Digitale Werkzeuge, vom Live-Chat bis zur Videokonferenz, bestimmen mehr denn je den Alltag, formen und ordnen diesen neu. In der Arbeit – und beim Konsum: So haben Herr und Frau Österreicher 2019 rund 3,6 Milliarden Euro in Online-Shops ausgegeben. Die Hälfte davon bei nur zehn großen Händlern.

Unangefochten an der Spitze: Der US-Versandriese Amazon mit 834 Millionen Euro. Coronakrise und Lockdown geben der Branche weiteren Auftrieb. Der E-Commerce-Anteil am gesamten Einzelhandel könnte heuer auf elf Prozent ansteigen.

Nicht nur die Einkaufswagen verlagern sich ins Netz. Auch das Wohnzimmer wird immer mehr zur digitalen Heimzentrale. Wobei es hier einen scharfen digitalen „Divide“ gibt, eine Bruchlinie mitten durch die Gesellschaft. So nutzen laut aktueller RTR-Studie 87 Prozent der Über-50-Jährigen noch häufig den klassischen Fernseher und fünf Prozent Internet-Angebote. Bei den Unter-30-Jährigen konsumieren nur 33 Prozent lineares Fernsehen, aber 47 Prozent Streaming-Dienste.

Dauer-Erreichbarkeit

Wenn nun zunehmend durch das Homeoffice die Arbeit Einzug in den Wohnraum der Menschen hält, kommt es zu einer Entgrenzung von Beruflichem und Privatem. Das Diktat der Dauer-Erreichbarkeit, die allgegenwärtige Kontrolle in von Algorithmen durchgetakteten Berufen sind Fluch und Segen zugleich. Ob diese Welle der Digitalisierung gut oder böse ist, zu mehr Autonomie oder mehr Überwachung führt, liegt meist am Anwender: „Es geht darum, wie das Tool genutzt wird“, sagt Heiko Breitsohl, Experte für Personal- und Organisationsmanagement an der Uni Klagenfurt. „Menschen mit hochqualifizierten Jobs sehen die Veränderungen häufig positiv. Diese können aber den Druck, immer erreichbar zu sein, erhöhen.“

Manche Jobs verlieren ihre ökonomische Basis: „Beim Beruf, der früher Sekretärin genannt wurde, sind Aufgaben angefallen, die heute kaum noch existieren.“ Beim Maurer geschieht das „spätestens, wenn alle Häuser über den 3D-Drucker erstellt werden.“

Dazu kommt das generelle Problem digitaler Medien: „Die Kommunikation wird schwieriger, weil sie eingeschränkter ist, es kommt leichter zu Missverständnissen“, warnt Breitsohl. Wissenschaftliche Konferenzen etwa finden heuer nur mehr online statt. Zumindest der formale Teil, denn informelle Kommunikation geht verloren: „Man begegnet niemandem mehr am Gang, weil es gar keinen Gang mehr gibt.“ Das erschwere auch die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber.

Man kannte fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl aus internationalen Unternehmen. „Was früher New York und London waren, sind jetzt Welzenegg und Waidmannsdorf.“ Oder Eggenberg und Waltendorf. „Der andere ist eben woanders“, sagt Breitsohl.

Im Homeoffice begegnet man niemanden am Gang, weil es gar keinen Gang gibt. Das schränkt die Kommunikation untereinander ein.

Ähnlich blickt Soziologie Dieter Bögenhold auf die Umbrüche durch Digitalisierung: „Bei den einen herrscht apokalyptische Stimmung, bei den anderen Hoffnung.“ Tatsache ist, sie hat die Welt irreversibel umgekrempelt. Die Pandemie wirke als Katalysator und Verstärker. „Vieles beschleunigt sich.“ Was bleiben wird? „Manches wird sich in der Zeit der Post-Pandemie wieder einpendeln“, glaubt Bögenhold. Etwa der Gang zum Wirten. „Anderes wird bleiben.“

So zeige sich, dass selbst dort keine physische Präsenz mehr nötig ist, wo man vor einem Jahr meinte, das sei undenkbar. „Die Digitalisierung leistet der Dezentralisierung Vorschub“, so der Klagenfurter Soziologe, und sie befördert das Wesen des Prosumers: „Ein bisschen Hersteller, ein bisschen Konsument.“ Ein Puzzle der Aktivitäten. Beständige Erwerbsbiografien? Fehlanzeige.

Ein neues Phänomen ist der hybride Selbstständige: Teilzeit-angestellt mit einer Prise Selbstständigkeit. Bögenhold: „Neue Techniken bringen ungewohnte Kombinationen von Berufsidentitäten.“ Zur Bewältigung der wachsenden Unsicherheit rät Breitsohl, an der eigenen Qualifikation zu arbeiten. „Komplexere Jobs werden diejenigen sein, die noch länger nicht vom Computer erledigt werden können.“

Social Media statt Virtual Reality

Und es bleibt noch Zeit zu lernen. Denn die Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz würden überschätzt, sagt Alexander Albler, Gründer und Geschäftsführer des 1995 gegründeten IT-Serviceunternehmen NTS. „Zu dieser Zeit sind zwei spannende Sachen passiert. Einmal wurde das Internet auch für Menschen außerhalb der Unis leichter zugänglich. Zweitens startete die Entwicklung der Mobiltelefone.“ Das Smartphone und die ständige Verfügbarkeit des Internets für die breite Masse waren für Albler Wendepunkte zur digitalen Gesellschaft.

Womit er nicht gerechnet hätte ist die enorme Verbreitung von Facebook & Co. „Wir dachten in den 1990ern, dass in der Zukunft virtuelle Realität ein Riesenthema sein wird. Das ist nicht eingetreten. Dafür haben wir soziale Medien bekommen. So etwas war damals nicht vorstellbar.“ Einen weiteren Umbruch erlebt die Gesellschaft gerade: Der Wandel von Job und Schule zu Homeoffice und Homeschooling.

Viele Firmen waren nicht vorbereitet: „Da haben die Kinder am Vormittag am selben Tablet ihren Unterricht gehabt, mit dem am Nachmittag in Videokonferenzen über Firmengeheimnisse gesprochen wurde.“ Der wahrgewordene Alptraum jedes IT-Sicherheitsexperten. „Wir erleben, dass die Cyberattacken auf Unternehmen massiv zugenommen haben“, erzählt Albler. Und zwar gezielt auf bestimmte Unternehmen mit Schwachstellen. Hier braucht es auch in den Unternehmen nun ein schnelles Lernen. Denn eines ist klar: Wie schon Online-Shopping und Streaming wird auch das Homeoffice nicht wieder verschwinden.