15.972 rein elektrisch betriebene Fahrzeuge wurden im Jahr 2020 in Österreich zugelassen, im ersten Quartal dieses Jahres stehen 6620 E-Pkw in der Statistik, ein Plus von 172,7 Prozent – das Modell Tesla 3 führt sogar die aktuelle März-Statistik in der Gesamtauswertung an (vor Fiat 500 und Skoda Octavia). Österreich liegt damit auch in der europäischen Spitzengruppe. Seit auch die großen Fahrzeughersteller umschwenken und die Reichweiten von Modell zu Modell zunehmen, scheint der Durchmarsch der Stromer nicht mehr zu stoppen zu sein.
EU-weit zeigt sich die Entwicklung ähnlich: 2019 wurden 89,4 Prozent aller 2019 in der EU zugelassenen Neufahrzeuge mit Benzin oder Diesel betrieben, während 6 Prozent auf Hybridelektrofahrzeuge entfielen, 3 Prozent auf elektrisch aufladbare Fahrzeuge und 1,6 Prozent auf alle mit anderen alternativen Kraftstoffen betriebenen Fahrzeuge (z. B. Gas oder Wasserstoff). Im Pandemie-Jahr 2020 hat das elektrisch aufladbare Segment (Batterie- und Plug-in-Hybrid-Elektrofahrzeuge) seinen Marktanteil erheblich erhöht, es fielen bereits 10,5 Prozent der Neuzulassungen auf dieses Segment. Bis 2025 soll sich die Produktion von E-Fahrzeugen versechsfachen, man rechnet mit vier Millionen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen jährlich.
Weit von Zielen des "Green Deal" entfernt
Mit der explosionsartigen Vermehrung der E-Fahrzeuge kommt die dafür nötige Ladeinfrastruktur nicht nach; das alles müsste besser laufen, stellte nun der Europäische Rechnungshof (ECA) in einem umfassenden Bericht fest. Der im „Green Deal“ festgehaltene Plan, bis 2025 in den EU-Ländern eine Million Ladestellen einzurichten, sei ein Ziel, von dem man noch weit entfernt sei, monieren die Luxemburger Prüfer, die zu Testzwecken sogar selbst mit einem Elektrofahrzeug ausrückten, um Ladestationen in Deutschland, Frankreich und Italien zu prüfen.
Der Aufbau der Ladenetze halte mit dem zunehmenden Marktanteil der Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge nicht mehr Schritt, heißt es in dem Bericht: „Letztes Jahr war jedes zehnte in der EU verkaufte Fahrzeug elektrisch aufladbar, doch Ladeinfrastruktur ist in der EU nicht überall gleich zugänglich. Wir sind der Auffassung, dass die Kommission mehr tun sollte, um die EU-weite Netzabdeckung zu unterstützen und sicherzustellen, dass Mittel dorthin fließen, wo sie am dringendsten benötigt werden“, sagt Rechnungshof-Mitglied Ladislav Balko. Ein „Teufelskreis“, wie die Prüfer selbst sagen: Ladeinfrastruktur sei eine Voraussetzung für mehr Elektromobilität – „damit diese Infrastruktur gebaut wird, muss jedoch sicherer sein, dass Elektrofahrzeuge auch tatsächlich angenommen werden.“
Österreich holt die EU-Mittel ab
Zwar unterstützt die EU die Mitgliedsländer durch diverse politische Instrumente, Koordinierung und Finanzierung, die Prüfer finden aber, dass keine umfassende Lückenanalyse durchgeführt wurde, um zu ermitteln, wie viele öffentlich zugängliche Ladestationen benötigt wurden, wo sie angesiedelt sein sollten und welche Ladeleistung sie bieten sollten. Die im Rahmen der Fazilität "Connecting Europe" (CEF) bereitgestellten Mittel seien nicht immer dorthin geflossen, wo sie am dringendsten gebraucht wurden, und es habe keine klaren und kohärenten Ziele oder einheitliche Mindestanforderungen an die Infrastruktur auf EU-Ebene gegeben, heißt es weiter: „Es gibt keinen strategischen Gesamtfahrplan für Fahrzeuge, Infrastruktur, Netze, Batterien, wirtschaftliche Anreize, Rohstoffe und digitale Dienste.“ Immer wieder gebe es Probleme, passende Standorte zu finden; immerhin gehört Österreich neben Deutschland, Italien und Frankreich zur Gruppe der Hauptnutznießer.
Kritisiert werden vor allem jene Problemstellen, die sich am anderen Ende des Konzepts, beim Kunden, im Alltag ansammeln. Völlig verschiedene Zahlungs- und Informationssysteme werden zum undurchschaubaren Dickicht. Laut den Prüfern gebe es zwischen den verschiedenen Netzen kaum koordinierte Informationen über Echtzeitverfügbarkeit, Ladedaten und Abrechnungsdetails, also keine harmonisierten Roamingsysteme.
Wer schon einmal in fremden Städten an fremden Ladesäulen versucht hat, sein Fahrzeug aufzuladen, weiß ein Lied davon zu singen. Der Standort der Station ist meistens abrufbar, es gibt aber keine Daten über Funktionsfähigkeit, Warteschlangen oder leicht vergleichbare Kostensituation. Immerhin: 2014 gab es in der EU (noch mit Großbritannien) 34.000 Ladepunkte, inzwischen kommt man auf 250.000 – deutlich weniger als jene 440.000, von denen ursprünglich die Rede war. Will man das 2025er-Ziel doch noch erreichen, müssten jährlich 150.000 Ladestationen dazukommen – 3000 jede Woche.
Österreich gehört zu den Musterschülern, wenn auch nur nach eigenen Vorgaben. Großbritannien (im Erhebungszeitraum noch EU-Mitglied) lag Ende 2020 weit über dem selbst gesetzten Ziel auf Platz eins (250 Prozent der Vorgaben), danach kommen Litauen, Niederlande, Lettland und dann schon Österreich. Zwölf Mitgliedsländer haben den Zielwert nicht einmal bis zur Hälfte erreicht. Schlusslicht ist Bulgarien (erst 7 Prozent der Vorgaben erfüllt), die Länder Schweden und Spanien haben keine Ziele festgelegt.
Prüfer verlangen einen neuen strategischen Fahrplan
Die EU-Kommission solle angesichts der derzeit laufenden Überarbeitung der politischen und rechtlichen Rahmenregelungen einen strategischen Fahrplan zur Erreichung der Ziele ausarbeiten und Mindeststandards festlegen. Die Prüfer empfehlen, Finanzmittel auf der Grundlage objektiver Kriterien und Lückenanalysen bereitzustellen, damit kofinanzierte Projekte allen Nutzern einen nichtdiskriminierenden Zugang bieten. Die EU-Fördermittel seien weder von einer Mindestbetriebsdauer noch von der Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs für alle Nutzer von Elektrofahrzeugen abhängig gemacht worden, außerdem kommt es häufig zu Verzögerungen und schwacher Auslastung des Angebots.
Grundlage für die Ladenetze ist die AFID, eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2014 über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe. Auch hier sieht der Rechnungshof einen dringenden Bedarf fürs Nachschärfen. Ursprünglich waren darin bereits 800.000 Ladepunkte bis 2020 enthalten, die Zahl ging „unterwegs“ ersatzlos verloren. Übrig blieb ein „empfohlener Richtwert“ von einem Ladepunkt pro zehn E-Fahrzeugen ohne Spezifizierung der geografischen Verteilung, der Bevölkerungsdichte oder der Netzabdeckung. Die Mitgliedsländer können selbst wesentliche Kriterien definieren und es bleiben folglich wichtige Detailfragen offen. Ein Beispiel von mehreren: Es wird nicht zwischen batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen und Plug-in-Hybrid-Elektrofahrzeugen unterschieden, deren Lademuster jedoch stark differieren. Die meisten der bestehenden Ladestationen sind darüber hinaus „langsame“ Geräte mit einer Leistung von bis zu 22 kW. Auf der positiven Seite merkt der Rechnungshof an, dass immerhin die EU-Standards für gemeinsame Ladestecker weitgehend übernommen wurden.
Die Kommission selbst verweist in ihrer Stellungnahme auf mangelnde Befugnisse, etwa bei der Koordination: dafür seien wieder einmal die Mitgliedsstaaten selbst zuständig. Als Problem zeige sich, dass in der EU noch nicht genügend Ladeanbieter vorhanden seien, um den flächendeckenden Ausbau voranzutreiben. Grundsätzlich nimmt man in Brüssel die Empfehlungen an. Bis Sommer soll ein neuer strategischer Aktionsplan vorliegen, der auch andere alternative Kraftstoffe einschließt.