Das Schreckgespenst der Inflation schien in den vergangenen Jahren vertrieben worden zu sein. Jetzt scheint es zurückzukehren. Der frühere US-Finanzminister Larry Summers attestierte unlängst sogar das größte Inflationsrisiko seit 40 Jahren. Zurecht?
CHRISTIAN JAUK: Die Notenbankenpolitik der letzten 30 Jahre war stärker geprägt durch Angst vor Deflation. Eine Inflation von zwei Prozent war ihr erklärtes Ziel, was negative Realzinsen erzeugte. Schlecht für Sparer, gut für Schuldner. Jetzt stehen nach sehr langer Zeit alle Zeichen auf Inflation. Die langen Zinsen reagieren bereits, vor allem in den USA. Das macht viele nervös.
Was spricht für eine steigende Inflation, was dagegen?
In der Corona-Zeit türmte sich ein gigantischer Nachholbedarf bei Konsum und Investitionen auf. Zum Stimulus der Notenbanken gesellen sich Konjunkturpakete der Staaten, die allesamt die Nachfrage beflügeln werden. Preissteigerungen bei Grund- und Rohstoffen sind bereits Realität. Die teilweise Rückkehr von ausgelagerten Produktionen ins Inland werden Produkte nicht billiger machen. Vieles davon wird sich aber mittelfristig wieder normalisieren. Die Löhne fallen derzeit noch als Preistreiber aus, obwohl Demografie und Arbeitskräftemangel bei technischen Berufen die Entwicklung ändern könnten.
Die Zentralbanken feuern aus allen Rohren, jetzt kommen noch Billionen an Corona-Hilfen dazu, wie lange kann diese nun schon seit Jahren anhaltende Geldpolitik noch gut gehen?
In jeder Krise gibt es Bedarf für temporäre Unterstützung. Das Zurückfahren dieser Instrumente fällt schwer, weil Regierungen kurzfristige Wahlergebnisse und nicht langfristige Reformen im Fokus haben. Menschen müssen dem Geldsystem vertrauen. Der Elch-Test für die Notenbanken steht noch aus. Die Entwicklung der Kryptowährungen sind ein Vorgeschmack vom Gegenteil.
Wenn die Inflation steigt, müssen die Notenbanken gegensteuern, was die Refinanzierungskosten für die hoch verschuldeten Staaten nach oben treiben würde. Welche Folgen hätte das?
Die EZB kündigte schon eine Ausweitung der Ankaufsprogramme für Staatspapiere an, um dem entgegenzuwirken. Wir leben im Zeitalter einer monetären Staatsfinanzierung, weil sich viele Staaten ihre Risikoaufschläge nicht leisten könnten. Gleichzeitig nimmt die EU erstmals Anleihen auf, was implizit zu einer Vergemeinschaftung der Schulden in der EU führt. Davon profitieren hoch verschuldete Staaten in der EU.
Wir erleben eine der schwersten Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte, gleichzeitig sehen wir mehrmals pro Woche an vielen Aktienmärkten neue Rekordhochs. Wie passt das zusammen?
Investoren engagieren sich primär in Immobilien und Aktien, mangels Alternativen. Rekordstände in beiden Sektoren sind die Folge. Die Geldschwemme der Notenbanken und die Inflationsängste begünstigen diese Entwicklung, trotz der teilweise sehr hohen Bewertung.
Auch die Preise für viele Rohstoffe schießen durch die Decke. Wie lässt sich das erklären?
Durch die schnellere Impfpolitik hat der Nachholbedarf in Asien und in den USA früher eingesetzt. Die Spekulation auf eine ordentliche Erholung befeuerte zusätzlich. Egal ob Rohstoffe, Energie oder Lebensmittel, alles verteuert derzeit unser Leben.
Was bedeuten all diese Entwicklungen für Anleger, was ist in einer solchen Gemengelage ratsam?
Die Flucht in Sachwerte begann schon vor vielen Jahren. Mehr denn je rate ich zur Diversifikation in jeder Hinsicht. Das große Wachstum findet meist außerhalb der EU statt. Aktien und Immobilien alleine sind kein Allheilmittel. Bei Letzterem darf der lange Arm des Staates nicht unterschätzt werden. Die Verteilungs- und Steuerdebatte steht erst am Beginn.
Besteht die Gefahr, dass die Gesundheits- und Wirtschaftskrise in einer Finanzkrise mündet?
Jede reale Wirtschaftskrise bildet sich zeitversetzt in den Bilanzen der Banken ab. Derzeit ist noch wenig erkennbar. Die Dimension hängt von vielen Faktoren ab. Der starke Staat ist zurück und viele Wähler fordern ihn ein. Das würde zunächst zwar die Wirtschaftskrise dämpfen, aber die nächsten Generationen mit Schulden belasten. Nur mit einer Wachstumsstrategie können wir dem entgegenwirken.
Jugendliche kennen Sparbuchzinsen oft nur noch aus Erzählungen – was bedeutet das pädagogisch für das Thema Sparen im Allgemeinen?
Die Zinspolitik der Notenbanken fördert eine Kultur des schnellen Konsumierens und des Schuldenmachens. Als Folge wächst die Verschuldung von Privaten immer stärker an. Kein Wunder, dass Regierungen den Privatkonkurs permanent erleichtern. Die Pensionsthematik wird für junge Menschen immer prekärer, weil negative Realzinsen die Lücke vergrößern. Am Kapitalmarkt, der in Österreich wenig beliebt ist, wird man nicht vorbeikommen. Zudem ist die politische Stärkung der privaten Pensionsvorsorge überfällig.
Trotz negativer Realverzinsung lag noch nie so viel Geld in Form täglich fälliger Spareinlagen auf der hohen Kante.
Corona schränkte die Möglichkeiten, Geld auszugeben, dramatisch ein. Zudem wusste niemand, wie lange die Pandemie dauern würde, die Menschen hatten Angst. Nicht nur die Einlagen bei Banken stiegen, sondern auch der Bargeldbestand.
Erwarten Sie heuer ein kräftiges wirtschaftliches Comeback in Österreich?
Vieles hängt vom Erfolg der Impfstrategie der Regierungen ab. Als Tourismusland sind wir zusätzlich von der Mobilität der Menschen abhängig. Österreich lag in der Vergangenheit im Wirtschaftswachstum immer über dem EU-Schnitt, in den letzten Monaten aber darunter. Ich bin optimistisch, dass wir am Ende besser als die relativ pessimistischen Prognosen der Experten abschneiden. Unabhängig davon muss Europa seine strangulierende Regulierung und seine bürokratischen Strukturen verschlanken, ansonsten werden wir wirtschaftlich immer weiter gegenüber den USA und Asien an Boden verlieren.
Welche Entwicklungen erwarten sie für den Bankenstandort Österreich, der in letzter Zeit auch wieder einige Rückschläge erlitten hat?
In Österreich gibt es zu viele Banken für zu wenig Geschäft. Eine Konsolidierung ist überfällig und mit dem Rückzug einiger Auslandsbanken bereits erkennbar. Wir sind eine erfolgreiche Bankengruppe mit mehreren Banken. Eine zeitnahe Zusammenführung unserer beiden Privatbanken (Capitalbank und Bankhaus Schelhammer & Schattera; Anm.) wäre sinnvoll, da wir aus einer Position der Stärke heraus agieren können. Für die Kunden müssen Vorteile erkennbar sein.