Schienen, Weichen, Fahrwerke, Software, Signaltechnik, Prüfgeräte, Straßenbahnen, U-Bahn-Züge, Waggons ... diese Bandbreite ist schlicht enorm. Geht es um Bahntechnologie, nehmen österreichische Unternehmen auch weltweit eine ganz wesentliche Rolle ein. Österreichs Anteil am Welthandel für Schienenfahrzeuge beträgt fünf Prozent.
„Das ist angesichts der Größe Österreichs schon sehr beachtlich. Im weltweiten Vergleich der Top-Exportländer für bahnrelevante Produkte liegt man damit auf dem ausgezeichneten siebenten Rang“, betonte im Frühjahr der Ökonom Christian Helmenstein, der im Auftrag des Verbands der Bahnindustrie (VBI) eine Branchenstudie erstellt hat. Besonders stolz ist die Branche auf einen Weltmeistertitel: Mit 50 Erfindern im Bereich der Bahntechnologie pro einer Million Einwohner ist Österreich weltweit klar die Nummer eins. Diese Zahl hat sich seit 2012 zudem fast verdoppelt.
"Das sucht seinesgleichen"
VBI-Präsident Kari Kapsch betont: „Man muss sich bitte auch hier die Größe Österreichs vor Augen führen, wenn man die vorliegenden Zahlen betrachtet. Das sucht weltweit seinesgleichen. Zwischen zwei und drei Prozent aller Patente, die im Bereich Eisenbahn weltweit angemeldet werden, stammen aus Österreich.“
Die heimischen Bahnindustrie-Unternehmen mit ihren knapp 10.000 Mitarbeitern erwirtschafteten zuletzt einen Jahresumsatz von rund 3,1 Milliarden Euro.
Auch wenn die Coronakrise dem Bahnverkehr und den Fahrgastzahlen zusetzt, ist die Branche überzeugt davon, „dass die Bahn und damit Innovationen aus Österreich eine ganz entscheidende Rolle für die Mobilitätswende und auch im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen werden“, wie VBI-Geschäftsführerin Angela Berger betont.
Stabiler Sektor
Die aktuelle Lage bestätigt diese Einschätzung. Die Krise trifft die Bereiche Automobilität und Luftfahrt stark, während die Geschäftslage im Bahnsektor aber stabil geblieben ist.
Dass das Bewusstsein dafür, dass Österreich in diesem Segment viele Weltmarktführer und Vorzeigeunternehmen beheimatet, in der Öffentlichkeit nicht so stark ausgeprägt ist, habe zum Teil mit einem traditionsbehafteten Bild aus der Vergangenheit zu tun, so Berger. Doch auch hier sei ein Wandel feststellbar. 64 Prozent der in Österreich gefertigten Produkte werden ins Ausland geliefert.
Bieten gegen China
Um diese Stärken auch in Zukunft ausspielen zu können, drängt die Branche auf entsprechende Rahmenbedingungen – insbesondere auf europäischer Ebene. Es gehe u. a. um die Konkurrenzfähigkeit auf Drittmärkten, wie Berger im Hinblick auf den Mitbewerb aus China festhält. Bei Beschaffungsvorgängen seien etwa „echte Bestbieterkriterien“ gefragt, beispielsweise Lebenszykluskosten und Qualitätskriterien. „Von der Qualität her braucht sich Europa und auch die österreichische Bahnindustrie vor niemandem auf der Welt verstecken, wenn es aber auf eine reine Preisschlacht hinausläuft, wird’s schwierig.“
Herausragende Beispiele stark exportierender Produktions- und Entwicklungsbetriebe im Bahnsektor finden sich in Österreich also leicht. Die folgenden fünf sind außerdem in der Steiermark beheimatet oder haben hier zentrale Standorte.
Siemens Mobility: Die Vectron Lok
Rund 20 Meter lang, bis zu 90 Tonnen schwer und 8700 PS am Rad: Die Vectron-Lokomotiven von Siemens Mobility haben seit 2010 europaweit mehr als 300 Millionen Kilometer zurückgelegt – 800 sind im Einsatz, etwas mehr als 1000 Stück verkauft. Die Produktionsgeschwindigkeit musste wegen der hohen Nachfrage sogar erhöht werden, berichtet das Unternehmen: Seit einigen Monaten wird in München eine Lok pro Tag gefertigt. Die Drehgestelle dafür kommen aus Graz – zwei Stück je Lok.
„Hier haben wir die Lieferketten optimiert, die Produktion gesteigert und effektiver gemacht“, erklärt Michael Braun, Sprecher von Siemens Mobility. Die Fertigung werde auch 2021 auf Hochtouren laufen. Das Grazer Siemens-Werk baut außerdem Drehgestelle für Straßenbahnen. Neben bereits länger laufenden Projekten wie der Straßenbahn München gewann Siemens aktuell die Ausschreibung für Stadtbahnen in Düsseldorf und Duisburg, die 109 Hochflur-Garnituren im Volumen von 400 Millionen Euro bestellten. Aus Graz werden dafür ab 2022 327 Drehgestelle kommen. Worüber man offiziell noch nicht sprechen will, was aber fixiert ist: Ein U-Bahn-Großauftrag aus London wird in Graz ebenfalls für volle Auslastung sorgen.
Voestalpine: Smarte Schienen
85 Prozent dessen, was an den steirischen Standorten der Voestalpine Railway Systems in Donawitz und Zeltweg hergestellt wird, geht in den Export. Europa (Deutschland, Schweiz, Italien, Frankreich, Schweden, Großbritannien) und Südafrika sind aktuell die wichtigsten Märkte. Auch außerhalb dieser Länder werden Schienen, Weichen und Signaltechnik aus der Steiermark geordert. Für Straßenbahnen in australischen Großstädten etwa Rillenschienen, für eine Neubaustrecke in Tansania Weichen und Weichenstellsysteme, Komponenten für Hochgeschwindigkeitsstrecken in der Türkei, Brasilien und Polen, Weichen für die Metro in Hanoi (Vietnam), nicht zuletzt wird die Metro in Singapur schon seit fast 20 Jahren mit kompletten Weichen ausgestattet – diese Aufzählung ist längst nicht vollständig.
Die Voestalpine Railway Systems sind ein weltweit führender Anbieter kompletter Bahninfrastruktursysteme, die neben der sogenannten Hardware auch die volldigitale Überwachung von Bahnstrecken umfassen. An einer Hochgeschwindigkeitsweiche können bis zu 40 Sensoren verbaut werden, sie sind auf Geschwindigkeiten bis 380 km/h ausgelegt.
Nextsense: Calipri für Kiwirail
Mit dem Handmessgerät Calipri entwickelte Nextsense aus Graz einen Exportschlager. Weit mehr als 2000 Geräte im Gesamtvolumen von mehr als 45 Millionen Euro wurden bis jetzt an die Bahnindustrie weltweit verkauft. Der Hauptmarkt ist Europa mit der DB, SNCF, ÖBB, SBB und Trenitalia als größte Einzelkunden. Der größte Wachstumsmarkt ist aber China, wo Calipri bei den Metros unter anderem in Peking, Schanghai, Chengdu, Wuhan, Shenzhen im Einsatz ist, „Tendenz stark steigend“, heißt es von Nextsense. Auch „exotische“ Kunden gibt es – wie die Kiwirail aus Neuseeland oder die Metro de Santiago in Chile. Einfach gesagt, lässt sich mit Calipri der Verschleiß von Eisenbahnrädern rasch messen.
Innofreight: Gigantische Waggons
Das Brucker Unternehmen Innofreight hat sich auf die Entwicklung von Waggons, Containern und Entladesystemen für den Gütertransport spezialisiert und bedient Güterbahnen in ganz Europa. Derzeit liege der Fokus stark auf der Holzbranche. So habe sich der GigaWood-Waggon in kürzester Zeit international bewiesen, fahre im gesamten mitteleuropäischen Raum und in Schweden. Seit Kurzem setzt auch die SwissKrono AG auf 14 Stück GigaWood-Waggons.
Für den Transport von Holzhackschnitzel entwickelte Innofreight den WoodTrainer. Die Version XXXL erlaubt eine wesentlich höhere Zuladung als herkömmliche Container und ist in Tschechien, Schweden und Finnland im Einsatz. Die Brucker errichten auch dazu passende, stationäre Entladeanlagen – das Paradebeispiel befindet sich am Holzplatz von Mondi in Steti (Tschechien).
PJM: Der gläserne Güterzug
Petschnig-Joch-Monitoring (PJM) hat sich mit zwei Schwerpunkten internationale Reputation erarbeitet. „In über 30 Ländern haben wir Zulassungstests für neue Züge und aufwendige Prüfverfahren für Schienenfahrzeuge durchgeführt“, erklären die Geschäftsführer Martin Joch und Günter Petschnig. Sie zählen die Metros, U-Bahnen und S-Bahnen von Chicago, Oslo, Berlin, Barcelona, Glasgow, London und Riyadh zu ihren Kunden.
Im Schienengütertransport etablierte PJM das Waggontracker-System: Es stellt umfassende Daten in Echtzeit über den Gütertransport bereit und automatisiert aufwendige Prozesse wie etwa die Bremsprobe. Seit 2017 wurde das System 2500 Mal implementiert; SBB Cargo, Mercitalia, Lenzing AG, Mercer Holz AG oder Transwaggon lauten hier einige der Abnehmer. Das System erhielt mehrere Auszeichnungen, zuletzt den Mobilitätspreis des Verkehrsclub Österreich. Der Waggontracker trage zur Konkurrenzfähigkeit zwischen dem Güterverkehr auf der Schiene und dem Güterverkehr auf der Straße bei, begründete die Jury. „Die umfassende Datengrundlage bietet gute Voraussetzungen für Modernisierungen und Optimierungen.“