Der Bogen spannt sich von der weiten Weltpolitik bis in die weitverzweigten Winkel der Lokalpolitik. Und im Mittelpunkt stehen eine schicksalhafte Entscheidung für eine gesamte Industrieregion sowie schillernde Figuren der heimischen Wirtschaftsszene. Aber der Reihe nach. Seit im September des Vorjahres bekannt wurde, dass der Münchner Lastwagenbauer MAN ein Sparprogramm auf Schiene bringt, das auch den Standort Steyr mit seinen 2300 Beschäftigten als gesamtes infrage stellt, ist die Betroffenheit – weit über Oberösterreich hinaus – groß. Zumal sich längst bestätigt hat, dass MAN die Schließung bis 2023 durchziehen wird. Was aber nicht bedeuten soll, dass der Standort – außerhalb des MAN-Universums – keine Zukunft haben soll.

Das Ringen um das Werk hat dieser Tage einen neuen Höhepunkt erreicht. Im Mittelpunkt steht dabei der gebürtige Steirer, Investor und Multi-Unternehmer Siegfried Wolf. Mit ihm hat MAN in den vergangenen Wochen exklusiv über eine Nachnutzung verhandelt, der Aufsichtsrat in München hat am Freitag auch mehrheitlich grünes Licht für Wolfs Pläne gegeben, über die in den letzten Tagen immer mehr Details durchgesickert sind. Laut dem Konzept, das in Auszügen auch der Kleinen Zeitung vorliegt, würde Wolf den Standort mit seiner Firma WSA komplett übernehmen und 1250 Mitarbeiter der Stammbelegschaft (zuletzt 1950, exklusive Leiharbeiter) weiterbeschäftigen. Steyr soll sich, so der Plan, weg vom bisherigen Dasein als verlängerte Werkbank hin zu einem eigenständigen Hersteller und Kompetenzzentrum entwickeln.

Comeback einer Traditionsmarke

Wolf will auch die traditionsreiche Marke „Steyr“ wiederbeleben. Im Werk sollen dann u. a. E-Busse, Klein-Lkw und Lieferwagen gefertigt werden. Eine Schlüsselrolle soll der russische GAZ-Konzern spielen, an dem Wolf zehn Prozent hält. So sollen pro Jahr bis zu 12.000 Lkw-Fahrerkabinen nach Russland geliefert werden, Steyr soll überhaupt ein „Export-Hub“ werden, von dem aus Fahrzeuge in 44 Länder geliefert werden. Es ist von einer Achse „Steyr–Nischni Nowgorod“ (Hauptsitz der GAZ-Gruppe, die zum Wirtschaftsimperium von Russian Machines von Oleg Deripaska gehört) die Rede, bei der Teile in Steyr für GAZ gefertigt, aber auch umgekehrt Komponenten nach Oberösterreich geliefert werden.

Weiterbeschäftigungsprämie und Sozialplan

Die Einschnitte beim Personalstand sowie bei den Löhnen (bis zu 15 Prozent vom Nettolohn weniger) sollen über umfassende Sozialpakete abgefedert werden. Neben einer Einmalzahlung von 10.000 Euro sollen 30 Monatsgehälter sowie etwaige Jubiläumsgelder ausbezahlt werden. Auch jene Mitarbeiter, die übernommen werden, sollen auf bis zu 15 Prozent ihres Lohns verzichten, bekommen aber eine Weiterbeschäftigungsprämie in Höhe von 10.000 Euro. Es gehe darum, „Betroffene zu Beteiligten zu machen“, war zuletzt häufiger aus Wolfs Umfeld zu hören.

Der MAN-Konzern hat zuletzt deutlich aufs Tempo gedrückt und betont, dass die Schließung die einzige Alternative sei, sollte es keine Einigung mit Wolf geben. In Steyr selbst gab es in den vergangenen Tagen deutlich vernehmbare Unmutsbekundungen von Arbeiter-Betriebsrat Erich Schwarz, der von „fast erpresserischen Methoden“ gesprochen hatte. Das Kalkül dahinter: Einige Belegschaftsvertreter hoffen auf ein besseres Angebot durch eine alternative Interessensgruppe, die zuletzt auf den Plan getreten ist. Eine Gruppe unter der Federführung des Linzer Unternehmers Karl Egger (KeKelit), die von der Anwaltskanzlei Lansky/Ganzger beraten wird und bei der in der strategischen Beratung auch Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer mitmischt, hat Interesse bekundet. Demnach will man Steyr zu einem „Green Mobility Center“ weiterentwickeln und 1850 Mitarbeiter der Stammbelegschaft übernehmen. Die Pläne wurden laut Konsortiums-Sprecher Gerald Ganzger auch an MAN übermittelt – doch MAN verhandelt ausschließlich mit Wolf. Während im Umfeld Wolfs (vorsichtig ausgedrückt) Verwunderung darüber herrscht, dass nun so kurz vor der Entscheidung doch noch eine zweite Gruppe (aus deren Sicht unrealistische) Hoffnungen schürt, wird von der anderen Seite auf Wolfs Verbindungen zum russischen Automobilproduzenten GAZ verwiesen. Die zuletzt verschärften Töne zwischen den USA und Russland und der gleichzeitig mahnend erhobene US-Zeigefinger in Richtung EU sollen der Gruppe in die Karten spielen, das legen Äußerungen von Ganzger nahe, der das eigene Konzept als „krisenfester und diversifizierter als das nur von Russland abhängige Konzept, das derzeit verhandelt wird“, bezeichnet.

Wolf steht ein weiterer D-Day bevor

Im „Team Wolf“ sieht man indes – ganz im Gegenteil – ein „absolut zukunftssicheres und akribisch ausgearbeitetes Konzept, das den Standort auch perspektivisch sichert“. Ein „Duell auf offener Bühne“ ist aber eben gar nicht vorgesehen, weil MAN klarlegt: rasche Einigung mit Wolf oder Schließung. Daran wollte man auch bei der  Aufsichtsratssitzung keine Zweifel aufkommen lassen. Es werde ausschließlich mit Wolf über eine „mögliche Nachnutzung“ verhandelt. Punkt.

Wolf steht dennoch ein weiterer D-Day bevor. In einer (kurzfristig von Mittwoch auf nächsten Freitag verschobenen) Vollversammlung will er der Belegschaft sein Detailkonzept bekannt geben und erklären. Eineinhalb Wochen später sollen die Beschäftigten in einer geheimen Urabstimmung ihre Entscheidung treffen und über den Übernahmeplan abstimmen. Sollten sie sich dagegen aussprechen, würde Wolf vom Kauf Abstand nehmen. Es bleibt also spannend.