"Testen und Impfen können gar nicht so teuer sein, dass es nicht billiger ist als eine Verlängerung dieser wirtschaftlichen Situation": Der Appell von Wifo-Chef Christoph Badelt anlässlich der Präsentation der jüngsten Konjunkturprognose war nicht zu überhören. "Der Schlüssel zur Lösung der wirtschaftlichen Krise liegt in der Gesundheitspolitik. Bevor die Pandemie im Zaum ist, kann es keinen Aufschwung geben."
Wie sich die heimische Wirtschaft heuer und im nächsten Jahr entwickeln wird, hängt folglich stark von vom weiteren Verlauf der Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie ab: Zwischen Schließungen und Öffnungen zeichnen die Wirtschaftsforscher des Wifo zwei Szenarien.
"Schwung im Frühjahr"
Beim - unwahrscheinlichen - Öffnungszenario ohne neuerliche Verschärfungen oder Lockdowns und einer schrittweisen Aufhebung bestehender Beschränkungen, käme Österreichs Wirtschaft schon im Frühjahr in Schwung. Wifo-Chef Christoph Badelt sieht in diesem Fall ein BIP-Wachstum von 2,3 Prozent im Jahr 2021 und von 4,3 Prozent im Jahr 2022.
Sollten allerdings, und in diese Richtung deuten derzeit wegen steigender Inzidenzen alle Signale, die Wirtschaft in einen strengen vierwöchigen Lockdown müssen, verzögert sich die Erholung der heimischen Wirtschaft weiter: Das Wirtschaftswachstum würde bescheidene 1,5 Prozent betragen, im Folgejahr 4,7 Prozent, da durch die verzögerte Erholung das Wachstum 2022 entsprechend kräftiger ausfallen würde. Das Bruttoinlandsprodukt würde gegenüber dem Öffnungsszenario um drei Milliarden Euro sinken. "Das ist ein ausgewachsener Elefantenbulle und nicht nur ein Babyelefant", so Badelt. Erst Ende 2022/Anfang 2023 werde Österreichs Wirtschaft wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben.
"Ein soziales Mysterium"
Also: Je massiver die Lockdown-Maßnahmen, desto stärker die Einbremsung der Wirtschaft. Wobei für Badelt es "schon ein soziales Mysterium" ist, warum etwa die Schweiz trotz ähnlicher oder teils höherer Infektionszahlen mit geringeren Einschränkungen auskommen konnte.
Zuversichtlicher als das Wifo zeigt sich das Institut für Höhere Studien (IHS), das für heuer ein Wachstum von 2,6 Prozent erwartet. Jede Woche Lockdown aber würde Österreich 400 bis 800 Millionen Euro an Wirtschaftsleistung kosten. Vier Wochen Lockdown würde das Wirtschaftswachstum auf 2,0 Prozent senken, so Michael Reiter, Prognoseverantwortlicher am IHS. Bei breiter Durchimpfung der Bevölkerung könnte es heuer im zweiten Halbjahr bereits ein kräftiges Wachstum geben. Heuer bis März dürfte die heimische Wirtschaft laut IHS um 1,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal geschrumpft sein.
Insgesamt sei die Wirtschaft aber "sehr gut aufgestellt", so Reiter, um "relativ schnell zu solidem und dauerhaftem Wachstum zurückzukehren". Die "gute Investitionssituation der Betriebe und der recht gute finanzielle Polster der Haushalte" gäben Anlass zu Optimismus. Auch der Welthandel entwickle sich – außerhalb der EU - ebenfalls sehr positiv, so Reiter.
Längere Belastung am Arbeitsmarkt
Wenig davon zu spüren bekommt die Problemzone Arbeitsmarkt. Die Beschäftigung dürfte zwar deutlich steigen, dies gehe jedoch laut Wifo-Prognose nur zum Teil auf die Einstellung Arbeitsloser zurück. In beiden Wifo-Szenarien sind mehr als 400.000 Menschen arbeitslos oder in Schulungen. Die Sockelarbeitslosigkeit und Zahl an Langzeitarbeitlosen wächst: "Ein soziales und ökonomisches Problem", warnt Badelt. Er rät zu Prävention, Qualifizierung, Bildungsinitiativen und einer "unideologischen Diskussion von direkten Beschäftigungsprojekten" wie die Aktion 20.000 oder 40.000.
Kurzarbeit werde man länger brauchen, sie müsse aber nach Branchen differenziert werden.
Das IHS sieht die Prognose-Risiken weiter als hoch an - wegen der Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Pandemie. Anhaltend hohe Infektionszahlen, etwa durch eine stockende Impf-Ausrollung oder ein Überhandnehmen infektiöserer Virusmutationen würden die Erholung verzögern. Ein weiteres Risiko sieht man im hohen Niveau an "Zwangs- und Vorsichtssparen". IHS-Experte Helmut Hofer geht freilich davon aus, dass ein großer Teil davon erzwungenes Sparen ist.
Reiseverkehr kommt nur nach und nach in Schwung
Nur langsam erholen werde sich der Tourismus: In Folge der behördlichen COVID-19-Maßnahmen fiel die touristische Wintersaison beinahe vollständig aus. Die Reiseverkehrsexporte und die Wertschöpfung im Bereich Gastronomie und Beherbergung dürften 2021 nach einem drastischen Rückgang im Vorjahr neuerlich sinken. Auch im Sommer wird der Tourismus nur langsam in Schwung kommen. Für 2022 ist hingegen aufgrund des niedrigen Ausgangsniveaus mit kräftigen Zuwächsen zu rechnen.
Stärkster Einbruch seit 1930er Jahren
In Österreich hat die Coronapandemie voriges Jahr mit den Maßnahmen zu ihrer Eindämmung "den stärksten Einbruch der Weltwirtschaft seit den 1930er Jahren verursacht", erinnert das IHS: Das reale BIP ist 2020 um 6,6 Prozent abgesackt. Stark rückläufig waren etwa die Aus- und Einfuhren mit -10,4 bzw. -10,2 Prozent. Vor allem der Reiseverkehr litt unter der Pandemie. Nach der kräftigen Erholung im Sommer brach die Wirtschaftsleistung wegen des neuerlichen Lockdowns im Schlussquartal wieder ein - sie lag um 2,7 Prozent unter dem Vorquartal und um 5,9 Prozent unter dem Vorjahresquartal.