Die wirtschaftliche Erholung verzögert sich mit dem zweiten Lockdown weiter. Wann kommt die Trendwende?
MONIKA KÖPPL-TURYNA: Es ist noch immer sehr unsicher, neue Prognosen werden in hohem Tempo präsentiert. Es ist davon auszugehen, dass die Erholung erst später eintritt, insbesondere, falls sich der Lockdown bis zum Frühling zieht. Das nächste Jahr wird noch problematischer sein als erwartet. Die Erholung tritt wohl erst 2021 oder 2022 ein.
Vor allem Beherbergung und Gastronomie trifft der Lockdown schwer.
Diese Branchen haben schon im Frühjahr bewiesen, dass sie schnell reagieren. Solange sie einigermaßen Liquidität behalten und Tourismus wieder möglich wird, werden sie sich erholen. Sie müssen aber Hilfen erhalten. Ganz anders schaut es bei Branchen aus, die einen strukturellen Wandel erleben – das ist langfristig problematischer.
Strukturell und konjunkturell in der Krise – also ein Doppelschock?
Firmen, die sich schon in den letzten Jahren massive Gedanken gemacht haben, etwa, wie man online Handel betreibt, hatten einen massiven Vorteil. Wer erst jetzt anfängt, über Digitalisierung nachzudenken, hat es schwer. Das gilt auch im öffentlichen Bereich und für die Schulen. Es ist seit Jahren ein Mantra, dass unsere Schulen endlich ins 21. Jahrhundert kommen müssen. Spätestens jetzt muss man diese Digitalisierung in Angriff nehmen.
Haben Sie den Eindruck, dass schon alle aufgewacht sind?
Das hoffe ich. Kürzlich starteten die Budgetgespräche fürs nächste Jahr und da ist die Digitalisierungsfrage einer der ganz großen Punkte. Ich bin optimistisch, dass das 2021 angegangen wird.
Wie lange kann sich der Staat großzügige Coronahilfen wie den 80-prozentigen Umsatzersatz eigentlich leisten?
Der Ersatz für entfallenen Umsatz hat den Vorteil, dass diese Zahl bereits existiert und nicht erst mühsam ermittelt werden muss. Damit nicht dasselbe passiert wie im Frühjahr, wo manche Unternehmen lange auf die Hilfen gewartet haben. So schneller Hilfe zu leisten ist grundsätzlich positiv zu sehen, auch wenn es etwas teurer werden kann, insbesondere wenn der Lockdown verlängert wird und auf andere Branchen erweitert werden muss.
Also uneingeschränkte Zustimmung zu Staatshilfen?
In der akuten Krise ist es schon okay, dass wir Nachfrage und Unternehmen stabilisieren. Wichtiger ist, dass wir nächstes oder spätestens übernächstes Jahr einen Konsolidierungsplan haben. Das hinauszuzögern können wir uns nicht leisten. Man muss langfristige Reformen endlich angehen – zum Beispiel Effizienzsteigerungen im Bildungsbereich oder in der öffentlichen Verwaltung.
Die Reform- und Sparpläne müssen schon 2021 vorliegen?
Sobald die Krise vorbei ist. Grundsätzlich sind wir in Österreich in keiner so schlechten Position. Wir haben die Möglichkeit, ein, zwei Jahre Schulden in diesem Ausmaß zu machen. Aber es ist wichtig, in guten Zeiten wieder zu sparen. Sobald Wirtschaft und Nachfrage stabil sind, müssen wir Effizienzpotenziale ausnutzen, über Pensionen und die Föderalismusreform reden – ewige Themen, die man jetzt angehen muss. Da ist viel zu gewinnen, ohne dass man Leistungen verschlechtern muss. Wir können uns es uns ein „Business as usual“ nicht leisten.
In Österreich droht 500.000 Arbeitslose, zugleich auch fehlende Fachkräfte. Was ist zu tun?
Wir müssen aufpassen, dass die Arbeitslosigkeit nicht außer Kontrolle gerät. Jetzt spielt die Jahreszeit leider gegen uns. Wir könnten neue Arbeitsplätze mit Budgetmitteln fördern, indem man Lohnnebenkosten aussetzt und diese aus dem Staatsbudget bezahlt. Geförderte Beschäftigungsverhältnisse sind noch immer besser als Arbeitslosigkeit. Wir haben höhere Arbeitslosigkeit bei niedrig qualifizierten Berufen – wir brauchen mehr Bildung. Die berufliche Weiterbildung der Betriebe könnte gefördert werden und man muss auch ausländische Fachkräfte nach Österreich holen.
Dieser Lockdown trifft vor allem Italien erneut schwer.
Das ist wirklich bitter, weil es dieselben Länder stark trifft wie in der letzten Krise. Die einen sagen, Italien stagniert in der Produktivität und hat bisher keine Reformen durchgeführt, es sei daher schon richtig zu sagen, keine Schulden zu vergemeinschaften. Andere meinen, Österreichs Wirtschaft ist stark von Exporten abhängig – wir können Italien daher keinesfalls fallenlassen.
Was meinen Sie?
Mein goldener Weg zwischen den Positionen wäre zu sagen, wir müssen die Rettung dieser Länder mit Reformen und Bedingungen verknüpfen, weil wir es uns weder ökonomisch noch politisch leisten können, diese Länder im Süden nicht zu retten. Wir sitzen in einem Boot.
Europa wirft diese zweite Welle wieder zurück, aus Asien erreichen einen ganz andere Nachrichten, die Wirtschaft in China wächst stark. Mit welchen Folgen?
Die Länder, die die Gesundheit im Griff haben, haben auch die Wirtschaft im Griff. Das gilt vor allem für die asiatischen Staaten. Für Europa ist die Situation sehr schwierig. Es kann zu einer Verschiebung in der Geopolitik kommen – umso wichtiger ist, dass Europa eng zusammensteht und frei von Protektionismus Freihandel betreibt.
Wer wird am Ende die Rechnung für die unglaublichen Schuldenberge in Europa bezahlen?
In Österreich sind wir in der glücklichen Situation, dass die Kredite im Moment sehr günstig sind. Die Schulden zahlen wie immer die nächsten Generationen.
Kommt der Euro in der Coronakrise unter Druck?
Ob es dazu kommt, liegt wieder zum Teil an den Staaten selbst. Wenn Italien eine Arbeitsmarktreform macht, werden auch die Finanzmärkte darauf reagieren. Mit diesen Reformen kann man sich wieder günstiger finanzieren.
Am 31. Dezember scheidet Großbritannien endgültig aus dem Binnenmarkt aus. Hat der Brexit angesichts drängender Probleme wie der Coronakrise an Schrecken verloren?
Ganz im Gegenteil. Es wird für die Briten noch schwieriger die Krise zu bewältigen, wenn sie aus der Europäischen Union ausscheiden. In der EU besteht die Bereitschaft, diese Krise gemeinsam zu bewältigen, das fehlt den Briten, die dann alleine sind. Gerade in Krisenzeiten müssen Staaten so offen wie möglich sein, denn auf offenen Grenzen ist unser Wohlstand aufgebaut.