Sie wurden mit Ballon-Rekordfahrten und der Weltumrundung im Solar-Flugzeug bekannt. Welche neuen Rekorde wollen Sie noch brechen?
BERTRAND PICCARD: Ich will wieder die Welt umrunden, doch anders als zuvor. Ich will meine 1000 Lösungen gegen den Klimawandel zu den Regierungschefs rund um den Globus bringen. Ich bleibe damit zwar am Boden, aber das ist wichtig.
Sie sprechen von der Solar-Impulse-Stiftung, die 1000 Projekte für eine CO2-neutrale Zukunft ausgezeichnet hat. Was sind Ihre nächsten Schritte?
Mein Ziel ist es jetzt, Regierungen und Unternehmen von diesen Lösungen zu überzeugen. Regierungen setzen sich hier Ziele ohne einen Plan, wie diese erreicht werden sollen. Sie wollen bis 2050 CO2-neutral werden und das Klima schützen. Das ist schon sehr gut. Ich will ihnen nun die Werkzeuge geben, um diese Ziele zu erreichen.
Ein Ziel Österreichs ist, bis 2030 keinen Strom mehr zu importieren und nur noch Ökostrom erzeugen. Aber niemand will die dafür nötigen Windkraftwerke in Sichtweite haben. Wie kann man diesen Widerspruch lösen.
Wir müssen aufhören, ständig über die Energieherstellung zu sprechen, sondern uns vielmehr auf das Sparen von Energie konzentrieren. 75 Prozent der weltweit hergestellten Energie wird verschwendet. Das Schlagwort ist daher Effizienz. Bei den meisten unserer 1000 Lösungen um Themen wie den sparsamen Einsatz von Wasser, Energie, natürlicher Ressourcen, um weniger Verschwendung von Lebensmittel. Das alles führt zu weniger CO2-Emmissionen. Und wenn wir damit aufhören Energie zu verschwenden, muss man auch nicht so viele neue Windräder bauen.
Aber Strom ist ja nicht unser einziges Problem.
Rund um den Globus wird Technologie verwendet, die mehr als 100 Jahre alt ist. Verbrennungsmotoren, schlecht isolierte Häuser, Heizen mit Öl, Gas und Kohle. All diese industriellen Prozesse sind von Gestern. Man muss sich nur einmal ansehen, wie viel Energie in einem Gebäude verloren geht. Das ist enorm. Und auch Verbrennungsmotoren haben eine Effizienz von höchstens 27 Prozent. Das ist ein Desaster. Zum Vergleich: Ein E-Motor hat eine Effizienz von 97 Prozent. Alles, was die Umwelt verschmutzt soll mit Technologie ersetzt werden, welche die Umwelt schützt. Und dank der deutlich höheren Effizienz bezahlt sich diese Modernisierung quasi selbst. Es gibt Profite, es werden Jobs geschaffen, man verdient Geld und kann damit auch die Umwelt schützen. So kann man Umwelt und Wirtschaft perfekt verknüpfen.
Die meisten Autobauer wollen in den kommenden 20 Jahren die Produktion von Verbrennungsmotoren stoppen. Haben wir noch so viel Zeit?
Es wird noch etwas dauern, um die Automobilindustrie in Richtung E-Motoren zu transformieren. Dennoch müssen wir das so schnell wie möglich machen. Es gibt darüberhinaus auch Technologien, die Verbrennungsmotoren sauberer machen. Darum geht bei Anti-Smog, eine der 1000 Lösungen der Solar-Impulse-Stiftung. Sie reduziert schädliche Partikel in Abgasen und reduziert den Treibstoffverbrauch um 20 Prozent. Der Einbau kostet 500 Euro. Für Vielfahrer kann sich das schon nach sechs Monaten rechnen. Es gibt also schon heute Möglichkeiten alte Technologie etwas sauberer zu machen, bis wir so weit sind, diese zu ersetzen. Und darum geht es bei den 1000 Lösungen. Diese kommen von Start-ups, von großen Konzernen, von der anderen Seite der Welt. Man kann beispielsweise in Gebäuden Energie sparen kann, in dem man das warme Wasser vom Duschen nutzt, um Wasser zu erwärmen. Das spart Energie und zahlt sich quasi selbst. Auch die Energie aus Fabriken lässt sich wieder verwerten. Mülldeponien emittieren Methan, ein Desaster für das Klima. Doch man kann das Methan sammeln und damit Strom und Wärme erzeugen. Auch Wasserkraft lässt sich mit sogenannten archimedischen Schrauben auch in kleinen Flüssen und Bächen nutzbar machen, ohne Fischen den Weg zu blockieren. Es gibt also neue Wege Energie zu erzeugen und neue Wege Energie zu sparen. Es gibt so viele Lösungen, man muss sie nur umsetzen.
Während der Corona-Lockdowns wurde weniger CO2 ausgestoßen, es gab weniger Flüge, die Kanäle in Venedig waren klar wie nie. Ist Verzicht ein möglicher Weg, das Klima zu retten?
Ich bin entschieden gegen das Einschrumpfen der Wirtschaft, gegen das Herunterfahren von Mobilität, Komfort oder dem Lebensstil der Menschen. Das führt zu enormen sozialen Kosten, wie die Covid-Krise gezeigt hat. Millionen Menschen haben ihren Job verloren, tausende Firmen gingen bankrot. Das führt zu viel sozialem Leid und das darf man nicht erlauben. Aber ich bin auch entschieden gegen das unlimitierte quantitative wirtschaftliche Wachstum, das der Umwelt enorm schadet. Es geht vielmehr um qualitatives Wachstum. In dem man Umweltverschmutzung mit Technologie ersetzt, welche die Umwelt schützt, werden Jobs geschaffen und Profite erwirtschaftet. Anstatt das Bruttoinlandsprodukt mit Konsum zu verknüpfen, sollte man es mit Effizienz verknüpfen.
Viele junge Menschen engagieren sich derzeit in der Fridays-for-Future-Bewegung. Sie setzen sich seit Jahrzehnten für den Klimaschutz ein. Welche Tipps haben Sie für die Jugend?
Es gibt eine tolle Synergie zwischen dieser Bewegung und dem, was ich mache. Die Jugend erzeugt politischen Druck und das ist sehr wichtig. Aber alleine reicht das nicht. Ich habe Lösungen für den Klimawandel. Doch auch das reicht alleine nicht aus. Regierung denken weiterhin, dass sie noch Zeit hätten und nicht sofort handeln müssten. Wenn wir also den politischen Druck der Jugend mit meinen Klimaschutz-Lösungen zusammenbringen, könnten wir zusammen einen richtigen Wandel bewirken. Die Fridays-for-Future-Jugend solle auch versuchen inklusiv zu sein und nicht exklusiv. Das Ziel ist nicht, die Industrie zu attackieren, sondern sie dazu zu bringen, sich zu verändern. Und die Notwendigkeit zur Veränderung wird stärker. Es gibt schon heute Ölfirmen, die in die Stromerzeugung mit Wasserstoff einsteigen, weil sie wissen, dass sie sich anpassen müssen. Die US-Firma Schlumberger ist so ein Beispiel. Die Bohren üblicherweise nach Öl. Nun haben sie ein Spin-off gegründet, das in Städten Erdwärme-Bohrungen macht und Wärmepumpen installiert. Es ist schon einiges in Bewegung und nun müssen wir weiter auf mehr Veränderung pochen. Wir müssen die Industrie auf einen richtigen, umweltfreundlichen Pfad bringen. Es reicht nicht die Wirtschaft einfach zu kritisieren oder zu verlangen, dass der Flugverkehr gestoppt wird, der Autoverkehr und alles andere. Das wird nicht funktionieren, das sorgt nur für mehr Widerstand.
Und was kann jeder persönlich verändern, um das Klima zu schonen, ohne dabei auf den eigenen Komfort zu verzichten?
Jeder kann heute Geräte nutzen, die Energie sparen wie LED-Glühbirnenoder oder Thermostate an Heizkörpern anbringen. Hausbesitzer können Dach und Außenwände isolieren und eine Wärmepumpe als Heizung installieren. Man kann ein Auto kaufen, das weniger Treibstoff braucht oder ganz auf ein E-Auto umsteigen. Und auch der Konsum kann verändert werden. Wir müssen aufhören, hunderte T-Shirts um fünf Euro zu kaufen, die von der anderen Seite der Welt kommen und im Schnitt nur eineinhalb Mal getragen werden. Wir müssen weniger kaufen, dafür von besserer Qualität. Es ist ja unsinnig, das alles zu verschwenden. Wir essen außerdem zu viel Fleisch und Fisch. Es ist immer besser, von lokalen Bauern und Produzenten zu kaufen. Und natürlich ist es gut, in fremden Ländern Urlaub zu machen. Das erweitert den Horizont. Doch es ist lächerlich, einen Billigflug zu nehmen, um in einer anderen Stadt für ein, zwei Tage Kaffee zu trinken. Das ist Energie-Verschwendung und Geldverschwendung.
Was sollte auf Regierungsebene geschehen?
Die heute gültigen Regulierenungen, die Standards, die Normen, basieren auch auf Technologien, die 100 Jahre alt sind. Wir müssen daher unsere Vorschriften modernisieren. So viele Firmen sagen heute, was wir machen ist legal, warum sollte ich das ändern. Klar es verschmutzt die Umwelt, aber warum soll ich besser sein als mein Nachbar. Deshalb müssen Gesetze und Regeln auf heutiger Technologie basieren und nicht auf 50 oder 100 Jahre alter Technik. Nur so können alle dazu gebracht werden, effizienter und umweltfreundlicher zu agieren und zu leben.
Die EU investiert 750 Milliarden Euro in den European Green Deal. Was wäre jetzt am wichtigsten?
Das Geld muss in die Sektoren gehen, die eine Zukunft haben und das bedeutet: Modernisieren der Infrastruktur. Wenn wir jetzt der Automobilindustrie Geld geben, um schwere SUV zu produzieren, ist das Geldverschwendung. Denn solche SUV werden in zehn Jahren in Städten wohl sowieso verboten sein. Was wir brauchen ist mehr Effizienz - bei der Energieerzeugung, beim Wasserverbrauch, bei Bodenschätzen, in der Abfallwirtschaft. 95 Prozent des Abfalls wird derzeit verschwendet. Wir sollten in Strom aus Wind, Wasser oder Sonnenlicht investieren. Das ist wesentlich billiger als Strom aus Öl, Gas, Kohle oder Kernspaltung. Außerdem müssen wir in die Wasserstoff-Wirtschaft investieren. Wasserstoff eignet sich sehr gut um Strom zu speichern, wenn ein Überschuss an Sonnen- oder Windstrom herrscht. Diese Energie kann später genutzt werden, für Mobilität, für die Industrie, zur Stahlproduktion oder um Wohnraum zu heizen.
Der Einsatz von Wasserstoff wird auch in der Autoindustrie kontrovers diskutiert. Sind Batterien hier nicht besser?
Batterien sind besser für kleine Autos und die leichte Mobilität, wie E-Bikes, da die Effizienz höher ist. Aber es gibt auch Lkw, Züge, Schiffe oder Flugzeuge. Hier ist das Gewicht von Batterien einfach zu hoch, daher muss man in diesen Fällen auf Wasserstoff setzen. Aber natürlich nur, wenn dieser mit erneuerbarer Energie hergestellt wird.
Sie haben die Atomkraft erwähnt. Microsoftgründer Bill Gates sieht darin eine Schlüsseltechnologie, um den Klimawandel zu stoppen. Wie stehen Sie zu dieser Frage?
Aktuelle Kernkraftwerke erzeugen Strom durch die Spaltung von Uran oder Plutonium. Das ist eine alte Technologie und viel zu teuer im Vergleich zu Sonnen- oder Windenergie. Außerdem fällt gefährlicher Atommüll an. Bill Gates spricht aber den Ausbau von Kraftwerken auf Thorium-Basis. Und so wie ich das verstehe, wäre das eine gute Lösung. Diese Technologie ist nicht so gefährlich und der anfallende nukleare Abfall hat eine deutlich kürzere Halbwertszeit.
Hat Österreich als alpines Land eigentlich andere Herausforderungen durch den Klimawandel als andere Regionen?
Natürlich werden alpine Länder leiden. Aber alle werden leiden, auch die kalten, trockenen und heißen Länder. Aber kleine Staaten wie Österreich können das Klima auch nicht im Alleingang retten. Aber was man sehr wohl machen kann, ist die Infrastruktur zu modernisieren und zwar die gesamte Energieerzeugung. Auch die Nutzung von Rohstoffen muss effizienter werden. Damit kann man nicht nur zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen, Österreich wird dadurch auch zu einem reicheren Land, da weniger Energie verschwendet wird. Selbst wenn es keinen Klimawandel geben würde, wäre es nur logisch, die Infrastruktur zu modernisieren. Und so kann man sogar die Klimawandel-Leugner überzeugen. Denn auch die sind sicher für mehr Profite und mehr Arbeitsplätze.
Der Klimawandel ist seit den 1980er-Jahren bekannt, das Kioto-Abkommen stammt aus 1991. Wie kann man verhindern, dass wir wieder 30 Jahre verstreichen lassen, ohne etwas zu tun?
Kioto ist ein Vertrag über das Handeln mit CO2-Emissionen. Das Ziel ist aber nicht damit zu handeln, sondern den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Diese internationalen Abkommen funktionieren heute einfach nicht. Es gibt Klima-Konferenzen, die keinen Erfolg bringen. Denn es ist einfach schwierig, einen Konsens zwischen Ländern zustande zu bringen, die komplett andere Einnahmequellen und unterschiedliche Lebensstandards haben. Dieses Versagen erzeugt Frustration und das bringt immer mehr Regionen und Unternehmen dazu, endlich selbst zu handeln. Das ist positiv. Ich habe das bei den vergangenen Klimakonferenzen selbst erlebt, wie Länder und Industrievertreter sich über dieses Scheitern geärgert haben und jetzt einfach selbst ihren Teil zur Veränderung beitragen wollen.
Roman Vilgut