Während immer mehr Impfstoffe gegen Covid-19 langsam auf eine Entspannung der Lage hoffen lassen, fehlt es weiterhin an Wirkstoffen und Medikamenten gegen die Krankheit. Der Grund: Ein chemisches Gegenmittel gegen ein Virus zu finden ist deutlich komplexer, als das Immunsystem mittels Impfung aufzurüsten.
„Als Erstes muss man die Krankheit richtig verstehen und einen möglichen Angriffspunkt im menschlichen Körper identifizieren, ein Target, z.B. ein Protein“, erklärt Clemens Utschig-Utschig. „Dann kann man auf die Suche nach einem Molekül gehen, dass sich an dieses Target bindet und es z.B. ausschaltet.“
Grundbausteine des Universums
Utschig-Utschig arbeitet für den forschungszentrierten Pharmakonzern Boehringer-Ingelheim (BI). Allerdings ist er weder Chemiker noch Pharmazeut. Er ist eigentlich Programmierer verantwortet die IT-Strategie bei BI und neuerdings auch das Quanten-Laboratorium, bei dem es um die Erforschung der Grundbausteine des Universums geht. Oder besser gesagt darum, wie diese Grundbausteine die Entwicklung von Medikamenten beschleunigen können.
„Am Anfang gibt es ganz viele mögliche Startpunkte für einen Wirkstoff“, erklärt Utschig-Utschig, Danach gibt es Tests im Labor und klinische Analysen. „Nach zehn Jahren bleibt dann aus tausenden Molekül-Kandidaten ein Wirkstoff über, der dann nach weiterer klinischer Entwicklung und Studien die Zulassung erhält.“
Reales Modell
Schon heute wird mithilfe von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning versucht, Vorhersagen über Wirksamkeit und Nebenwirkungen zu machen und den Prozess zu beschleunigen. „Mit einem Quantencomputer bräuchten wir aber keine ungefähren Vorhersagen, die wir in Experimenten später überprüfen müssen. Wir können das Molekül quasi Eins-zu-Eins im Computer abbilden.“ Schließlich ist jedes Molekül ein Quantensystem. „Wir könnten die Wirkungsweise an einem realitätsgetreuen Modell untersuchen.“
Die Hoffnung: Schon vor den klinischen Tests an Tieren und später Menschen könnten unwirksame oder gar giftige Moleküle mithilfe der Quantencomputer aussortiert werden. Das würde die Entwicklung von neuen Medikamenten massiv beschleunigen und so Leben retten.
Wobei Utschig-Utschig betont, dass man hier noch ganz am Anfang stehe. Auch denke man bei BI nicht daran, eigene Quantencomputer zu bauen. „Wir arbeiten an Anwendungen.“ Deshalb habe man sich Google als Kooperationspartner geholt. Google bringt sowohl die Hardware, wie auch die richtigen Wissenschafter, um eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu realisieren.
Von Chemiker bis Quanten-Experten
Es arbeiten also Chemiker, Experimentalphysiker und Quantenexperten zusammen. Auf diese Diversität ist Utschig-Utschig besonders stolz. „Hier geht es um Grundlagenforschung.“ Als Erstes müsse erst einmal herausgefunden werden, wie man Moleküle überhaupt auf Quantencomputern effizient simuliert. Und auch die Leistung der hochkomplexen Rechenmaschinen müsse noch deutlich steigen, bevor sie wirklich in der Pharmabranche eingesetzt werden können.
„Mit heutigen Quantencomputern lässt sich ein Wassermolekül(verband) darstellen. Medikamente sind aber viel komplexere Moleküle, und müssen immer im Zusammenhang mit anderen Systemen (z.B. dem Target im Körper) beschrieben werden, um die nötigen Informationen für Wirkstoffforschung zu gewinnen.“ Utschig-Utschig rechnet damit, dass es noch zehn bis zwanzig Jahre dauern könnte, bis man wirklich so weit ist. „Aber in der Pharmabranche rechnen wir immer schon in Dekaden.“ Doch immerhin die Entwicklung von Medikamenten könnte dann nicht mehr Jahrzehnte dauern.
Roman Vilgut