Es heißt, Corona hat – neben all den Herausforderungen für die Wirtschaft und das Gesundheitssystem – den Menschen ein gesteigertes Körperbewusstsein samt intensivem Bewegungsdrang gebracht. Dafür braucht es eine passende Ausrüstung. Spiegelt sich das in den Absatzzahlen bei „On“ wider?
OLIVIER BERNHARD: Ja, wir spüren das, egal ob in Europa, Amerika oder Asien, wo es Lockdowns ja in verschiedenen Formen und Zeitabständen gegeben hat. Wir haben unsere Umsatzziele trotz Corona sogar übertroffen.

Ein Krisengewinner?
Nein, aber es sind verrückte Zeiten. Bei uns auch im positiven Sinn. Wir haben seit dem ersten Lockdown im März bis zum Jahresende 250 neue Mitarbeiter eingestellt und heuer sind es auch schon wieder fast 100. Das heißt hochgerechnet: pro Tag eine Person. Das war auch ein wichtiges Signal an die Belegschaft: zu zeigen, dass bei uns das Wachstum nicht gebremst wird. Wir wollten mutig bleiben – und haben keine Produktionsaufträge storniert, wie es andere getan haben. Im Gegenteil. Zum Teil haben wir die Produktion sogar gesteigert.

Wie haben Sie das Kundenverhalten wahrgenommen?
Klar gab es zunächst einen Schockmoment. Aber der war relativ kurz. Was hat man denn in so einer Situation? Sich, seinen Körper und die Natur. Und da realisiert man sehr schnell, dass die Möglichkeit zur Bewegung die einzige Freiheit ist, die noch bleibt. Man will raus, raus, raus.

Aber warum dieser Heißhunger? Es war ja vor Corona nicht verboten, sich im Freien zu bewegen.
Es wurde aber leider nicht mehr so geschätzt, weil es selbstverständlich war. Wenn man plötzlich in seine eigenen vier Wände verbannt ist, dann ist die Bewegung im Freien eine Freiheit, die man wieder schätzen lernt. So haben wir viele Neukunden gewonnen.

Glauben Sie, dass die Krise schon überstanden ist?
Fragen Sie Ihren Bundeskanzler oder unseren Bundespräsidenten (lacht). Natürlich hoffen wir alle, dass es sich jetzt langsam über die Impfung lösen wird.

On wurde 2010 gegründet – also „am Eingang“ zur Digitalisierung. Ist das in Zeiten, in denen der stationäre Handel lange geschlossen und Verkauf nur über das Onlinegeschäft möglich war, ein Vorteil gegenüber „alten Marken“?
Ja, weil wir als sozusagen „digital native“ mit dieser Veränderung groß geworden sind. Wir sehen ja, was sich in den letzten zehn Jahren im Einkaufsverhalten bei Kleidung oder Elektronik geändert hat. Klar braucht es eine gewisse Zeit, bis das Denken und Handeln sich angepasst hat. Aber irgendwann wächst das Vertrauen in diese Art des Einkaufs.

Es heißt, es braucht den stationären Handel nicht zuletzt wegen der Beratung. Gilt das nicht mehr?
Als Sportler und als Gründer einer Laufsportmarke und auch in Bezug auf die Händler meine ich, dass das immer noch Gültigkeit hat. Wir haben unsere kleinen lokalen Einzelhändler daher auch in dieser schwierigen Zeit unterstützt.

Wie?
Bei jenen, die keinen eigenen Onlineshop haben, wurden die Verkäufe über unsere Seite abgewickelt, wir haben aber die Margen dem Händler in dem Ort oder in der Region zukommen lassen, aus der der Kunde bestellt hatte.

Sie gingen 2010 mit einem Produkt an den Start, dessen Markt schon damals völlig verstopft und übersättigt war. Wurden Sie da ernst genommen?
Wir hatten die Vision, die besten Laufschuhe der Welt zu bauen. Schuhe, die den Aufprall weich abfedern, aber trotzdem einen explosiven Abdruck ermöglichen. Für den Prototyp haben wir Teile eines Gartenschlauchs auf die Sohle geklebt. Das hat funktioniert. Wir waren mit unserer Hohlraumtechnologie auch mit großen Marken in Kontakt, die haben aber alle abgewunken und gemeint, das könne ja nicht funktionieren, sonst hätten wir es ja selbst auch schon gemacht. Aber es ist wie so oft im Leben: Die einfachen Sachen übersieht man.

Was ist der „beste Laufschuh“?
Im Grunde genommen ist es recht einfach: „Comfort is king“. Es geht um eine Technologie, die Bequemlichkeit und Komfort möglich macht, aber natürlich auch Leistung. Performance ist immer noch das, wo wir herkommen. Für uns war es aber nie das Ziel, andere Marken zu überholen. Im Fokus stand vielmehr die Frage: Wie weit können wir überhaupt mit unserer Idee kommen?

Weit. On gilt als die am schnellsten wachsende Laufschuhmarke der Welt. Macht Ihnen dieses Tempo nicht manchmal Angst?
Angst macht es mir nicht, es ist eher eine enorme Freude, so etwas aufzubauen und vielen Menschen einen Job zu bieten, der ihnen Spaß macht. Das erfüllt mich. Aber womit ich mir schwertue, ist, dass ich einen Großteil der Mitarbeiter nicht mehr persönlich kenne. Wir pflegen eine Kultur in unserer Firma mit starken Werten, die sich auch in den Produkten wiederfinden sollen. Da bin ich schon gespannt, ob uns das weiterhin gelingt und man diese Werte weiterhin in den Produkten sehen und spüren kann, obwohl die Mitarbeiter nicht mehr so nahe miteinander agieren können. Vor dieser Aufgabe habe ich großen Respekt.

On wird von einem fünfköpfigen Führungsgremium gelenkt. Ohne Vorstandssprecher. Wie kann das funktionieren?
Das ist doch typisch Schweiz, oder? Schön föderalistisch.

Bei fünf gibt es zumindest immer eine Mehrheit.
Ja, es ist hochdemokratisch. Wir glauben einfach an die These, dass fünf Köpfe cleverer sind als einer. Und die Verantwortung zu teilen, ergibt ja auch Sinn. Aber ich habe von Anfang an von Kollegen aus der Wirtschaft gehört, dass das nicht funktionieren kann. Wir würden zu lange bei der Entscheidungsfindung brauchen, uns schnell zerkrachen. Heute sind sie überrascht, wie schnell wir entscheiden und dass wir meist einer Meinung sind.

Was erhoffen Sie sich vom Engagement von Tennis-Ass Roger Federer, der bei Ihnen als Teilhaber eingestiegen ist?
Er wird unsere Marke stark beeinflussen. Man wird es beim Design, aber auch im Bereich Nachhaltigkeit und Entwicklung neuer Produkte sehen.