Das Wörtchen „wenn ...“ findet sich in fast jeder Prognose zum Wirtschaftswachstum für das heurige und das kommende Jahr. Denn was Wirtschaftsforschern immer klar war: Kommt ein zweiter Lockdown, ist dieses Zahlenwerk reine Makulatur.

Angesichts der Fallzahlen greift nun an den internationalen Börsen die Angst um sich. Seit Anfang der Woche fallen die Kurse rund um den Globus. Der ATX verlor innerhalb einer Woche mehr als fünf Prozent, der Dax über neun Prozent.

Finanzielle Basis anders

„Die Börsen haben weitere Maßnahmen in Europa bereits eingepreist“, erklärt Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International. Und tatsächlich wird es in Deutschland ja ab Montag einen weiteren Lockdown geben. Nun müsse die Politik für Beruhigung sorgen, sagt der Analyst. „Es muss klar sein, welche Zahlen als Grundlage für Entscheidungen herangezogen werden.“

Brezinschek ist dennoch kritisch bezüglich weiterer Lockdown-Maßnahmen. Die heimische Wirtschaft könnte nicht mehr stark genug sein. „Unternehmen und Private hatten im Frühjahr eine bessere finanzielle Basis.“ Wenn solche Schritte kommen, müssten die Maßnahmen verhältnismäßig sein. „Es geht nicht darum, Wirtschaft gegen Gesundheit auszuspielen. Die beiden Bereiche funktionieren nicht ohne einander“, sagt der Analyst. Hier sei es nun die Aufgabe der Politik eine tragfähige Lösung zu finden.

Schwaches Wachstum

Angesichts dieser Situation rechnet Brezinschek nicht damit, dass die aktuellen Prognosen zum Wirtschaftswachstum im vierten Quartal halten. Weitere Maßnahmen würden den Dienstleistungssektor und Konsum treffen und das schlage sich auch auf Gewerbe und Industrie durch. „Wenn die Hotels zumachen müssen, hat auch der Bäcker keine Kunden mehr.“ Deshalb geht der Börsenprofi inzwischen davon aus, dass das Wachstum Ende des Jahres deutlich geringer sein wird, als erwartet. „Vielleicht wird es sogar eine Null im Vergleich zum Vorquartal.“

Als Krisenfeuerwehr in solchen Situationen ist bisher stets die Europäische Zentralbank (EZB) aufgetreten. Und so wird auch die heutige Zinssitzung mit Spannung erwartet. Allerdings ist fraglich, ob EZB-Chefin Christine Lagarde heute wirklich weitere Maßnahmen ankündigt. „Die EZB wird die Lage weiter sehr genau beobachten“, sagt der RBI-Chefanalyst. Doch mit neuen Maßnahmen rechnet er nicht. „In der jetzigen Phase laufen noch zahlreiche Moratorien. Hier sind Zinssenkungen oder mehr Gelddrucken kein großer Entlastungsfaktor.“

US-Präsidentschaftswahl

Auch wenn in den USA die Coronazahlen wieder steigen, haben die Börsenhändler in New York einen anderen Fokus: die Präsidentschaftswahl am kommenden Dienstag. Vor allem bei einem knappen Wahlausgang dürfte sich das Patt zwischen Republikanern und Demokraten rund um weitere Finanzhilfen weiter in die Länge ziehen. Dementsprechend musste auch der Dow Jones Federn lassen und verlor im Wochenabstand mit 3,2 Prozent.

Allerdings wäre das Minus ohne die Technologieaktien noch stärker. Die Kurse von Apple, Google, Facebook und Co. halten sich nicht nur, die Aktien legen zu. „Diese Unternehmen sind Profiteure der Krise“, sagt Brezinschek und verweist auf Cloud-Computing, Online-Handel oder Streaming. „Der Run auf Technik-Aktien wird erst enden, wenn die traditionellen Unternehmen sich wieder erholen.“ Doch das werde wohl nicht in absehbarer Zeit geschehen.