In dem soeben erschienenen neuen Buch, das Sie gemeinsam mit Johannes Gutmann und Robert Rogner geschrieben haben, findet sich 51 Mal der Begriff Monsterwirtschaft im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem. Eine Wohlfühllektüre wollten Sie und Ihre Co-Autoren offensichtlich nicht vorlegen?
JOSEF ZOTTER: 51 Mal? Das ist vielleicht wirklich zu viel. Monsterwirtschaft ist grauslich, das will auch niemand. Aber das ist so etwas wie eine Warnung, denn es geht ja auch ökologisch nicht in dieser Art weiter. Den Preis für all das, was wir jetzt vernichten, indem wir Regenwälder abholzen, damit wir Soja als Tierfutter für unseren unermesslichen Fleischkonsum haben, diesen Preis wird auch jemand bezahlen müssen. Wir wollen da nicht mit dem Zeigefinger agieren, stellen uns aber schon die Frage, ob jetzt angesichts des Coronathemas alles wieder so weitergehen soll wie bisher? Wir reden ständig von Ökologisierung, von Emissionsreduktion … ja, irgendwas werden wir tun müssen, zumindest einmal damit anfangen. Gerade jetzt wäre doch der Zeitpunkt für eine Veränderung da. Es gibt extrem viel zu tun.
Im Buch wird ein sehr spiritueller Zugang zum Thema Wirtschaft gewählt.
ZOTTER: Aber es geht nicht um Glauben oder Esoterik. Es geht um wesentliche Fragen: Was brauchen wir? Und was brauchen wir nicht? Wir kommen mit zehn Prozent weniger auch aus, wir müssen nur einen Weg finden, wie das geht. Das ist sicherlich die größte Schwierigkeit, die Wirtschaft auf einem verträglichen Niveau einzupendeln.
„Die kapitalistische Monsterwirtschaft schafft die Bürger allmählich ab und ersetzt sie durch Konsumenten“, wird in dem Buch unter anderem ausgeführt. Sie und Ihr Unternehmen sind aber auch ganz massiv vom Konsumverhalten der Menschen abhängig …
ZOTTER: Ja, genau. Wir produzieren nicht Brot, Milch und Wasser, kein Grundnahrungsmittel, sondern Schokolade, das kann man auch als Luxusprodukt sehen, klar. Aber ich habe schon häufig öffentlich und zu Kunden gesagt – und das meine ich so: Esst weniger Schokolade. Aber dafür schaut’s ein bissl mehr auf die Zutaten, es muss keine Zotter-Schokolade sein, darum geht’s nicht, es gibt auch andere, die gute Sachen machen. Aber es geht um das Maßhalten, weg von der Überproduktion, weg von der Masse – hin zur Qualität. Mir geht es vor allem um den übermäßigen Konsum, ich meine keine Grundnahrungsmittel oder das Wohnen. Ich frage mich aber sehr wohl, ob es Flugreisen, übers Wochenende nach Barcelona, zu einem Ticketpreis von 39 Euro geben muss.
Wie gehen Sie als Chef eines gut gehenden Familienunternehmens mit 200 Mitarbeitern mit dem Thema Wachstum um?
ZOTTER: Ich habe gelernt, dass es einfach einen Punkt gibt, ab dem es genug ist. Mehr ist dann nicht mehr nötig. Unsere Wirtschaft muss das auch lernen. Es geht nicht um ständiges wirtschaftliches Wachstum. Es geht darum, auf anderen Gebieten zu wachsen, persönlich, sozial, intellektuell. Es geht darum, als Gemeinschaft zu wachsen, an Herausforderungen und Zielen.
Leitet Corona eine Wende ein?
ZOTTER: Alles wird sich nicht ändern. Jetzt wäre schon die Gelegenheit gewesen, etwa europaweit eine Steuer für Kerosin einzuführen oder die Frage zu stellen, ob international eine Fluglinie nach der anderen mit Millionen gerettet werden muss. Ich sehe einfach die Gefahr, dass die Welt noch weiter auseinanderdriftet. Die einen sagen, nie wieder wegfliegen, Flugscham und so weiter, die anderen wollen nach wie vor an Wochenenden zu Billigstpreisen durch Europa jetten. Beides wird nicht der Weg für die Zukunft sein. Ich wundere mich da, warum die Politik so zaghaft ist.
Die Rettung von Unternehmen geschieht auch aus Sorge, dass sonst Abertausende Arbeitsplätze verloren gehen.
ZOTTER: Ich habe auch in der Natur beobachtet, wie Wachstum funktioniert. Da gibt es den Spruch, Bäume wachsen nicht in den Himmel, aber sie können sehr groß werden, wenn das Licht stimmt und der Platz. Aber irgendwann schlägt der Blitz ein – und dann liegt der große Baum. Dann haben aber die sieben umliegenden, kleineren Bäume wieder mehr Licht und können auch wachsen. So, glaube ich, sollte Wirtschaft auch funktionieren.
Können Sie nachvollziehen, dass sich Menschen nach der Stabilität sehnen, die es – im Vergleich zu jetzt – vor Corona gab, ganz einfach, weil sie Angst um ihre Jobs, um ihre Zukunft haben?
ZOTTER: Aber die Wirtschaft hat ja schon vor Corona gekränkelt, bei vielen Arbeitsplätzen war es also nur eine vermeintliche Sicherheit. Die Arbeit wird nicht ausgehen, diese Befürchtung habe ich nicht. Wir können in Energie investieren, in Nahrung, neue Mobilitätskonzepte. Ich denke auch, dass man von der so hohen Besteuerung des Menschen, der Arbeit wegkommen muss – hin zu einer sinnvolleren Konsumbesteuerung, auch bei manchen Importprodukten, ohne dabei gleich ins andere Extrem, den Protektionismus, zu verfallen.
Sie üben auch scharfe Kritik an der Nullzinspolitik.
ZOTTER: Ja, das bereitet mir große Sorgen. Dass die Zentralbanken in Notsituationen zu solchen Maßnahmen greifen, ja, das hat es früher auch gegeben. Wenn es keine Zinsen gibt, wird mehr Risiko eingegangen, die Menschen, die Unternehmen verlernen das Sparen, man hört sogar so Sätze wie: Wer spart, ist blöd. Wir hatten in etwa alle zehn Jahre eine große Krise, die IT-Blase nach der Jahrtausendwende, die Finanzkrise ab 2008, jetzt Corona – in diesem Zeitraum wurde dermaßen viel Geld gedruckt. Geld, das aus meiner Sicht zu wenig bei den Menschen ankommt, sondern an den Finanzmärkten, bei Spekulanten und dort zu Fantasiepreisen führt.
Zum Beispiel?
ZOTTER: Schauen Sie sich die Entwicklung von Technologieaktien an der Börse an. Aus meiner Sicht ist das absurd, wenn Apple an der Börse zwei Billionen Dollar wert ist und damit den Börsenwert innerhalb von zwei Jahren verdoppelt hat. Von einer Billion auf zwei Billionen. Dort, wo schon ein Meer ist, wird also noch einmal Wasser dazugefüllt. Ich mache mir Sorgen um den Mittelstand, viele globale Großkonzerne können es sich richten, vor allem, solange es keine Steuergerechtigkeit gibt. Es ist absurd, dass wir das nicht in den Griff kriegen, Technologieriesen, die in der EU massive Gewinne machen, aber kaum Steuern zahlen. Das wäre die Aufgabe eines vereinten Europas.
Auch in diesem Buch gehen Sie sehr offen mit Ihrer Unternehmenspleite im Jahr 1996 um – was lernt man aus dem Scheitern?
ZOTTER: Damals habe ich u. a. gelernt und lernen müssen, ohne Kredite zu wirtschaften, ich habe damals auch nicht wirklich geglaubt, dass das gehen kann. Aber wir sind heute ein zu 100 Prozent eigenfinanziertes Unternehmen. Wir investieren jedes Jahr zwei Millionen Euro ins Unternehmen, machen Gewinn, können mit mehr als 200 Mitarbeitern gut davon leben. Ich lebe nicht im Luxus, aber mir geht’s sehr gut, als Unternehmer, als Mensch, als Familienvater. Wir fühlen uns bei Zotter als mittelständisches Unternehmen, das gut funktioniert.
Bewährt sich das auch in der Coronakrise?
ZOTTER: Wir stehen im Unternehmen auf drei Säulen, haben das Besucherzentrum, die Schokolade, die wir in den Handel geben, und den Online-Shop, wo wir den Kunden direkt bedienen. Als das Besucherzentrum coronabedingt zusammengebrochen ist, hatten wir exorbitante Zuwächse bei den Online-Bestellungen, um 120, teilweise 140 Prozent. Davor haben wir dort mit acht Mitarbeitern gearbeitet, dann auf einmal mit 40. Es hat sich aber gezeigt, auch ganz allgemein in der Wirtschaft, wie wichtig es ist, auf mehreren Standbeinen zu stehen.
Sie importieren Kakao aus Südamerika. War das beeinträchtigt?
ZOTTER: Als der Shutdown kam, haben mich meine Kakaobauern kontaktiert, ihre größte Befürchtung war, dass jetzt der Preis fällt und ob sie überhaupt noch liefern können. Ich habe gesagt, so könnt ihr nicht denken, wir haben kein Problem, wir benötigen weiterhin Kakao und der Preis bleibt. Das hat auch mit Werten zu tun. Ich habe nach dem Tod meines Vaters einen Leitsatz von ihm aufgegriffen, von dem ich früher immer gesagt habe, dass ich den nicht wiederholen werde. Er hat immer gesagt, was du nicht willst, das man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu. In diesem Spruch steckt letztlich die ganze Glaubenshaltung drinnen. Das muss auch für die Wirtschaft gelten.