Im Abgasskandal kam es am Donnerstag zu einem weiteren wichtigen Urteil. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat unter anderem beschlossen, dass Abschalteinrichtungen illegal sind. Konkret ist der Einsatz einer Software zur Schönung von Abgaswerten bei Zulassungstests nicht rechtens.
Ein Hersteller dürfe keine Abschalteinrichtung einbauen, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen verbessert, erklärte das Gericht. Auch die Verminderung von Verschleiß oder Verschmutzung des Motors könne eine solche Abschalteinrichtung nicht rechtfertigen.
Der EuGH hatte im Wesentlichen zwei Fragen zu klären: Handelt es sich bei der Software um eine "Abschalteinrichtung"? Diese sind laut EU-Recht grundsätzlich verboten, es gibt aber Ausnahmen, unter anderem, wenn die Abschalteinrichtung nötig ist, "um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen" oder "den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten". Die zweite Frage war also: Fällt diese Software unter die Ausnahme? Der EuGH hat diese Frage verneint.
"Die gesamte Automobilindustrie wartet auf dieses Urteil", sagt der deutsche Rechtsanwalt Claus Goldenstein, einer von mehreren, die in diesem Verfahren europaweit zehntausende Mandanten vertreten. "Denn nahezu sämtliche Autohersteller setzen auf Abschalteinrichtungen, dazu zählen VW, Daimler, BMW und Volvo. Selbst Wohnmobile mit Motoren von Fiat und Iveco wurden auf diese Weise manipuliert."
Zulässiger "Motorschutz"?
Hintergrund der nun erwarteten Entscheidung des EuGH ist ein Verfahren gegen VW in Frankreich, erklärt Rechtsanwalt Ralf Stoll in einem Blogeintrag. Das Tribunal de Grande Instance de Paris will Antworten auf Fragen, "die für die gesamte europäische Automobilindustrie Sprengstoff enthalten". Die Frage an den EuGH lautet sinngemäß, ob Abschalteinrichtungen zulässig sind, wenn sie dem Motorschutz dienen - so argumentieren nämlich die Hersteller.
Dass VW beim Dieselmotor EA 189 die Abgasreinigung in unzulässiger Weise manipuliert hat, hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe in seinem ersten Verfahren am 25. Mai 2020 festgestellt und VW aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Täuschung verurteilt. Seitdem sei klar, dass die Manipulation von VW illegal war und der Konzern den betroffenen Autobesitzern Schadenersatz zahlen muss, erklärt Goldenstein. Laut einer Entscheidung des EuGH im Juli 2020 können Autobesitzer den Schaden übrigens in jenem Land einklagen, in dem das Auto gekauft wurde - also auch in Österreich.
Die Generalanwältin
Das Urteil betrifft nicht mehr nur VW, sondern alle Produzenten. Die Generalanwältin des EuGH, Eleanor Sharpston, machte in ihrem Schlussantrag bereits deutlich, dass VW im Diesel-Motor EA 189 eine unzulässige Abschaltreinrichtung verbaut hat, und setzte insgesamt für die Zulässigkeit einer regulierten Abgasreinigung enge Grenzen. Die Juristin bewertete Abschalteinrichtungen als illegal, wenn die betroffenen Fahrzeuge dadurch im normalen Straßenbetrieb mehr Schadstoffe ausstoßen als auf dem Prüfstand. Die Richter des EuGH der Auffassung der Generalanwältin gefolgt. Anwälte rechnen nun mit einem "Dieselgate 2.0".
Größte Rückrufwelle?
Nun drohe der Automobilindustrie die "größte Rückrufwelle aller Zeiten", so Goldenstein. Es könnten außerdem Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe auf die Hersteller zukommen.
Insgesamt waren bisher 13 Verfahren im Abgasskandal beim EuGH anhängig, sieben sind es noch, zählt Anwalt Stoll auf. Drei dieser sieben Verfahren kommen übrigens von österreichischen Gerichten.
Unabhängig von der Entscheidung in Luxemburg will ebenfalls am heutigen Donnerstag der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) die umstrittene Frage der Verjährung bei Klagen von Diesel-Käufern gegen Volkswagen klären.