Auf der einen Seite hohe Arbeitslosenzahlen, auf der anderen Seite ein sich weiter verschärfender Fachkräftemangel, wenn die Wirtschaft wieder anzieht - ein schlechtes Szenario für die Zeit nach der Krise. „Das darf uns nicht passieren“, warnte Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) vor wenigen Tagen. Fehlendes Personal als Wachstumsbremse. Auch für Wifo-Chef Christoph Badelt ist diese Sorge eine ganz reale.
Dieser Fachkräftemangel, wie groß ist der denn? Die letzten Zahlen der Wirtschaftskammer sind vom Herbst. Laut einer Umfrage wird der Fachkräftebedarf in allen Branchen auf 177.000 Personen geschätzt. Als besonders heikel gilt der Engpass bei IT-Fachkräften, weil die Wirtschaftswelt durch Corona noch viel digitaler tickt als vor der Pandemie. 24.000 Mitarbeiter fehlen, 30.000 könnten es sogar in den nächsten Jahren werden.
"Leider in schlechter Gesellschaft"
„Wir befinden uns europaweit leider in schlechter Gesellschaft“, sagt Wilfried Sihn, Professor am Fraunhofer Institut Österreich. „In China sind jeden Monat mehr Ingenieure mit der Ausbildung fertig als in Europa in einem Jahr. Entsprechend groß ist die Gefahr, dass wir auf die Verliererstraße geraten.“ Der Umbruch sei in allen Branchen gewaltig und betreffe auch Handwerksbetriebe wie die Autowerkstatt. „Große Unternehmen haben viel Anziehungskraft auf Bewerber,“ so Sihn, „die kleinen müssen sehr schnell neue Fähigkeiten entwickeln, um jemanden zu bekommen“. Viele Unternehmen schlössen sich bereits in Eigeninitiative für Aus- und Weiterbildungen zusammen.
Den Arbeitsmarkt prägt seit Jahren ein „Mismatch“, die Qualifikationen vieler Arbeitslose passen nicht zu offenen Stellen. Das Arbeitsmarktservice AMS pumpt gerade enorme Millionenbeträge in eine Qualifikationsoffensive.
Die neue Geschäftsführerin des Fachverbandes der Elektro- und Elektronikindustrie, Marion Mitsch weiß, dass in vielen Betrieben lange nach Lehrlingen gesucht wird. Eine reine IT-Lehre absolvieren derzeit etwa 5600 junge Menschen.
"Das kann man nur als schlimm bezeichnen"
Die auf Jugendliche zugeschnittene, spielerisch angelegte Plattform „playmit“ weist aktuell österreichweit 2578 Ausbildungsjobs in vorwiegend technischen Berufen aus. Siemens hat sie mit initiiert, auch andere große Unternehmen bieten Quizspiele und digitale Kompetenzchecks. Man will so sehr professionell den Blick in Berufsfelder erweitern und auch erfolgreicher im Bewerber-Pool fischen. Bewerber für Lehrstellen hat Siemens zwar genug, viele schaffen aber die Aufnahmetests nicht. Informatik gibt es auch als Schulfach, aber „was etwa in den AHS gemacht wird, kann man nur als schlimm bezeichnen“, sagt Alfred Harl, Obmann der Sparte IT und Consulting in der Wirtschaftskammer.
"Brauchen da nur immer einen Trigger vom Markt"
Wilfried Sihn sagt zu den Stichworten Fachkräftemangel und Bildungsmisere: „Wir hätten den Fachkräftemangel auch ohne Bildungsmisere, weil sich die Welt gerade wirklich dramatisch verändert. Aber ohne Bildungsmisere hätten wir viel schneller Lösungen.“ Zehn Prozent Schulabbrecher-Quote sei eine Katastrophe. „Es ist nicht Corona, die die Schwachen der Gesellschaft zu Verlierern macht.“ Hohe Drop-Out-Quoten gibt es auch am oberen Ende des Bildungssystems. „In vielen technischen Studienfächern an den Hochschulen liegen die Drop-out-Quoten über 50 Prozent“, sagt Harl. Auch das sei unfassbar.
Wie technische Ausbildungen viel besser funktionieren könnten, so ein Modell kommt aus Kärnten. Mit der FH Kärnten entwickelten Infineon, RHI Magnesita und Flex eine Doppellehre, die mit einem berufsbegleitenden Studium gekoppelt ist. Die ersten zwölf Lehrlinge werden bereits für Prozess- und Elektrotechnik, speziell für Anlagen- und Betriebstechnik, ausgebildet.
In dieser Form ist das bisher in ganz Österreich einmalig. „Die FH ist eine gute Institution, um konkreten Bedarf abzudecken“, sagt Ulla Birnbacher, Vizedekanin der FH Kärnten. „Wir entwickeln zum Beispiel gerade im Bereich Zahntechnik einen Lehrgang, weil da neben dem Handwerk Simulation eine immer größere Rolle spielt.“ Sie sagt: „Wir brauchen da nur immer einen Trigger vom Markt.“
Claudia Haase