Die RWE will bis 2040 CO2-neutral sein. Oder könnte es noch schneller gehen?
Rolf MARTIN Schmitz: Nein, das Ziel ist, 2040 CO2-neutral zu sein. Der deutsche Kohlekompromiss sieht den Ausstieg aus der Kohle bis 2038 vor. Das kann auch auf 2035 vorgezogen werden. In UK haben wir kein Kohlekraftwerk mehr, in den Niederlanden erfolgt der Ausstieg bis 2030. Für später noch notwendige Stromerzeugung aus Gas gehen wir von einem Umstieg auf grünen Wasserstoff aus; eventuell sind noch kleinere Kompensationsmaßnahmen notwendig.
Viele zweifeln am Potenzial des Wasserstoffs – Sie nicht?
Er wird gebraucht als Rohstoff in der Industrie. Will man CO2-Neutralität erreichen, kommt man am Wasserstoff nicht vorbei. Wenn wir uns den Endenergieverbrauch anschauen, dann können wir Stand heute etwa 45 Prozent elektrifizieren, deutlich mehr als aktuell. Man kann 30 Prozent einsparen, 5 Prozent mit Biomasse, Biogas ersetzen. Aber man muss 20 Prozent der Energie über Wasserstoff erzeugen.
Dem grünem Wasserstoff fehlt aber die Effizienz. Man benötigt riesige Strommengen, die Wirkungsverluste sind enorm.
Das stimmt. Deshalb sollte man alles, was man direkt elektrisch machen kann, auch tun. Darum halte ich Wasserstoff im Pkw-Verkehr für ziemlich sinnlos. Im Fernlast-Schwerverkehr kann das anders sein. Und fliegen wird man künftig mit Wasserstoff und Wasserstoffderivaten.
Wie wichtig ist Atomstrom für die Dekarbonisierung der Erde?
Zunächst: Für RWE ist das kein Geschäftsfeld. Außerdem, wenn aber auf jetziger Technologie ein neues Kernkraftwerk gebaut wird, ist das sehr teuer, deutlich teurer als die Energie aus Wind und Sonne. Ob es in 20 Jahren kleinere und technisch weniger aufwändigere Anlagen gibt, das ist noch offen.
Deshalb auch die grüne Transformation von RWE?
Das Kerngeschäft von RWE ist es, Strom zu produzieren, den wir über die Börse und an große Industriekunden verkaufen. Wenn die Stromerzeugung mit neuen Technologien günstiger ist als mit alter, die zudem Umweltfolgen hat, wäre man schlecht beraten, würde man nicht umsteigen. Das ist für das Unternehmen ein evolutionärer Wandel.
In Österreich ist das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) vorgestellt worden. Ist dieses Gesetz denn geeignet, Österreichs Stromproduktion wie geplant bis 2030 klimaneutral zu machen?
Österreich ist durch die Wasserkraft, die einen großen Teil der Stromproduktion abdeckt, ein gelobtes Land. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, Programme für den massiven Ausbau von Windkraft und Photovoltaik aufzulegen, zumal es erschließbare Gebiete gibt. Im Detail kann ich das allerdings nicht beurteilen.
Der Widerstand in der Bevölkerung und Politik gegen den Ausbau Erneuerbarer ist aber groß.
Man kann nicht sagen, wir wollen fossile Energien zurückfahren, aber Alternativen bitte nicht vor meiner Haustür errichten. Es braucht den politischen und gesellschaftlichen Konsens, dass die Notwendigkeit, den Klimawandel zu begrenzen, so groß ist, dass dafür der einzelne manchmal Nachteile in Kauf nehmen muss. Gemeinwohl muss wieder vor Eigenwohl gehen.
Dieser Konsens fehlt heute.
Weil wir in den letzten Jahren in eine Gesellschaft individuellen Rechts gelaufen sind. Wenn wir nicht dazu kommen, dass zur Gefahrenabwehr gemeinsames gesellschaftliches Handeln stattfindet, dann wird es schwierig.
Was kann Österreich als aus der deutschen Energiewende lernen?
Die Entwicklung von Wind und Sonne zur günstigsten Art der Stromerzeugung ist weitgehend von Deutschland bezahlt worden. 500 Milliarden Euro haben diesen Schub ausgelöst.
Also „Danke, Deutschland“?
So würde ich es nicht formulieren. Die Österreicher waren vielleicht intelligenter, denn jetzt ist der Umstieg viel günstiger, die Technologie ist ausgereift. Manchmal belohnt einen das Leben doch, wenn man später kommt …
Haben Sie Präferenzen für Sonnen- oder Windstrom?
Wir brauchen beides. Das zeigen die Zahlen: Eine Sonnenstromanlage in unseren Breiten hat zwischen 1000 und 1200 Volllaststunden, aufs ganze Jahr wird sie nur zu 15 Prozent ausgenutzt. Bei Wind kommen Sie auf 2400 bis 3000 Volllaststunden.
Kommen bei der Transformation die Netze an ihre Grenzen?
Wenn ich mehr elektrifiziere, muss ich die Netze ausbauen. Man kann heute Netze jedoch deutlich besser auslasten und steuern.
Viele sorgen sich vor einem Blackout, dem großflächigen Ausfall der Netze. Sie nicht?
Nein, dafür sind unsere Netze zu intelligent und wir haben in den vergangenen Jahren eine Menge Erfahrung gesammelt.
Sie halten durchgerechnet rund 38 Prozent an der Kelag. Wo wollen Sie diese hin entwickeln?
RWE und Kelag verbindet eine langjährige strategische Partnerschaft, die wir gerade verlängert haben. Dass die Kelag in den nächsten zehn Jahren eine Milliarde weitgehend in die grüne Stromproduktion investieren will, ist ambitioniert und richtig. Für das Unternehmen ist das eine große Menge Geld, das am liebsten in Wasserkraft-, Wind- und Photovoltaik-Projekte im eigenen Land und in Südosteuropa fließen soll.
Wie heftig trifft Corona RWE?
Wirtschaftlich relativ wenig. Wir verkaufen unseren Strom zum größten Teil über die Börse drei Jahre im Voraus.
Wenn die Gesamtwirtschaft in die Knie geht, trifft Sie das nicht?
Wenn die Coronakrise noch drei Jahre dauert, dann sicherlich. Aber wir haben für 2020 und 2021 unser Ergebnis zu einem bedeutenden Teil sozusagen eingeloggt. Da sind wir in einer sehr moderaten Situation.
RWE galt vor drei Jahren noch als Pleitekandidat und fossiler Dinosaurier der Branche. Wie ist Ihnen diese Wende gelungen?
Wir sind nicht wach geworden und waren plötzlich grün. Als wir Innogy und RWE 2016 getrennt haben, galt RWE für viele als der Loser. Aber wir haben sehr schnell unsere Strategie weiterentwickelt, dabei mussten wir nicht unser Geschäftsmodell ändern, sondern die Technologie: hin zu den Erneuerbaren. Durch die Transaktion mit E.ON haben wir das Erneuerbaren-Geschäft von E.ON und Innogy erhalten, das uns auf einen Schlag zu einem der weltweit führenden Anbieter in diesem Bereich gemacht hat. Bei Offshore-Wind sind wir global die Nummer 2. Und wir haben die Kraft und die Lust, bei den Erneuerbaren weiter zu wachsen.