Ein gelernter Fotokaufmann, der nicht nur Sängerknabe war, sondern später deren Präsident. Ein Wirtschaftskammerfunktionär, dessen Achse zum langjährigen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) legendär war - und mit dem er die Saison an der Alten Donau traditionell mittels Bootsausflug eröffnete. Walter Nettig war in der Wirtschaft und der Politik in Wien über Jahre hinweg eine prägende Figur. Nun ist er im Alter von 85 Jahren verstorben.
Die Sängerknaben begleiten den am 7. Juni 1935 geborenen Wiener seit früher Kindheit, als er selbst Mitglied im Chor war. "Ich bin seit meinem neunten Lebensjahr berufstätig", erinnerte sich Nettig in einem früheren APA-Interview an die "dichte Zeit" samt Stimmtrainings, Reisen und Internatsleben. 2008 folgte eine Rückkehr zu den Wurzeln: Er wurde für einige Jahre selbst Präsident des Vereins der Wiener Sängerknaben.
Australien
Zwischen Karriere als singender Jüngling und Präsidentschaft lag ein abwechslungsreiches Leben. Nach seiner Jugendzeit bei den Sängerknaben absolvierte der spätere Kommunalpolitiker zunächst eine Ausbildung im Fotobereich und ging dann nach Australien, wo er sich unter anderem als Zuckerrohrschneider verdingte. Dies seien einige der schönsten Jahre seines Lebens gewesen, beteuerte er stets.
In den USA absolvierte Nettig später ein zweijähriges Handelsstudium und jobbte nebenbei bei einem Film- und Fotounternehmen in Hollywood. Berufsbedingt habe er dort etwa Elvis Presley in der "Ed Sullivan Show" nicht nur via Bildschirm erleben dürfen. Zurück in Österreich baute Nettig seine eigene Fotofirma auf. Das erste Geschäft im niederösterreichischen Traiskirchen eröffnete er 1958. Die erste Filiale in der Bundeshauptstadt folgte drei Jahre später. Bis Anfang der 1990er-Jahre, als er sich zum Verkauf des Unternehmens entschloss, war die Kette auf insgesamt 27 Shops angewachsen.
Politiker in Wien
Zu jener Zeit war Nettig längst für Politik und Wirtschaft tätig. In die Wiener Kammer kam der Vater zweier Töchter 1970, 22 Jahre später wurde er zum Präsidenten gekürt - ein Amt, das er Ende 2004 an Brigitte Jank übergab. In die Kommunalpolitik stieg Nettig 1987 für die Volkspartei als Gemeinderat ein, 1989 folgte er Erhard Busek als Stadtrat nach. Nach der Wahlniederlage der ÖVP im Jahr 1991 kehrte er als Abgeordneter in das Stadtparlament zurück, dem er bis 1996 angehörte. Nettig wurde von Häupl zudem zum Sonderbeauftragten für Außenwirtschaftsfragen ernannt.