Er glaube fest daran, Adler zu alter Stärke zurückführen zu können, sagte Thomas Freude im Sommer 2018. Es war kein gutes Jahr für den Modehandel und für Adler. 1948 gegründet, war das Unternehmen zu einem der größten Textileinzelhändler in Deutschland geworden, schlitterte aber wie viele eingesessene Modeketten unter zunehmendem Onlinedruck und eigenen Versäumnissen in die Krise. Umsatz und Gewinn schrumpften und Adler-Chef Freude versuchte einen Neustart: Er sperrte unrentable Geschäfte zu und richtete den Fokus wieder einzig auf die ursprüngliche Zielgruppe – der wachsenden und kaufkräftigen Alterskohorte 55 plus.
Noch 2019 sorgte dieses Konzept für Aufwind, doch dann kamen die Pandemie und mit ihr die Lockdowns, in denen Konsumenten zwar viel altes Gewand wegwarfen, aber wenig neues kauften. Am Montag stellte die Kette den Insolvenzantrag – und auch wenn geplant ist, das Geschäft „in vollem Umfang“ fortzuführen, müssen die mehr als 3300 Mitarbeiterinnen an 171 Standorten um ihre Jobs zittern.
Adler Österreich nicht insolvent
In Österreich ist Adler seit 1987 vertreten, 300 Personen arbeiten in 24 Shops für das Unternehmen. Offiziell sind Auslandstöchter von der Insolvenz nicht betroffen, doch wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, handelt es sich bei derlei Sprachregelungen häufig um Beruhigungspillen. Adler Österreich bezieht die Waren zu 100 Prozent von der deutschen Muttergesellschaft.
Corona mag der Auslöser der Großinsolvenz sein, als einzige Erklärung reicht das Virus nicht aus. Mit Pleiten sorgten Modehändler bereits vor diesem Ausnahmezustand für Schlagzeilen – wie jene von Charles Vögele, Jones, Gerry Weber, mister*lady und zuletzt von Airfield, Colloseum, Dressmann, Haanl, Stefanel, Esprit, Sinn, Galeria Karstadt Kaufhof und weitere belegen. Mancher Marke gelang die Sanierung, andere verschwanden von der Bildfläche.
Rückzug aus den Innenstädten
Adler ist nur ein vorläufiger Höhepunkt. Bemerkenswert ist, dass die deutsche Kette 2010 auf den Onlinezug aufgesprungen ist, früher als andere. Das allein bürgt also nicht für ein Bestehen in dem hoch umkämpften Markt, doch ist ein E-Commerce-Angebot unentbehrlich.
„Im stationären Bereich ist der Modehandel seit Jahren auf dem Rückzug“, erklärt Hannes Lindner, Geschäftsführer der Beratungsfirma „Standort und Markt“ den Strukturwandel. Das zeige ein Blick in die Innenstädte. Ende 2013 war mehr als jedes dritte Geschäft in den zentralen Einkaufsstraßen ein Mode- oder Schuhhändler, sieben Jahre später ist deren Anteil auf unter 30 Prozent gesunken. „Diese Entwicklung passiert scheibchenweise“, sagt Lindner. „In den Leerstand zogen Dienstleister oder Gastrobetriebe ein.“
E-Commerce legt zu
Die Pandemie beschleunigt den Trend, das wirkt sich auf alle Bereiche des stationären Handels mit hunderten von Schließungen aus. Den Anteil von E-Commerce im Modehandel schätzen Experten derzeit auf mindestens 25 Prozent, „es geht in Richtung 30 Prozent“, sagt Lindner. Adler – und bald auch andere – werden ihr Filialnetz weiter ausdünnen. „Obwohl ich das Konzept gut finde und ihm eine Chance gebe“, sagt Lindner. „Adler ist es andererseits offenbar nicht gelungen, aus dem Vakuum, das Vögele hinterlassen hat, Marktanteile zu gewinnen.“
Im Modehandel, aber auch in anderen Segmenten wird der Onlineanteil weiter zunehmen. Er funktioniert und ist bequem – auch wenn die Logistik zeitweise an ihre Grenzen stößt und Altpapiercontainer immer öfter übergehen. „Ein Rumpf an stationärer Handelsfläche wird auf jeden Fall bleiben“, so Lindner. Heimlich bahne sich indes eine Revolution im Lebensmittelhandel an. Spielte der Onlinehandel dort bis vor Kurzem noch kaum eine Rolle, hat sich der Marktanteil nun auf zwei Prozent verdoppelt. „Das sind vorerst kleine Bewegungen, die man aber nicht unterschätzen darf. In zehn Jahren ergibt sich daraus ein anderes Bild.“