In den Bereichen Automotive und Luftfahrt schlägt die Krise durch, hingegen boomt der weltweite Markt für Bahninfrastruktur. Warum?
FRANZ KAINERSDORFER: Die Bahn hat generell, und zwar in allen Bereichen, an Attraktivität gewonnen. Das liegt an demografischen Entwicklungen und an Umweltthemen, aber die Gründe sind regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Für uns ist der Klimawandel mittel- und langfristig ein echter Treiber.
Wie sehr bremst die Pandemie die Bahnindustrie?
Wir hatten bis Covid-19 einen weltweit prosperierenden Bahninfrastrukturmarkt. Dann ist es natürlich zu Unterbrechungen gekommen, teilweise im Ausmaß mehrerer Wochen, teilweise aber auch gar nicht, da wir in einigen Ländern als systemrelevante Produktionsbetriebe eingestuft wurden. In den meisten Märkten haben wir nach wie vor eine sehr gute Auftragslage, vor allem in Asien, denn China ist wieder voll da. Abstriche müssen wir konjunkturbedingt aber etwa in Nordamerika hinnehmen.
Schauen wir nach China. Das Reich ist für die Voestalpine einerseits Markt und Partner, andererseits Konkurrent. Wie stellt sich die Exportsituation dar?
China hat in den letzten 20 Jahren das Hochgeschwindigkeitsnetz um 25.000 Kilometer ausgebaut und nun beschlossen, dass alle großen Städte mit Hochgeschwindigkeitstrassen verbunden werden und noch einmal 20.000 Kilometer hinzukommen. Außerdem sollen in allen Städten ab einer Million Menschen Straßenbahnen gebaut werden und in allen Metropolen ab fünf Millionen Einwohnern eine Metro – sofern es die noch nicht gibt. In China sind wir aktuell einer von fünf Lieferanten von Hochgeschwindigkeitsweichen, unser Marktanteil liegt über 25 Prozent. Das hängt mit der von uns eingebrachten Technologie zusammen, die wir mit der Chinesischen Bahn gemeinsam ständig weiterentwickeln, aber auch mit der Fertigungsqualität. Wir haben vor Ort ein Joint Venture mit einem chinesischen Weichenbauunternehmen. Vor Kurzem gründeten wir mit chinesischen Partnern ein weiteres Joint Venture, um uns verstärkt im Nahverkehrsbereich engagieren zu können. Aufgrund der massiven Ausbaupläne sehen wir gute Entwicklungsmöglichkeiten. Gleichzeitig wird die chinesische Konkurrenz weltweit nicht weniger. Wir sind aber auch immer wieder Auftragnehmer von Projekten, die von China finanziert werden.
Wie schätzen Sie die Lage in Nordamerika ein?
Die großen Güterbahnen – davon gibt es sieben mit Hunderten Zubringerbahnen dahinter – sind konjunkturabhängig und nehmen rasch Investitionen zurück, wenn es bergabgeht. Wir rechnen auch damit, dass sich der Rückgang der Fahrgastzahlen in den Nahverkehrssystemen der Metropolen auf unsere Auftragslage auswirkt – nicht sofort, aber in den nächsten zwei Jahren.
Wird es den Markt in Europa ähnlich treffen?
In Europa sind wir sehr gut unterwegs. Wir liefern Schienen, Weichen und Signaltechnik an fast alle Bahnen und das Geschäft ist über mittel- und langfristige Verträge gut abgesichert. Beeinträchtigungen werden wir auch da sehen, aber keine allzu großen Auswirkungen. Denn auch wenn die Bahnen hier unter weniger Fahrgästen leiden, werden die Regierungen – nicht nur in Europa, auch in Nordamerika – Konjunkturprogramme aufsetzen. Im Bahnsektor kann der Staat durch Investitionen sinnstiftend ausgleichen, da profitieren nicht nur wir davon, sondern sehr viele andere auch.
Die Voestalpine ist auch Anbieter von intelligenten Schienensystemen, die sich quasi selbst überwachen. Wie verbreitet ist dieser Standard bereits?
Da geht es um zwei Systeme, die ineinanderspielen und die man integriert betrachten muss. Beim Inframonitoring geht es um die Überwachung der Strecke, um Sicherheit, Instandhaltung und damit Verfügbarkeit. Beim Rolling Stock Monitoring wird das rollende Material, also Züge und Waggons, überwacht und liefert Daten über Radlasten, Achslasten, Lichtraumprofile. Da haben wir zuletzt an die ÖBB 25 Checkpoints ausgeliefert. Die Bahnen nehmen das unterschiedlich an: Es gibt Kunden, die hier schon sehr weit entwickelt sind, und solche, die noch konventionell mit wenig Digitalisierung arbeiten. Aber es ist ein wachsender Markt, da jede Bahn versuchen muss, ein Maximum aus ihrem Netz herauszuholen.
Apropos Klimawandel: Wie sieht für Sie ein Verkehrsszenario in 10 Jahren aus?
Die Bahn ist ökologisch betrachtet ein sehr vorteilhaftes Transportmittel. Was zukünftig erforderlich sein wird, sehen wir etwa am stark wachsenden Güterterminal Werndorf – die sinnvolle und smarte Integration von Verkehren. Ich gehe davon aus, dass es in zehn Jahren autonom fahrende, regional agierende Lkw geben wird, die von einem Kunden einen Container zu einem Güterterminal bringen, der dort automatisch übernommen und auf den richtigen Zug gesetzt wird. So kann man gebrochene Verkehre optimieren, zukunftsfähig machen und Kosten herausnehmen. Das lässt sich auch in ähnlicher Form auf das Fahrgastsegment umsetzen und hat Potenzial.