Die Verführungen warten überall im Arbeitsalltag. Die paar liegen gebliebenen Akten, das ergänzende Projekt, der schnelle Zusatzauftrag des Chefs, die private Bitte des Kollegen: Es gibt immer was – und noch ein bisschen mehr – zu tun.
Und weil es ja interessant, man pflichtbewusst oder ehrgeizig ist und Unproduktivsein nicht zu ertragen ist, macht man es eben. Nicht einmal ungern, weil während der Arbeit – unter Hochdruck vor allem – Adrenalin und am Ende Dopamin und Endorphin für ein Glücksgefühl sorgen. Dazu gibt’s vielleicht noch Lob, Anerkennung oder eine Beförderung – und fertig ist ein drogenähnlicher Mix, der aus arbeitseifrigen Menschen arbeitssüchtige macht. Workaholics. Job-Junkies.
Tatsächlich sieht man den Betroffenen ihre Sucht zwar nicht an, das Verhalten von Arbeitssüchtigen unterscheidet sich aber nicht wesentlich von dem von Alkoholikern und Drogenabhängigen, Mager- und Spielsüchtigen: Sie alle sind auf der ständigen Suche nach dem Stoff, der sie betäubt. Die Worte „Nein!“, „Genug!“ oder „Stopp!“ existieren nicht.
" ... weil die Arbeit halt immer Vorrang hat"
So sind auch die Folgen dieser pathologischen Fixierung auf ein Glücksversprechen deckungsgleich: „Man vernachlässigt die Familie, sagt immer öfter Termine mit Freunden ab, arbeitet an Wochenenden und im Urlaub, weil die Arbeit halt immer Vorrang hat“, beschreibt Franz seinen Weg in die Sucht. Franz heißt in Wirklichkeit anders, was bei der Selbsthilfegruppe der „Anonymen Arbeitssüchtigen“ aber egal ist. Hier werden keine Mitgliederlisten geführt, keine Vorschriften gemacht. Es steht das Phänomen, nicht die Person im Fokus. So trifft man sich regelmäßig, um „offen darüber zu reden, wie verrückt man eigentlich unterwegs ist“, sagt Franz.
Der Zugang ist niederschwellig: „Was es braucht, ist das Eingeständnis, nicht normal zu sein, und die Bereitschaft, etwas dagegen tun zu wollen“, erklärt Franz. Das Selbsthilfemodell kommt aus den USA, wo 1983 Workaholics Anonymous nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker in New York entstand. In den frühen 1990er-Jahren fand das erste deutschsprachige Treffen statt, die Grazer AAS-Gruppe gibt es seit September 2016. Österreichweit gibt es noch fünf weitere.
Im Strudel der Arbeit eingesaugt
Was die Teilnehmenden eint, ist, dass ihnen der gesunde Umgang mit Arbeit und Beschäftigung abhandengekommen ist. Sie haben sich einsaugen lassen von einem Strudel aus immer mehr Arbeit. Mit bisweilen fatalen Folgen. Denn nicht nur, dass viele Arbeitssüchtige trotz enormem Einsatz immer unproduktiver werden, auch der Lustgewinn nimmt mit Fortdauer ab. Bis sie schließlich zusammenbrechen. Burnout. Die Wege dorthin folgen keinen fixen Mustern.
Den „typischen“ Workaholic gibt es nicht. Die Vorstellung des von Arbeit besessenen Managers, der rund um die Uhr „in der Arbeit“ ist und erreichbar sein muss, entspricht einer klischeehaften Vorstellung von Arbeitssucht. Sie äußert sich facettenreicher. Manchmal unbemerkt im Stillen, in nicht enden wollender Genauigkeit, die einen am Abschluss einer Arbeit hindert. Andere sind gelenkt von einem Gefühl der Unersetzbarkeit, denken, selbst alles besser zu können und dass ohne sie nichts funktioniert. Dritten stehen ihre selbst auferlegten hohen Ansprüche im Weg, sodass das Ausmaß der investierten Zeit steigt. Freizeit und Arbeit verschwimmen mehr und mehr. Es kommt zu typischen Suchtmerkmalen wie Kontrollverlust und Abstinenzunfähigkeit bis hin zu Entzugserscheinungen.
Wie Drogenabhängige erhöhen Arbeitssüchtige daher die Dosis und arbeiten noch mehr, um in den „Arbeitsrausch“ zu kommen. Arbeitssucht kann aber auch durch mangelnde Flexibilität oder Entscheidungsschwäche gekennzeichnet sein. Man arbeitet immer mehr in der Hoffnung, so leichter entscheiden zu können. Oder man findet über die „kleine Schwester“ der Arbeitssucht – die Arbeitsvermeidung – ins Dilemma: „Man schiebt etwas ewig vor sich her, bis der Zeitdruck so groß ist, dass man Tag und Nacht arbeiten muss und kein vernünftiges Maß mehr findet“, beschreibt Franz. Einer der ersten Hilfsschritte daher: strikte Tagespläne erstellen. Der wichtigste Teil dabei: Pausen festlegen.
Klaus Höfler