Der 29. Mai 1991, Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe: Richard von Weizsäcker, damals Bundespräsident der BRD, stellt in einem Symbolakt um Punkt 12 Uhr die Signale auf Grün. Fünf fabrikneue ICE-Züge haben 3000 Ehrengäste in einer Sternfahrt nach Kassel gebracht, sie feiern den Beginn eines neuen Eisenbahnzeitalters in Deutschland. Am 2. Juni 1991, vor 30 Jahren also, nahm der ICE den Linienbetrieb von Hamburg nach München auf.
„Ich habe mich gefühlt, als wenn das eigene Kind in die Schule kommt“, sagt Peter Lanke über die damalige Zeit. Der heute 70-Jährige leitete das Projekt Hochgeschwindigkeit bei der Deutschen Bahn, konzipierte drei ICE-Generationen mit und fuhr sie selbst. Die DB datiert den Beginn der ICE-Geschichte auf das Jahr 1973, Lanke stieg 1985 beim Prototyp ICE-V ein. Jener Zug stellte am 1. Mai 1988 zwischen Fulda und Würzburg den damaligen Weltrekord von 406,9 km/h auf (2015 fuhr ein Zug in Japan 603 km/h). Seit 1991 sind, so die DB, mehr als 1,5 Milliarden Menschen mit einem ICE gefahren.
Wenn auch der ICE vor allem am Anfang ein rein deutscher Zug war, was Entwicklung und den Bau betrifft, so spielt die Steiermark mit dem heutigen Siemens-Mobility-Standort in Graz ab der zweiten Generation dieser Ikone eine zentrale Rolle.
Für den ICE2 hat sich 1993 die damalige SGP Verkehrstechnik – hervorgegangen aus der Simmering-Graz-Pauker – mit einem neuartigen Fahrwerk (SGP 400) beworben und prompt den Zuschlag erhalten. „Diese Vergabe war die Geburtsstunde des Standortes Graz als heute modernstes und weltweit tätiges Drehgestell-Kompetenzzentrum“, sagt Michael Braun, Sprecher von Siemens Mobility – der Münchner Konzern war seit 1992 zu 26 Prozent an SGP beteiligt und übernahm den Standort später ganz.
Beim ICE war Siemens bereits ab der ersten Generation an Bord, seit dem ICE3 (2000) werden die Intercity-Express-Züge gänzlich unter der Federführung der Mobilitätssparte des Konzerns entwickelt und gebaut. Eine Garnitur besteht laut Herstellern aus rund 5800 Komponenten, in Summe aus 40.000 Teilen von 320 Zulieferern. Die Fahrwerke bzw. Drehgestelle aus dem Werk in Graz zählen naturgemäß zu den Herzstücken des Zuges. Das so genannte SF 500 ist eine Weiterentwicklung des SF 400 (vormals SGP 400) und kommt im ICE 3 und 4 zum Einsatz.
„Es ist mit einer Höchstgeschwindigkeit von 350 km/h entscheidend für die Sicherheit und Zuverlässigkeit sowie den Komfort der Reisenden in Hochgeschwindigkeitszügen“, erklärt Braun. Insgesamt seien in Graz bis dato mehr als 6500 Stück dieses Modells hergestellt worden – für die Deutsche Bahn, die Niederländische Staatsbahn, die spanische Renfe und andere. Siemens-Züge sind für viele Bahnunternehmen im Einsatz.
Genau lässt sich die Zahl weiterer Zulieferer aus Österreich für den ICE nicht beziffern. Etwa liefert ein Wiener Stahlbauunternehmen diverse Metallteile, ein Welser Betrieb Seitenwandprofile. In Zukunft sollen auch funkdurchlässige Scheibenbeschichtungen (für besseren Mobilfunkempfang) aus Wien eingebaut werden.
Aktuell verstärke alle drei Wochen ein neuer ICE4 die Flotte der Deutschen Bahn, sagt Siemens, bis 2024 werde man in Summe 137 ICE4-Züge an die DB liefern. Im Juli 2020 orderte die Staatsbahn außerdem 30 Züge vom Typ ICE3 neo, einer Weiterentwicklung des ICE3, bezeichnet auch als Velaro. Ab Ende 2022 sollen die ersten ICE3 neo auf Schiene sein. Indes entwickelt Siemens längst seine neueste Generation von Hochgeschwindigkeitszügen, den Velaro novo, wiederum mit starker Beteiligung aus Graz.
Beim Hochgeschwindigkeitsnetz hat Deutschland einigen Aufholbedarf. Die DB kündigte daher an, es von derzeit 1000 auf 1500 Kilometer ausbauen zu wollen. Auf dem ÖBB-Netz sind ICE-Züge aktuell auf Strecken von Österreich nach Deutschland über Passau im Einsatz und erreichen hier 230 km/h – so viel wie die Railjets, ebenfalls eine Siemens-Entwicklung.