Der Kurs der Bitcoin hat sich innerhalb von zwei Monaten verdoppelt, nur um dann über Nacht um zehn Prozent einzubrechen. Das weckt das Interesse vieler Investoren in die Kryptowährung. Viele träumen schon von einer Wiederholung der Rallye von 2017. Tatsächlich konnte man damals mit seriösen Angeboten schöne Gewinne erzielen. Doch diese neue Kryptowelt zog viele zwielichtige Gestalten an, die ihren Kunden Gewinne aus dem Reich der Fantasie versprachen. Sie alle haben ein Vorbild:
Schon 1920 machte nämlich in der US-Stadt Boston ein „Finanzgenie“ von sich reden. Der italienische Immigrant Charles Ponzi bot Investoren einen Zinssatz von 50 Prozent innerhalb von 45 Tagen an. Banken zahlten damals rund fünf Prozent. Binnen Kürze wurde er so zum Millionär und lebte auf großem Fuß. Schon im Sommer des Jahres regte sich der Verdacht, dass es bei dem System von Ponzi nicht mit rechten Dingen zuging.
Ein Insider machte schließlich öffentlich, dass Ponzi das ihm anvertraute Geld nicht wie versprochen in internationale Postgutscheine investierte, sondern alte Anleger einfach mit den Einlagen neuer Investoren auszahlte. 20 Millionen US-Dollar (heutiger Wert: 193 Millionen US-Dollar) wurden veruntreut. Im November 1920 wurde Ponzi zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Internationale Berühmtheit erlangte er, weil diese Betrugsmasche nach ihm benannt wurde: das Ponzi-Schema.
Von Madoff bis AvW
Auch wenn die Geschichte bereits 100 Jahre zurückliegt, wiederholt sie sich immer wieder. Im Zuge der Finanzkrise 2008 kollabierten zwei dieser Systeme. Jenes des US-Börsengurus Bernie Madoff und jenes des Wörthersee-Jetset-Millionärs Wolfgang Auer-Welsbach. Über Jahre haben sie mit frischen Investorengeldern Altkunden ausbezahlt und sich großzügig an der Kassa bedient.
Das Medienecho dieser beiden Fälle war zwar groß, doch dieses Betrugsschema findet weiterhin neue Nachahmer. Und Kryptowährungen haben die Lage schlimmer gemacht als je zuvor. Es braucht nur wenig technisches Verständnis, um eigene Pseudo-Kryptowährungen zu erschaffen, die auch Scam Coins genannt werden. Unter immer neuen Namen wird dann die „Revolution des globalen Finanzsystems“ versprochen, freilich mit astronomisch hohen Renditen. Besser noch: Wirbt ein Betrugsopfer weitere „Investoren“, schneidet man auch an deren Gewinn mit und am Gewinn jener, die von diesen angeworben werden und so weiter.
Onecoin ist wohl am bekanntesten. 2,4 Milliarden Euro sind in dem System verschwunden, das auch in Kärnten und der Steiermark angeboten wurde. 2018 flog dann das österreichische Optioment-System mit Tausenden Geschädigten auf. Gerichtsverfahren geschweige denn Verurteilungen gibt es aber bis heute keine. Vielmehr bieten viele der damaligen Verkäufer weiter andere dubiose Kryptocoins an.
Keine Auszahlungen
Geschädigte fühlen sich vom Staat im Stich gelassen, wie ein Betroffener der Kleinen Zeitung erzählt. Er wurde Opfer einer solchen Masche mit Pseudo-Kryptowährungen, die seit einem Jahr existiert. Nach einer Anzeige gegen einen Verkäufer dieser Coin „hat der mich ausgelacht und gesagt, die Behörden können gar nichts gegen ihn machen“.
Auch der deutsche Rechtsanwalt Jochen Resch vertritt mehrere Opfer dieses Systems. „Meine Klienten kommen nicht mehr zu ihrem Geld“, erklärt Resch. Statt sich auf staatliche Ermittler zu verlassen, recherchiert das Anwaltsbüro selbst. „Wenn man Erfolg haben will, muss man wirklich alles bis ins kleinste Detail vorbereiten.“ Je genauer die Unterlagen sind, desto höher seien die Chancen, dass die Ermittler aktiv werden.
Dabei sind die Behörden alles andere als untätig. Die Finanzmarktaufsicht veröffentlicht laufend Investorenwarnungen. Die Folge: Die Betrugssysteme wechseln ihre „Zentrale“ auf dem Papier einfach von einem EU-Staat in den anderen. Gerade bei Internet-Start-ups sind die Regeln oft großzügig, ein Umstand, den die Krypto-Betrüger ausnutzen. Natürlich passt die FMA ihre Warnungen an und tauscht sich mit Behörden anderer EU-Länder aus. Währenddessen behaupten die Vertreter der Betrugssysteme weiterhin, dass alles ganz legal sei, weil es ja sogar eine Zentrale in einem EU-Land gäbe.
Die Hinterleute spielen mit den Behörden ein Katz-und-Maus-Spiel. Selbst die Kriminalpolizei stößt an Grenzen, wie Ermittler im Vertrauen gegenüber der Kleinen Zeitung berichten. So werden beispielsweise Kreditkarten ausgegeben. Auf welches Konto diese laufen, ist unklar. Kreditkartenfirmen verweigern die Auskunft. Der Staatsanwaltschaft muss eine gerichtliche Öffnung des Kontos erwirken. Das ist aufwendig, langwierig und führt nur selten zu Erfolgen. Denn oft werden die Konten mit einem falschen Ausweis eröffnet. Dazu kommt, dass Betrugsopfer ihre „Investition“ auf ständig wechselnde Konten einzahlen sollen.
Zahlreiche Betrugsmaschen
Während Ermittler einer Spur nach der anderen folgen, werben die Vertriebsleute dieser Systeme weiter neue Kunden mit teils abstrusen Ankündigungen, was denn alles mit dem „Investment“ aufgebaut würde und warum Auszahlungen nicht möglich seien. Die Hinterleute freilich haben sich zu diesem Zeitpunkt längst mit dem Großteil des Geldes in ein Land abgesetzt, das sie nicht ausliefern wird. Dazu kommt: Verschwindet eine Betrugsmasche, ist die nächste längst aktiv. Immer lauter wird daher der Ruf nach einer europäischen Finanzbehörde, damit Betrüger in der EU nicht mehr von Land zu Land wechseln können.
Am Ende hilft nur Aufklärung. Zinsversprechen in fantastischer Höhe sind eben stets Fantasie. Das zeigen die zahlreichen Maschen, die bereits aufgeflogen sind. Angefangen bei Charles Ponzi vor 100 Jahren.
Roman Vilgut