"Es wird eine Veränderungswelle auf uns zukommen“, glaubt Stefan Thalmann. Der Leiter des Business Analytics and Data Science-Center der Universität Graz hat sich eingehend mit dem Wandel auf dem Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung beschäftigt.
Die aktuelle Coronakrise hat das Forschungsgebiet des Wirtschaftsinformatikers zusätzlich dynamisiert. „Wir stehen seit Längerem vor einem Umbruch, die Pandemie hat die Entwicklung nur noch beschleunigt“, sagt Thalmann. „Dieser Innovationsschub wird zu neuartigen, ideenreichen Jobs führen, die wir heute vielfach noch gar nicht kennen.“
Zwei Drittel in völlig neuen Jobs
Das deckt sich mit Prognosen der OECD: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nimmt an, dass 65 Prozent der heutigen Kinder künftig Tätigkeiten ausüben werden, die es bisher noch gar nicht gibt.
So sind fast 14 Prozent der bestehenden Arbeitsplätze in OECD-Ländern von Automatisierung bedroht. Weitere 32 Prozent werden sich durch teilweise Automatisierung stark verändern. Es ist demnach fast jeder zweite Erwerbstätige in irgendeiner Weise betroffen. Das schürt Ängste. „Es wird wohl kaum zu einer großen Zahl zusätzlicher Stellen kommen“, bremst auch Thalmann überzogene Hoffnungen.
Aber die als Jobfresser verteufelte Automatisierung und Technologisierung vernichtet nicht per se, sondern verändert vielmehr Berufsbilder: Maschinen und Computer übernehmen zwar Arbeitsprozesse, diese Geräte müssen aber auch bedient, programmiert und gewartet werden. Also: Wandel? Bestimmt! Wachstum? Kommt darauf an! Bringt die fortschreitende Digitalisierung also nicht die herbeigesehnte Entspannung am derzeit coronabedingt hoch angespannten Arbeitsmarkt? Jein.
Die Anforderungen in den allermeisten Berufen werden sich jedenfalls radikal ändern – sofern sie es nicht ohnehin bereits getan haben. Unternehmen werden künftig vor allem forschende, kommunikative, kreative, entscheidungsintensive und koordinierende Jobs verstärkt nachfragen. Immer mehr Menschen werden bei Unternehmensdienstleistungen in den Sektoren Beratung, Recht, Verwaltung, Maschinenbau und IT arbeiten. „Wer sich nicht anpasst, wird es schwer haben“, ist sich Thalmann sicher. Qualifikation und Ausbildung seien das Um und Auf. Damit wird man weiterhin – und wohl auch krisenunabhängig – reüssieren können.
Glaubt man aktuellen Untersuchungen, bringt das unterm Strich sogar ein sanftes Plus an Jobs. So prognostiziert das Beratungsunternehmen Accenture für den heimischen Arbeitsmarkt ein zusätzliches Beschäftigungswachstum von 0,4 Prozent durch die Digitalisierung – was umgelegt bis zu 20.000 zusätzliche Arbeitsplätze entspricht. Diese Jobs funktionieren als Konjunkturmotor. Demnach liegt das durch die Digitalisierung generierte Wirtschaftswachstumspotenzial bei 1,9 Prozent.
Neues Leadership
„Digitalisierung bedeutet aber mehr, als Teammeetings übers Internet abzuhalten“, warnt Accenture-Österreich-Chef Michael Zettel vor naiver und voreiliger Selbstzufriedenheit. Es gehe vielmehr um den Aufbau von digitalen Prozessen, Dienstleistungen und Produkten. Auch Leadership-Anforderungen würden sich damit ändern. Habe bisher „Führung durch Präsenz“ vorgeherrscht, so wandle sich das signifikant in Richtung „Remote-Führung“. Zettel plädiert im digitalen Zeitalter für einen Wandel von einer Kontrollführung hin zu einem vertrauensgeführten, ergebnisorientierten Führungsverhalten.
Klaus Höfler