 Prozent auch 2022 noch höher sein als 2019 vor der Pandemie, als sie 8,8 Prozent betrug.
Stimmt der Branchenmix in Kärnten?
WOHLGEMUTH: Zwar hat Kärnten einen stärkeren Tourismus als einige der anderen Bundesländer, aber es ist vor allem ein Industrieland. Der Mix stimmt. Das bringt Vor- und Nachteile. Vorteil: Durch eine breite Basis kann ein Schock in einer Branche nicht so hart durchschlagen. Nachteil: Wer von allem ein bisschen hat, ist womöglich in keinem der Bereiche richtig gut bzw. erreicht keine kritische Mindestgröße, um international wettbewerbsfähig zu sein. Zur Struktur der Wirtschaft in Kärnten gehört auch der aufgeblähte öffentliche Sektor. Ein Hebel, wo man ansetzen könnte. Aber das muss man wollen.
Kann sich Kärnten aus der Krise „herausinvestieren“?
WOHLGEMUTH: Kärnten hat Schulden von vier Milliarden Euro. Bis 2024 könnten sie sich auf fünf Milliarden erhöhen. Geld ausgeben allein reicht nicht. Man muss die richtigen Aktivitäten finanzieren, die Bedingungen verbessern. Während die Schulden steigen, wird Kärnten immer älter. Der demografische Wandel droht zum Bremsklotz zu werden. Immer weniger Erwerbstätige müssen eine immer höhere Schuldenlast tragen, was die Attraktivität des Landes mindert.
Sind Klimaschutz und ökonomische Aktivität vereinbar?
WOHLGEMUTH: Erneuerbare Energie bringt nicht zwangsläufig mehr Nachhaltigkeit. So könnte die globale Nachfrage nach kritischen Mineralien für die Erzeugung „grüner“ Energie bis 2040 fast sechsmal so hoch sein wie aktuell. Nur weil wir elektrisch durch die Gegend kutschieren, ist das nicht per se nachhaltiger. Man muss einrechnen, unter welchen Umständen Batterien herstellt und geladen werden. Der Strom dafür sollte nicht aus tschechischen Braunkohlekraftwerken kommen. Selbst wenn er von Kärntner Windrädern kommt, sind damit negative Umweltauswirkungen verbunden. Man sollte nicht blind zu allem „nachhaltig“ sagen.
Erneuerbare Energie schützt nicht per se die Umwelt?
WOHLGEMUTH: Ein Elektroauto benötigt den vielfachen Input an Mineralien verglichen mit einem konventionellen. Es hat wegen des höheren Gewichts mehr Reifen- und Bremsenabrieb. Es nimmt öffentlichen Raum in Anspruch. Erneuerbare Energie kann einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, allerdings auch zur Umweltzerstörung.