Die Gesundheitskrise ist längst zu einer fundamentalen Wirtschaftskrise geworden. Wird 2021 – trotz Mutationen und verlängerten Lockdowns – das Jahr der wirtschaftlichen Wiederauferstehung?
MARTIN BARTENSTEIN: Absolut. Mein Optimismus hat zwar in den letzten Tagen nach dem Auftauchen dieser sogenannten britischen Mutation, die offensichtlich ansteckender ist, einen kleinen Dämpfer erhalten. Das wird das Thema Relaunch und Aufschwung der Wirtschaft vielleicht verzögern, aber nicht aufhalten. Aus meiner Sicht könnte das ab Jahresmitte der Fall sein. Mit den Impfungen ist ein Ende dieses Corona-Albtraums absehbar.
Die Pharmabranche gilt als Gewinner der Krise … wie läuft es in Ihrer Unternehmensgruppe?
Der Pharmabereich läuft gut, aber auch hier gibt es Unterschiede. Es gibt ganze Arzneimittelgruppen, die eingebrochen sind, u. a. Antibiotika, alles, was mit der Erkältungsgrippe zu tun hat, da verzeichnen wir einen zweistelligen Rückgang. Aber unter dem Strich war 2020 ein gutes Jahr für uns. Wichtig war, dass die Befürchtung, Lieferketten aus China und Indien könnten zusammenbrechen, nicht eingetreten ist.
Ihre Holding ist sehr breit aufgestellt und umfasst neben dem großen Pharma-Segment u. a. auch die Beteiligung am Büromöbelhersteller Bene. Wie geht dieses Geschäft in einer Zeit, in der alle vom Homeoffice-Trend sprechen?
Das Umsatzminus lag bei knapp 20 Prozent, rote Zahlen konnten wir aber mit Mühe vermeiden. Auf das Thema Homeoffice hat man reagiert, es gibt eigene Produktlinien. Büromöbel sind aber nun einmal etwas, das auf der Investitionsliste relativ leicht einmal auf „hold“ zu setzen ist.
Wo steht Österreichs Wirtschaft – ein knappes Jahr nach Ausbruch der Pandemie?
Auf betrieblicher Ebene hatten wir im März, April 2020 eine allgemeine Schockstarre. Man wusste nicht, wie es weitergeht. Die meisten Unternehmen, die von Lockdowns nicht direkt betroffen waren, sind dann wieder schneller auf die Füße gekommen als befürchtet. Das gilt auch für die Unternehmen in meinem Bereich. Aber Österreich ist nun einmal auch ein Tourismusland mit einem Anteil von sechs bis sieben Prozent an der Gesamtwirtschaftsleistung – und der Bereich ist zurzeit fast zur Gänze stillgelegt. Gerade Tourismus und Gastronomie könnten mit einem Ende des Lockdowns aber rasch wieder anspringen. Daher sind hier die Unterstützungsmaßnahmen auch sehr wichtig, die Wirte und Hoteliers brauchen sie.
Wie bewerten Sie die Wirtschaftshilfen insgesamt?
Die Kurzarbeit ist ganz wesentlich. Das ist eine sehr teure Maßnahme, die aber ganz entscheidend für den Arbeitsmarkt ist. Auch die Investitionsprämie ist ein richtiges und wichtiges Instrument, das ist der richtige Anreiz zum richtigen Zeitpunkt.
Bereiten Ihnen die immensen Schuldenberge und offenen Geldschleusen Sorge – auch hinsichtlich der Inflationsentwicklung?
Die öffentliche Hand tut sich mit den gegebenen Null- und Negativzinsen deutlich leichter, sich zu verschulden. Inflationsrisiken muss man immer beachten, aber meine Sorgen gelten, trotz dieser weit geöffneten Schleusen, nicht dem Inflationsrisiko …
Sondern?
Die ökonomischen Anreize sind derzeit völlig daneben. Schuldenmachen wird belohnt. Es war richtig und notwendig, aber eben gleichzeitig auch kritisch, Unternehmungen auch gesetzlich vor Insolvenz zu schützen. Dass diese Selbstreinigung der Wirtschaft, die Insolvenzen auch immer wieder mit sich bringen, schon so lange ausfällt, das tut nicht gut.
Droht heuer eine Pleitewelle?
Die Zahlen waren 2020 sogar stark rückläufig, das kommt jetzt natürlich zurück, das ist klar. Ob es die große Welle wird? Ich glaube das nicht, aber es wird zweifellos einen Anstieg geben.
Sie sind promovierter Chemiker, Pharmaunternehmer und sind bis heute als Aktionär an der Biotechfirma Apeiron Biologics von Professor Josef Penninger beteiligt. Zuletzt war immer wieder von einer Sternstunde der Pharma-Forschung die Rede. Zu Recht?
Ich bin auch stolz darauf, denn wer löst dieses Pandemie-Problem? Impfstoffe und Arzneimittel, die von der sonst ja meist sehr gescholtenen Pharmaindustrie kommen. Es ist großartig, was da gelaufen ist.
Welche Rolle spielt Österreich dabei?
Das passiert unter tatkräftiger Unterstützung von Österreichern. Biontech wurde auch von Professor Christoph Huber mitgegründet. Das für die Therapie zugelassene Remdesivir wurde unter der Ägide von Norbert Bischofberger, ebenfalls ein Österreicher, von Gilead in Kalifornien entwickelt. Und wenn die klinische Prüfung der Phase 3 für das ACE2-Produkt von Josef Penninger das hält, was es verspricht, dann kann das auch ein schöner Erfolg werden. Wir Österreicher können es also schon.
Auch im Corona-Krisenmanagement? Immer wieder wird Kritik laut, dass da zu viel Inszenierung und Show im Spiel sind.
Ich glaube, dass sich die Politik in Österreich mit dem „virologischen Quartett“ und den vielen Pressekonferenzen keinen guten Dienst erwiesen hat. So gut das im März, April gelaufen sein mag, im November waren wir, gemessen an der Einwohnerzahl, zwischenzeitlich das Land mit der höchsten Neuinfektionsrate weltweit. Aber das ist eine Randbemerkung, meine konkrete Kritik ist, dass es auch ein Jahr nach dem Pandemie-Ausbruch einen Pallawatsch bei den täglichen Infektionszahlen gibt. Das trägt zur Verwirrung bei und ist nicht vertrauensbildend. Auch der Lockdown im November hätte früher erfolgen können – aber das ist mit der Weisheit des Rückblicks leicht gesagt. Verschüttete Milch ist verschüttete Milch – jetzt geht es darum, mit aller Macht die Impfungen voranzutreiben.
Da läuft es aber auch nicht unbedingt rund. Die EU hat offenbar lange über Impfstoffpreise verhandelt, es gab und gibt Kritik, dass alles zu lange gedauert hat.
Zurecht. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die Europäische Arzneimittelbehörde in Sachen Zulassung so hinterherhinkt. Da geht es um wochenlange Verzögerungen, die nicht zu rechtfertigen sind. In Österreich haben wir pro Tag im Schnitt noch immer 50 Coronatote, in Europa sind es Tausende. Jeder Tag, den Impfstoffe früher zugelassen werden, erspart viel menschliches Leid, viele Tragödien. Auch bei der Debatte um die Preise ist die Verhältnismäßigkeit völlig verloren gegangen. Der Preis für eine Impfdosis liegt, je nach Hersteller, bei zwei bis knapp 15 Euro.
Wurde am falschen Platz gespart?
Diesen Vorwurf muss man denen, die für die Beschaffung zuständig sind, wohl machen. Da wurden auch schwere Fehler gemacht. Da hätte es in Brüssel und insgesamt in Europa jemanden gebraucht, der sagt: Gehen wir auf Nummer sicher, bestellen wir große Mengen bei allen infrage kommenden Firmen. Schauen wir uns die finanzielle Dimension am Beispiel von Österreich an: Wenn eine Impfdosis zwischen zwei und zehn Euro kostet, dann ginge es, selbst wenn man alle fast zehn Millionen Österreicher durchimpfen würde, bei je zwei Dosen, um 40 bis 300 Millionen Euro. Allein die Kurzarbeit in Österreich kostet Milliarden, das ganze Pandemie-Thema zig Milliarden.
Wie haben Sie den Impfstart in Österreich verfolgt?
Der Start war holprig, ein Fehlstart, da muss man jetzt besser werden.
Wie?
Die Massentests sind von unserem Bundesheer hervorragend organisiert worden, die können nicht nur Schneeschaufeln und Assistenzeinsatz an der Grenze leisten, die sind in Sachen Organisation und Logistik perfekt. Ich verstehe nicht, warum man die nicht für den Aufbau von Impfstraßen heranzieht, um dann, wenn die Pflegeheime durchgeimpft sind, sofort mit den Risikogruppen und über 65-Jährigen zu beginnen. Aus dieser Altersgruppe kommen 94 Prozent der Coronatoten.
Werden die Kosten der Coronakrise ohne Steuererhöhungen zu stemmen sein?
Das Thema Nummer eins nach der Pandemie muss sein, wieder Jobs zu schaffen, Menschen in Beschäftigung zu bringen und die Arbeitslosenrate zu drücken. Und das kann nur eine Wirtschaft tun, die investieren kann und die nicht gezwungen wird, irgendwelche neu erfundenen Steuern zu bezahlen, das wäre in dieser Phase Gift.