Die deutsche Wirtschaft reagiert überwiegend enttäuscht auf den verlängerten Lockdown. Mehrere Verbände kritisierten am Donnerstag, die deutsche Regierung sorge nicht für die nötige Planbarkeit, wann und wie zwangsweise geschlossene Betriebe wieder hochgefahren werden könnten. Ökonomen brachten zusätzliche Hilfen für die Wirtschaft ins Spiel.
"Leider haben sich Bund und Länder nicht auf einen detaillierten Stufenplan zu Öffnungen einigen können, sich aber immerhin auf einen ersten konkreten Schwellenwert für ein schrittweises Hochfahren der Wirtschaft und für Öffnungen verständigt", sagte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. Jetzt brauche es aber schnell eine weitere Konkretisierung. "Enttäuschend ist dennoch, dass die dazu eingerichtete Arbeitsgruppe bis zum Spitzentreffen noch nicht zu einer detaillierteren Festlegung von Kennziffern und Kriterien als Voraussetzung von Lockerungen gelangt ist. Viele Betriebe wollen und müssen endlich wieder loslegen, und sie müssen wissen, wann und wie das wieder möglich sein wird."
"Die Politik lässt die Branche im Stich"
Bund und Länder hatten sich am Mittwoch auf eine Verlängerung des Coronalockdowns in Deutschland bis zum 7. März verständigt. Allerdings sollen schon am 1. März Friseure wieder aufmachen dürfen. Für den Einzelhandel gibt es eine vage Perspektive, wenn in Ländern die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz unter 35 sinkt. Kanzlerin Angela Merkel sagte, dass man an Lockerungen denken könne, wenn dieser Wert "drei oder fünf Tage" durchgehalten werde. Kanzleramtschef Helge Braun sagte im ZDF, man müsse abwarten, wie sich die Virusvarianten verbreiten, um dann weitere Öffnungsschritte zu definieren.
"Fassungslos" zeigte sich die Lobbyistin Andrea Belegante vom Bundesverband der Systemgastronomie. "Die Politik lässt die Branche im Stich. Es gibt wieder keine Perspektive, wieder keine konkreten Schritte hin zu einer Öffnungsstrategie, wieder nur ein perspektivloses Vertrösten auf Anfang März." Ähnlich äußerte sich Anton Börner, der Präsident des Großhandelsverbandes BGA: "Für einen erfolgreichen Neustart brauchen wir im Großhandel einen verlässlichen Vorlauf, um unsere Partner aus Gastronomie und Hotellerie, aber auch Großküchen und Kantinen rechtzeitig und umfänglich ausrüsten und beliefern zu können", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Öffnungspläne von Bund und Ländern seien dabei zu vage.
Zusätzliche Stützungsmaßnahmen gefordert
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, forderte zusätzliche Stützungsmaßnahmen des Staates. "Die Bundesregierung wird in den kommenden Monaten ein weiteres Wirtschaftsprogramm auflegen müssen", sagte er im ZDF. Das Geld, das der Staat jetzt ausgebe, sei gut investiert. Für Selbstständige und Minijobber seien die aktuellen Programme nicht ausreichend. "Es fallen noch zu viele hinten runter."
Die Regierung plant für das erste Halbjahr 2021 Hilfen vor allem über Fixkosten-Zuschüsse. Nach langer und lautstarker Kritik können Anträge dafür seit Mittwoch gestellt werden. Zudem sind die Sonderhilfen für November und Dezember lange nur spärlich abgeflossen. Viele Unternehmen bemängeln zu viel Bürokratie und zu viele Änderungen im Antragsverfahren. Deswegen standen zuletzt vor allem Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in der Kritik. Scholz stellte in einem NTV-Interview eine raschere Auszahlung staatlicher Hilfen in Aussicht. "Das kann jetzt ganz schnell gehen." Das hatte er aber fast wortgleich schon mehrfach im November gesagt, als ein Teil-Shutdown verhängt wurde.
"Fehlen eines Stufenplanes ist sehr bedauerlich"
Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, hat die Beschlüsse des Coronakrisengipfels als "enttäuschend" bezeichnet. "Es ist richtig, nicht überstürzt zu öffnen. Aber das Fehlen eines Stufenplanes ist sehr bedauerlich", sagte der gebürtige Österreicher den Zeitungen der "Funke Mediengruppe". Es wäre nun an der Zeit gewesen, klar vorzulegen, bei welchen Kennziffern welche weiteren Öffnungen möglich werden, sagte er: "Damit hätte man den schwer betroffenen Unternehmen und der zunehmend frustrierten Bevölkerung Perspektiven geben können."
"Wirtschaftlich verkraftbar"
Der Wirtschaftsweise Lars Feld hält die Verlängerung des Lockdowns wirtschaftlich für verkraftbar. "Die Industrie und der Bau sind weiterhin relativ stark und bleiben das Rückgrat der konjunkturellen Erholung selbst bei einer Lockdown-Verlängerung bis in den März", sagte Feld den Zeitungen der "Funke Mediengruppe". Die Verlängerung des Lockdowns belaste die konjunkturelle Entwicklung zwar weiter. Angesichts der Sorge um eine dritte Infektionswelle mit einem mutierten Virus sei sie aber verständlich, führte der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus. Die Wirtschaftsweisen hatten im November 2020 prognostiziert, dass der Teil-Lockdown über den Winter bis in den März andauern wird. Obwohl die Maßnahmen verschärft worden seien, so Feld, blieben sie noch weit von den Einschränkungen aus dem Frühjahr 2020 entfernt.