Der Zeitpunkt konnte kaum günstiger sein: Inmitten der Bitcoin-Rekordjagd geht mit Coinbase ein Schwergewicht der Krypto-Branche an die Börse. Seit dem heutigen Mittwoch kann die größte US-Handelsplattform für digitale Währungen selbst als Aktie gekauft werden. Die Finanzmärkte fieberten seit Wochen dem Debüt entgegen. Für die boomende Nische der Cyberdevisen, die lange als abenteuerliche Randerscheinung der Finanzwelt abgetan worden war, ist es ein Meilenstein auf dem Weg in den Wall-Street-Mainstream. Schon im Vorfeld stieg der Kurs von Bitcoin auf mehr als 64.000 US-Dollar.
Die Premiere an der Tech-Börse Nasdaq erreichte tatsächlich gewaltige Dimensionen: Der Einstandskurs lag mit 381 Dollar mehr als 50 Prozent über dem Referenzpreis. Coinbase erreichte eine Gesamtbewertung von knapp 100 Milliarden Dollar (84,06 Milliarden Euro) und wird damit aktuell höher gehandelt als jeder "herkömmliche" Börsenbetreiber.
Im weiteren Handelsverlauf stieg der Kurs der Coinbase-Aktien weiter auf 425 Dollar. Das Unternehmen aus San Francisco profitiert stark vom Krypto-Boom, der die älteste und bekannteste Digitalwährung Bitcoin zur Wochenmitte zeitweise auf ein Rekordhoch bei fast 65.000 Dollar trieb.
Bei der Premiere an der Nasdaq handelte es sich nicht um einen klassischen Börsengang, sondern eine Direktplatzierung. Da diese ohne ein vorheriges Preisbildungsverfahren durch Investmentbanken stattfand, war der Referenzpreis nur eine vage Richtschnur und kein direkter Indikator für den Einstandskurs.
"Die Krypto-Ökonomie beginnt gerade erst", verspricht Coinbase-Mitgründer und Vorstandschef Brian Armstrong Anlegern vor dem Börsengang. Tatsächlich befindet sich sein Unternehmen auf der größten Erfolgswelle seit der Gründung im Jahr 2012. Allein im ersten Quartal dürfte der Nettogewinn zwischen 730 Millionen und 800 Millionen Dollar gelegen haben, wie Coinbase kürzlich mitteilte. Das wäre mehr als doppelt so viel wie im gesamten vergangenen Jahr.
Kräftiges Umsatzwachstum
Beim Umsatz rechnet Coinbase für die drei Monate bis Ende März mit 1,8 Milliarden Dollar, auch dieser Wert würde das Gesamtergebnis von 1,3 Milliarden Dollar aus dem Vorjahr deutlich übertreffen. Die Nutzerzahlen stiegen während der jüngsten Krypto-Rallye kräftig und lagen zuletzt bei 56 Millionen. Mit dem Quartalsbericht gelang es Coinbase, vor dem Börsengang ein beeindruckendes Rufzeichen zu setzen. Aber wie steht es um die langfristigen Erfolgsaussichten?
Coinbase-Chef Armstrong selbst macht keinen Hehl daraus, dass der aktuelle Höhenflug keine besonders zuverlässigen Aussagen über die Zukunft zulässt. Die Profitabilität des Unternehmens steht und fällt mit den Kursen und dem Handelsvolumen von Krypto-Währungen wie Bitcoin, da es in erster Linie an Gebühren verdient. So gesehen gebe es eine "immanente Unberechenbarkeit", wie Coinbase selbst einräumt. In der Vergangenheit war das Geschäft extremen Schwankungen unterworfen.
Auf Rallye folgte Crash
Während des Krypto-Crashes im Jahr 2018 etwa, als der Bitcoin-Preis um über 70 Prozent abstürzte – und jener anderer Cyber-Währungen wie Ethereum noch stärker –, brach das Geschäft von Coinbase genauso ein. Auch das Folgejahr 2019, als die meisten Krypto-Anlagen vor sich hin dümpelten, war für Coinbase wenig lukrativ und wurde mit einem Minus von 30,4 Millionen Dollar abgeschlossen. 2020 setzte dann die große Rallye ein und die Transaktionserlöse stiegen um 137 Prozent.
Armstrong ist sich der Risiken bewusst: "Wir könnten Geld verlieren", warnt er Investoren. Ziel des Unternehmens sei es derzeit, in etwa am "break-even point" zu operieren, also an der Gewinnschwelle. Coinbase habe sich jedoch immer schon langfristig orientiert und gehe davon aus, dass die Krypto-Branche ihr Potenzial erst in Zukunft voll entfalte. "Wir suchen nach langfristigen Investoren, die an unsere Mission glauben", erklärt Armstrong.
Experten sehen jedoch nicht nur die heftigen Schwankungen bei Krypto-Kursen und beim Handelsvolumen mit Bedenken. Anleger müssen sich auch über regulatorische Risiken im Klaren sein. Jesse Powell, der Chef des Coinbase-Rivalen Kraken, warnte kürzlich im Finanzsender CNBC vor einem "Durchgreifen" von Regierungen gegen digitale Währungen. Überraschend käme dies in der Tat nicht – Bitcoins geraten immer wieder durch illegale Verwendungen in die Kritik und gelten nicht nur in den USA schon lange als aufsichtsrechtliche Baustelle.
Kritik von Kunden
Coinbase hat allerdings noch andere Probleme, die im aktuellen Hype leicht untergehen. So steht das Unternehmen, das "ein offenes Finanzsystem für die Welt zu schaffen" als seine Mission und "mehr wirtschaftliche Freiheit für jede Person und Firma" als seine Vision beschreibt, immer wieder wegen seines Kundenservices in der Kritik. In Foren auf der Diskussionsplattform Reddit etwa klagten etliche Kunden, dass ihre Accounts ohne erklärten Grund eingefroren worden seien. Zudem gibt es Berichte über gekaperte Nutzerkonten.
Die Anschuldigungen haben schon zu mindestens einer Sammelklage geführt. Coinbase rechtfertigt sich mit dem Ansturm von Kunden. Die hohe Nachfrage führe zu einzigartigen Herausforderungen. Das Unternehmen habe aber schon 2000 zusätzliche Mitarbeiter im Kundenservice angestellt. Coinbase betont zudem, noch nie gehackt worden zu sein. Cyber-Angriffe und technische Pannen sind für Krypto-Börsen ein sensibles Thema, nicht zuletzt wegen des Zusammenbruchs des einst mit Abstand größten Handelsplatzes Mt. Gox. Die Insolvenz hatte den Bitcoin-Markt 2014 in eine tiefe Krise gestürzt.