Wüstenrot gründet eine neue Bank. Das Privatkundengeschäft verspricht keine großen Margen. Was erwarten Sie sich von dem Projekt?
Susanne Riess: Für uns ist der Start einfacher, weil wir einen großen Kundenstock haben und nicht bei null beginnen müssen. Mit dem Girokonto sprechen wir zunächst eigene Kunden an. Es gab schon sehr viele Anfragen. Unser großer Vorteil ist die Bekanntheit, den Namen Wüstenrot kennen fast 90 Prozent, wir sind in allen Vertrauensrankings der Finanzwirtschaft ganz oben. Es geht um ein konservatives Geschäftsmodell, wo man zwar nicht die ganz großen Renditen bekommt, wo aber auch nicht die großen Katastrophen passieren. Das ist für unsere Zielgruppe, die kleinen und mittleren Einkommensbezieher, entscheidend. Wir werden keine Geschäftsbank sein, sondern konzentrieren uns ausschließlich auf das Retailgeschäft.
Start ist im April 2022. Wie wird die Bank heißen?
Wüstenrot Bank. Es wäre albern, wenn wir eine neue Marke erfinden würden, wenn wir eine haben, die so gut positioniert ist.
Da es mangels Filialen eine reine Onlinebank sein wird, sprechen Sie eine jüngere Zielgruppe an.
Es ist ein wichtig, dass wir Kundengruppen erreichen, die ihre Finanzgeschäfte nur noch über diesen Weg abwickeln. Der Kunde kann dennoch zu jedem Zeitpunkt entscheiden, ob er vom digitalen auf den persönlichen Kontakt umsteigt, was insbesondere bei der Wohnungsfinanzierung wichtig ist.
Zuletzt ging ein großer österreichischer Konzern mit einer Bank und sehr günstigen Konditionen in den Markt. Wird das auch der Weg von Wüstenrot sein?
Ich bin kein Fan von Dumping-Bewerben. Das machen wir auch in anderen Geschäftsfeldern nicht. Wir punkten mit Service und wettbewerbsfähigen Konditionen, aber im Finanzbereich stellt Dumping keine langfristige Kundenbindung sicher.
Wie viele Kunden sollen nach einem Jahr ein Konto bei der Wüstenrot Bank haben?
Bei unseren eigenen Kunden, das sind zwischen 700.000 und 800.000, gehe ich von einem großen Zuspruch aus. In Summe sind es deutlich mehr Kunden, über 1,5 Millionen, aber das sind zur Hälfte Kunden von Partnerbanken, da gibt es einen absoluten Kundenschutz.
Beim Bausparen hat Wüstenrot einen Marktanteil von 27,5 Prozent. Doch zeigt die seit Jahren sinkende Zahl von Neuverträgen, wie sehr die Attraktivität unter dem Zinsniveau leidet.
Bausparen ist dennoch sehr attraktiv. Es ist in erster Linie kein Sparmodell, sondern ein Instrument zur Schaffung von Wohnraum. 2020 erzielten wir im Bereich der Wohnraumfinanzierung das beste Ergebnis unserer Geschichte. Die Menschen konzentrieren sich durch die Coronakrise viel mehr auf ihr unmittelbares Lebensumfeld. Jeder, der finanziell die Möglichkeit hat, sich zu verbessern, tut das. Das Wohnraumfinanzierungsgeschäft hat enorm an Bedeutung gewonnen.
Was aber kann man der absteigenden Kurve entgegensetzen?
Dass Sparen nicht einen Boom erlebt, wenn die Zinsen unten sind, ist klar, aber das ändert sich auch wieder, wie wir im Verlauf der Jahrzehnte sehen. Es ist keine bedrohliche Situation, unser Tagesgeschäft läuft gut und wir haben genug Refinanzierungsmittel. Bausparen hat eine mittel- und längerfristige Perspektive.
Wohneigentum ist für kleine und mittlere Einkommen oftmals nicht leistbar. Hilft ein Bausparer noch?
Der Ursprungsgedanke des Bausparens ist, dass Menschen, die kein großes Einkommen haben, sich ein eigenes Heim leisten können. Aber die Politik sollte sich überlegen, wie sie Eigentumserwerb für Bezieher kleinerer Einkommen besser unterstützen kann. Das ist ein riesiges Vorsorgethema. Und es ist ein Klima- und somit Sanierungsthema. Der Anteil von sanierungsbedürftigem Wohnraum in Österreich ist vor allem im thermischen Bereich sehr hoch. Hier müsste man mehr Anreize schaffen. Das ist eine komplexe Sache, da Wohnbau Ländersache ist, aber es geht um das Klima, daher müsste man eine österreichweite Strategie entwickeln.
Die höchstmögliche Finanzierung durch eine Bausparkasse geht bis 200.000 Euro pro Person. Ist das ausreichend?
Das Finanzierungsvolumen anzuheben, wäre fast wichtiger als die Anhebung der Bausparprämie – gerade bei steigenden Immobilienpreisen. Das öffentliche Budget würde dadurch nicht belastet, und wir haben mit unserem Geschäftsmodell die sicherste Form der Finanzierung sichergestellt.
Früher wurde der Wohnbau stärker gefördert. Sollte sich die Politik hier wieder mehr engagieren?
Es geht vor allem darum, was und wie man fördert. Seit Jahren bemühe ich mich, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir falsch bauen. Es werden viele Singlewohnungen an den Stadträndern errichtet. Wir haben aber eine demografische Entwicklung, wo wir wissen, wir werden eine sehr alte Gesellschaft haben und nicht genug Pflegeheime und Pflegekräfte, um das abzufedern. Das heißt, wir müssen Menschen im Alter möglichst lang in ihrem Wohnraum belassen können. Dafür brauchen wir andere Wohnmodelle, Generationenwohnmodelle. Dazu kommt mit Corona auch das Thema Homeoffice, vielfach ein räumliches Problem. Die Krise sollte Anlass sein, zu fragen, wie die Gesellschaft in Zukunft wohnen wird.
Stichwort Krise. Welche Auswirkungen spürt Wüstenrot?
Beim ersten Lockdown gab es einen Einbruch über alle Bereiche. Dann aber zog das Thema Wohnraumfinanzierungen stark an – und alle Branchen, die mit Wohnen zu tun haben, haben davon profitiert. Wir haben aber auch Stundungen von Darlehen gehabt, etwa 10 Prozent vom Bestand. 80 Prozent davon bedienen das Darlehen wieder regulär. Der Punkt ist, auch wenn wir die Gesundheitskrise hoffentlich bald bewältigt haben, werden wir noch länger eine wirtschaftliche Krise mit einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit zu bewältigen haben – das wird sich auch bei uns auswirken. Die Frage wird sein, ob Leute ihre Darlehen bedienen oder neuen Wohnraum finanzieren können. Es wird von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abhängen. Der Tag der Wahrheit kommt, wenn die Coronahilfen auslaufen.
Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Regierung?
Ich muss vorausschicken, das ist eine Krise, für die es keine Vorbilder gibt. Entscheidungen im politischen Umfeld sind schwieriger zu treffen als in einem Unternehmen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, einen Interessensausgleich zu erzielen - in einer Koalitions Regierung, mit der Opposition, den Ländern und den Sozialpartnern. Das muss man wissen bei aller Kritik. Das heißt nicht, dass man nicht Dinge hätte besser machen können. Das gilt aber für ganz Europa. Auf der Habenseite steht in Österreich, dass wir bei der finanziellen Unterstützung in Europa ganz vorne sind, es gibt wenige Länder, die mehr Mittel zur Verfügung stellen. Was weniger gut funktioniert, sind organisatorische und operative Umsetzungen. Beim Impfen könnte man das Bundesheer sehr gut einsetzen, die sind Logistikweltmeister. Die hätte man früher einbinden können. Überdies bin ich ein großer Fan von Benchmarks. Man sieht, dass sich Länder leichter tun, die im öffentlichen Bereich eine hohe Digitalisierungskompetenz haben. Wie zum Beispiel Dänemark.
Lust auf ein Amt in der Spitzenpolitik verspüren Sie im Moment wohl nicht.
Es ist für jeden, der da jetzt tätig ist, eine enorme Herausforderung, weil es um Menschenleben geht. Wir können nicht unmittelbar nachvollziehen, wie es ist, wenn man als Verantwortungsträger täglich mit Sterberaten konfrontiert ist. Es gibt keine sicheren Rezepte. Wir gehen auf Treibsand – es ist eine schwierige, aufgeheizte Stimmung, das sieht man in den sozialen Medien und an den Verschwörungstheorien. Ich bin demütig, denn ich habe zu einer Zeit Politik gemacht, wo es kein Facebook, Twitter, Instagram gegeben hat und ich nicht mit dieser Flut von Unterstellungen konfrontiert war. Wir müssen aufpassen, dass die Gesellschaft nicht auseinanderdriftet, dass nicht Strömungen entstehen, wo alles abgelehnt wird, was von der Regierung kommt. Da wäre die Politik, und das ist eine Hoffnung von mir an alle Parteien, gefordert, ein stärkeres Miteinander zu leben. Denn wenn diese Stimmungen sich verstärken, verlieren am Ende alle.
Stärkeres Miteinander auch zwischen Regierung und Opposition?
Ja. Es gab einen nationalen Schulterschluss im ersten Lockdown, dann ist man wieder verfallen in Klein-Klein. Jetzt gibt es Parteien, deren Namen ich nicht nennen will, wo ich der Meinung bin, dass man die nicht einbinden kann, weil sie das gar nicht wollen. Deren Konzept lautet, dagegen zu sein. Aber mit den vernünftigen Kräften muss man einen Schulterschluss machen, damit man nicht von der Gesundheitskrise in eine gesellschaftliche Krise schlittert.
Das richtet sich jetzt gegen ihre ehemalige politische Heimat.
Das richtet sich gegen alle Parteien, die so eine Krise populistisch ausnützen. Das beginnt bei Trump in Amerika, geht über die AfD in Deutschland und viele andere Parteien. So etwas ist unanständig und inakzeptabel. Man darf in der Krise den Leuten nicht zusätzlich Angst machen, sondern man muss schauen, wie man ein Land am besten gemeinsam durch eine Krise bringt.
Sie sind eine der wenigen Spitzenmanagerinnen. Sind Sie für eine Quote?
Ich bin kein Freund von Quoten, das ist kein Geheimnis. Ich konstatiere aber, dass es in einzelnen Bereichen notwendig sein kann, als Initialzündung Quoten einzuführen. In den Aufsichtsräten hat es eine deutliche Veränderung gebracht. Als ich bei Wüstenrot begonnen habe, war ich eine von ganz wenigen Frauen in der Finanzwirtschaft, das hat sich aber verändert, auch bei uns im Unternehmen. Wir haben 40 Prozent Frauen in Führungspositionen. In den großen börsennotierten Unternehmen ist es nach wie vor ein Riesenproblem. Nachdem sich da nichts tut, wird man Anreize schaffen müssen.
Doch eine Quote?
Als letztes Mittel. Positiv registriere ich, dass sich in der Generation nach mir etwas tut. Es sind jetzt viel mehr Frauen in der zweiten Führungsebene, ich gehe davon aus, dass die nach und nach in der ersten Ebene ankommen werden.
Was haben Sie bei Wüstenrot für Frauen gemacht?
Es ist der Effekt eingetreten, dass viele Frauen gesagt haben: „Wenn die Chefin jetzt eine Frau ist, habe ich auch mehr Chancen.“ Ich habe immer ein Auge darauf gehabt, Frauen zu ermutigen, denn Frauen sind zurückhaltender als Männer, wenn es darum geht, ihre eigenen Qualifikationen in den Vordergrund zu stellen.