Was erwartet uns, wenn ab 7. Dezember alle Handelsgeschäfte wieder öffnen dürfen?
CHRISTOPH TELLER: Es wird rege Betriebsamkeit vorherrschen und auf den Handel ein großer Kundendruck zukommen, was positiv für den Handel ist, aber für die Corona-Infektionsentwicklung problematisch sein kann. Wir haben schon den ersten Lockdown erforscht und gesehen, dass der Durst und Hunger nach Einkaufen sehr groß war. Die Leute haben regelrecht Anlauf genommen, um wieder in Geschäfte zu gehen. Jetzt ist das Wollen noch durch das Müssen verstärkt. In unserer christlichen Kultur gibt es die Erwartungshaltung, dass man schenkt und beschenkt wird.
Vor Einkaufszentren sollen Polizisten die Menschenströme lenken helfen, reicht das?
In den Einkaufszentren wird es schwerer zu regeln sein, als in den Einkaufstraßen. Aber man soll gewappnet sein. Der Konsument ist nicht ein rationales Wesen. Wir wissen aus der Konsumentenforschung seit Jahrzehnten, dass viel aus dem Bauch entschieden wird, wo, was und wie gekauft wird.
Enormer Nachholbedarf
Bricht der 8. Dezember, der als einer der einkaufsstärksten Tage des Jahres gilt, alle Rekorde?
Für den Einzelhandel ist der Dezember von größter Bedeutung und es schaukelt sich an den Einkaufsamstagen hinauf von Umsatzbasis 100 am ersten Samstag auf 150 am vierten. Der 8. Dezember liegt bei 80. Jetzt hatten wir aber den ersten Weihnachtseinkaufsamstag gar nicht, sondern alles hat sich aufgestaut, sodass man eine Kundenflut erwarten kann. Da auch Urlaube und Skiausflüge nicht möglich sind, engt sich der Trichter ein: Wir wollen hinaus, wir wollen einkaufen, der Nachholbedarf ist enorm.
Werden die Abstandsregeln dem Stand halten? Massen in einem Möbelhaus und Schlangen vor einem Schuhgeschäft vor dem Lockdown waren alarmierend.
Großen Ansammlungen, eine Crowd, wirken verschreckend und erhöhen den Einkaufsstress. Das Setting ist nicht ideal, aber die Chance für den Handel ist da.
Geschenkausgaben relativ krisenresistent
Nach dem Lockdown erwarten Sie für die Weihnachtsgeschenke Umsätze von 1,95 Milliarden Euro, 2019 waren es bei durchgehender Öffnung 2,0 Milliarden. Das wäre ein Rückgang von zwei Prozent - trotz Krise fast konstant.
Die Krise hat viele getroffen, aber es hat sich auch viel Erspartes angesammelt, zum Beispiel durch das Wegbrechen der Gastronomie, das jetzt aber auch ein Nachteil für den Handel ist. In unserer Motivforschung überwiegt für das Schenken das altruistische Motiv, jemand Anderen etwas Gutes zu tun, gefolgt vom Beziehungsmotiv, wo man mit dem Geschenk Liebe, Zuneigung oder Dankbarkeit signalisieren will. 26 Prozent greifen dafür auf Erspartes zurück und der Handel übernimmt für 15 Prozent auch Kreditfunktion – kauf heute, zahl später. Die Geschenkausgabe ist wegen alldem relativ krisenresistent.
Von diesen 1,95 Milliarden Euro erwarten Sie, dass 1,56 Milliarden Euro der stationäre Einzelhandel einnehmen würde, das wären fünf Prozent weniger als im Vorjahr, während der Online-Handel um 14 Prozent auf 410 Millionen steigen würde. In einem zweiten Szenario sehen Sie noch stärkeren Shift zum Online-Handel.
Die Weihnachtseinkäufe haben sich schon im Vorjahr stärker zurück in den Dezember verschoben. So spät hat man natürlich im Internet nicht immer die Sicherheit, die Produkte geliefert zu bekommen. Das erklärt den geringeren Internet-Anteil im Weihnachtsgeschäft im Vergleich zum Gesamtjahr. Ich erwarte das erste Szenario. Die längeren Öffnungszeiten geben viel aus und nützen dem stationären Handel.
Onlinehandel
Dabei fließen 240 Millionen Euro an Amazon, alibaba & Co ab.
Das tut mir als Österreicher weh, weil die kaum Steuern hier zahlen. Ihre Professionalität muss man aber anerkennen.
Da schmerzt der misslungene Start des „Kaufhaus Österreich“ der WKO noch mehr?
Es ist eine richtige Inititative, man soll daran weiterarbeiten.
Öffnung der Sonntage vor Weihnachten wäre gut gewesen?
Die Sonntagsöffnung müssen wir als österreichische Gesellschaft gemeinsam beantworten.
Höhere Tagesverluste
Im ersten Lockdown verlor der Handel 110 Millionen Euro im Tag, im zweiten Lockdown 130 Millionen. Das glätten die Hilfen nicht.
Die Hilfen sind sinnvoll, weil sie zeitnah kommen, die Staffelung ist eine politische Entscheidung. Die Branche des Einzelhandels ist für Österreich so wertvoll, dass langfristige Schäden abgewehrt werden müssen.
Rainer Will vom Handelsverband sieht 6000 Händler am Abgrund stehen. Muss man mit Insolvenzwelle im Handel rechnen?
Es wird Opfer geben, die vor dem Abgrund stehen, aber so viel glaube ich nicht. Ich habe Vertrauen in die Kaufleute. Der Händler lebt mit dem Wandel. Der Handel kann daher auch besser mit Krisen umgehen, als andere Branchen.
Werden Sie persönlich auch am 7. und 8. Dezember einkaufen gehen?
Natürlich!
Zur Person
Christoph Teller lehrt und forscht als Universitätsprofessor an der Johannes Kepler Universität Linz. Er ist Institutsvorstand am Institut für Handel, Absatz und Marketing an der JKU Business School.
Der gebürtige Wolfsberger studierte an der WU in Wien und war dort als Assistenzprofessor tätig, später lehrte er auch an den Universitäten Stirling sowie Surrey (GB), Marburg, Graz, Dublin, Bratislava
und Regensburg.
Adolf Winkler