Regierung und Sozialpartner haben sich auf ein Homeoffice-Gesetz geeignet. Das Arbeiten von daheim aus wird also bleiben. Für die Bahn wird das weniger Passagiere bedeuten. Besorgt Sie das?
ANDREAS MATTHÄ: Ich glaube, dass dadurch auf Dauer vor allem zu Spitzenzeiten weniger Menschen in den Zügen sein werden. Unser gesamtes Mobilitätsverhalten wird sich ändern. In der Pandemie sind mehr Menschen mit dem Auto unterwegs. Viele von ihnen werden sagen, das mache ich nimmer, die öffentlichen Verkehrsmittel sind bequemer. Jedenfalls wird niemand mehr wegen einer Besprechung von Wien nach Innsbruck fahren, jetzt wo sich die Videokonferenz durchgesetzt hat. Auch bei den ÖBB nicht.

Das 1-2-3-Ticket, das für alle öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich gelten soll, ist in Arbeit. Wird es mehr Menschen motivieren, auf die Bahn umzusteigen?
Überall dort, wo die Tarife im öffentlichen Verkehr signifikant gesenkt wurden, ist sprunghaft die Passagierzahl gestiegen. Insofern erwarten wir mit der Einführung einen Zuwachs bei den Kunden.

Wie weit sind die Verhandlungen darüber fortgeschritten?
Das sind Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern, die ÖBB sind kein Verhandlungspartner. Wir stehen so wie alle Verkehrsunternehmen bereit, das umzusetzen. Ich gehe davon aus, dass das Ticket kommt. Wir bereiten unser IT-System bereits darauf vor.

Im Sommer sagten Sie, Sie erwarten trotz Krise ein ausgeglichenes Ergebnis. Nun dauert der Lockdown aber deutlich länger. Wie ist die Bilanz für 2020?
Meine Einschätzung ist stabil bei 750 Millionen Euro Umsatzverlust. Am stärksten betroffen ist der Personenverkehr, wegen mehrerer Lockdowns stärker als gedacht. Im ersten Lockdown hatten wir 90 Prozent weniger Passagiere. Mittlerweile sind wir bei minus 60 bis 70 Prozent. Den Güterverkehr trifft es etwas weniger. Für 2020 sieht es so aus, als wären alle Teilkonzerne leicht im Plus.

Wie ist es möglich, dass die Bahn in einem Jahr wie 2020 positiv abschließt? Wohl nur dank staatlicher Unterstützung.
Für die Kurzarbeit haben wir 25 Millionen Euro erhalten. Die Schienennutzungsgebühr wurde gesenkt, das brachte 45 Millionen. Und wir haben Zusatzzahlungen zu den Verkehrsdienstverträgen erhalten, aber gleichzeitig mussten wir die Tarifeinnahmen abführen. Und wir haben als Unternehmen 300 Millionen Euro eingespart.

Die Flugbranche erwartet, dass die alten Passagierzahlen erst 2025 zurückkehren. Was ist Ihre Prognose für den ÖBB-Fernverkehr? Und für die Nachtzüge?
Im Sommer sind die Nachtzüge sprunghaft auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt. Das hat uns Rätsel aufgegeben, bis wir verstanden haben, dass der Schlafwagen die sicherste Form des Reisens ist. Man ist alleine im Abteil oder mit der Familie. Das hat sich signifikant rascher erholt als der Tagesverkehr. Bei den Tagzügen erwarten wir, dass wir Ende 2022 wieder auf Vorkrisenniveau sind, im Nahverkehr Ende 2021. Vorausgesetzt, dass die Schulen wieder Präsenzunterricht haben.

Verkehrsministerin Leonore Gewessler will per Gesetz Mindestpreise für Flugtickets einführen, im Schnitt 40 Euro. Reicht das, um die Bahn attraktiver zu machen?
Beim Fliegen hat man nie Kostenwahrheit, zum Ticket kommen Kosten für Gepäck, Essen, eventuell den Platz. Ganz zu schweigen von zwei Taxifahrten und einer zusätzlichen Nacht im Hotel. Da ist man locker über den Preisen für einen Schlafwagen und oft auch den Tagzug. Es sollte ein europäisches Ziel sein, Kurz- und Mittelstreckenflüge zugunsten von Hochgeschwindigkeitszügen zu reduzieren.

Bei den ÖBB gibt es künftig eine Frauenquote: 45 Prozent über alle Jobfelder hinweg, 50 Prozent in Führungsetagen. Dabei gebe es nicht genug Frauen in dem Sektor, klagen manche Manager. Teilen Sie die Bedenken?
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das Unternehmen besser wird, wenn wir einen höheren Frauenanteil haben. Genauso, wenn wir mehr Menschen mit körperlichen Einschränkungen haben. Das Team wird besser durch unterschiedliche Blickwinkel. Bei Führungspositionen reden wir über eine dünne Schicht. Deshalb sind vor allem die Aufnahmequoten wichtig. Dann können auch mehr Frauen an die Spitze kommen. Früher war ich gegen Quoten, aber ich habe mich eines Besseren belehren lassen.

Die Frauenquote trägt die Handschrift der grünen Verkehrsministerin Leonore Gewessler. Wie läuft die Zusammenarbeit mit ihr? Besser als unter der türkis-blauen Regierung mit Minister Norbert Hofer von der FPÖ?
ÖBB und Grün passen zusammen, weil die ÖBB ein Klimaschutzunternehmen sind. Da gibt uns die grüne Regierungsbeteiligung natürlich Schwung. Aber wir sind kein grünes, blaues, türkises oder rotes Unternehmen. Sondern ein rot-weiß-rotes Unternehmen.

Nach der Krise werden alle reisen wollen. Eine gute Gelegenheit, die Ticketpreise zu erhöhen?
Es könnte verlockend sein, das zu tun. Nach der Pandemie ist es gut, wenn wir alle ein Stück zusammenrücken. Da sind Preiserhöhungen keine gute Idee. Zug statt Auto ist mir lieber als höhere Preise. Darüber werden wir eventuell um den Jahreswechsel nachdenken.

Das Gespräch wurde mit den Bundesländerzeitungen und der „Presse“ geführt. Für die Kleine Zeitung stellte Claudia Haase die Fragen.