Die Wirtschaft hat mit teils scharfer Kritik auf die Corona-Beschlüsse des deutschen Bund-Länder-Gipfels reagiert. "Bund und Länder agieren nur noch im Tunnelmodus", sagte der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes HDE, Stefan Genth, am Dienstag. "Die alleinige Fixierung auf die Corona-Inzidenzwerte wird der komplexen Lage nicht gerecht." Genth forderte die Öffnung von Geschäften. Kritik kam auch von der Veranstaltungswirtschaft und von Handwerksvertretern.
Infektionsgefahr beim Einkauf gering
Die Corona-Maßnahmen müssten sich an den wissenschaftlichen Fakten orientieren, verlangt der Handel. "Und die zeigen, dass die Infektionsgefahr beim Einkaufen niedrig ist", so Genth. Es sei deshalb höchste Zeit, die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen und alle Geschäfte unter Einhaltung strikter Hygienekonzepte wieder zu öffnen. Im Nicht-Lebensmittelhandel hinterlasse der seit drei Monaten andauernde Lockdown tiefe Spuren. Gut jeder zweite Händler von Bekleidung, Schuhen und Lederwaren sehe sich in Insolvenzgefahr. "Nach einem Jahr mit Corona ist die Lage bei vielen Händlern verzweifelt, vielerorts gibt es keine Hoffnung mehr, diese Krise wirtschaftlich überstehen zu können."
"Schließung am Gründonnerstag kontraproduktiv"
Als kontraproduktiv sieht der Einzelhandelsverband HDE die Schließung auch der Lebensmittelhändler an Gründonnerstag. Das führe zu erhöhtem Kundenandrang am vorhergehenden Mittwoch und dem folgenden Ostersamstag. "Den Lebensmittelhandel mit seinen nachweislich hervorragend funktionierenden Hygienekonzepten symbolisch für einen Tag zuzumachen, hilft im Kampf gegen die Pandemie nicht weiter", sagte Genth.
Keine Qurantänepflicht beschlossen
Die Reisebranche zeigte sich dagegen erleichtert, dass keine Quarantänepflicht bei der Rückkehr von Urlaubern aus Nicht-Risiko-Gebieten beschlossen wurde. Der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), Norbert Fiebig, plädierte im ZDF auch dafür, Inlandsreisen zu ermöglichen, wo dies "gesundheitlich vertretbar" sei. Dies sei wichtig, damit die Branche wieder auf die Beine kommen könne. Dazu seien Fortschritte bei den Impfungen und ein "intelligentes Testverfahren" nötig.
Die Veranstaltungswirtschaft lehnte die Corona-Beschlüsse ab. Statt der in Aussicht gestellten Öffnungen rudere die Politik getrieben von Inzidenzen und kurzfristigen Handlungshorizonten zurück, erklärte der Fachverband Famab. Die vollmundig angekündigte Öffnungsstrategie ertrinke in einem Meer operativer Fehler. "Wir sind länger im Lockdown als jeder andere Sektor", sagte Famab-Experte Jörn Huber. Die Branche brauche endlich ein verbindliches Signal aus der Politik.
Warnung vor breitflächigem Kollaps
Der Handwerksverband ZDH warnte vor einem breitflächigen Kollaps von Firmen. "Angesichts eines weiterhin fehlenden Planungshorizonts, dazu auch noch stockender oder unzureichender Überbrückungshilfen, werden viele Betriebe nicht überleben können", sagte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im ZDF. Die Autohändler fürchteten das Aus für viele Betriebe der Branche. "Wir können und dürfen nicht warten, bis die Pleitewelle rollt. Die Politik muss Handlungswege aufzeigen und darf unser Land nicht länger stilllegen", sagte Jürgen Karpinski, Präsident des Zentralverbandes Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Viele Existenzen im mittelständischen Kraftfahrzeuggewerbe stehen auf dem Spiel."
Am meisten gebeutelt: Hotels, Gastro, Reisebüros
Die Coronakrise setzt die Finanzen vieler Unternehmen in Deutschland unter Druck, wie aus einer Ifo-Umfrage hervorgeht. "Insbesondere Hotels, Gaststätten und Reisebüros spüren das", sagt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. "Viele Unternehmen haben Liquiditätsengpässe, die zu mehr Pleiten führen könnten." Am meisten gebeutelt fühlen sich bei den Dienstleistern die Hotels, die Gastronomie, die Reisebüros sowie die Vermieter von beweglichen Sachen. In der Industrie klagen die Hersteller von Bekleidung und die Getränke-Hersteller am stärksten über eine schlechte Finanzlage. Vergleichsweise entspannt sei die Lage für die Hersteller von Glas und Keramik, für die IT-Dienstleister, Hersteller von elektronischen und optischen Geräten sowie für die Chemiebranche.
Die Immobilienwirtschaft fordert unterdessen eine rasche Auszahlung von zusätzlichen Corona-Hilfen. In wenigen Sätzen am Ende des Bund-Länder-Beschlusses seien "vage zusätzliche Hilfsprogramme erwähnt. Diese müssen nun zügig konkret ausgestaltet und unbürokratisch ausgezahlt werden", sagt Andreas Mattner, Präsident des Spitzenverbandes Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er kritisiert zugleich die Gipfel-Debatte über die Reiserückkehrer. "Wie kann man stundenlang über Mallorca reden, wenn im Handel und in der Hotel-Branche täglich Existenzen zerstört werden", sagt Mattner. "Statt alternative Strategien zu erörtern, wie sie in vielen Staaten der Welt erfolgreich gefahren werden, wurde über den Nebenkriegsschauplatz Mallorca heftig gestritten."