In Brasilien, dem zweiten Stammland der RHI Magnesita, wütet die Corona-Pandemie mit über 100.000 Toten und drei Millionen Infizierten. Wie leiden Sie mit und was tun Sie für Ihre Mitarbeiter?
STEFAN BORGAS: Wir leiden irre mit. Wir haben rund 200 Infizierte in den eigenen Reihen. Unsere Schutzmaßnahmen in Brasilien sind viel strenger als hier. Wir müssen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen davor schützen, das Risiko eines Krankenhausaufenthalts einzugehen. In den Werken haben wir das sehr gut im Griff und unsere Büros in Brasilien sind seit drei Monaten geschlossen.
Wie feuerfest ist der Konzern für die Zeit nach Corona, wo laut „Economist“ eine „90 Percent Economy“ weltweit absehbar sei?
Wir operieren seit April mit ungefähr 25 Prozent niedrigeren Umsätzen, sind dabei stabil und auch profitabel. Wir haben eine sehr gute Liquidität von über 1,1 Milliarden Euro. Wir könnten auf diesem Niveau lange ausharren.
Mit Corona fiel der Wert der RHI Magnesita an der Börse jedoch auf rund 1,5 Milliarden Euro. Ein Drittel gegenüber vor einem Jahr!
Das hat auch mit damals hohen Rohstoffpreisen zu tun. Unsere Profitabilität ist stabil. Wir passen jetzt die Fixkostenstruktur im Konzern an auf das tiefere Niveau und investieren stark.
Aber was ändern Sie fundamental, denn die 90-Prozent-Ökonomie kann dauerhaft drohen?
Wir sehen vier große Veränderungen in der Welt nach Corona. Ja, die Welt wird kleiner sein. Ob die 90-Prozent-Ökonomie dauerhaft sein wird, weiß ich nicht. Wir gehören mit unserer Prognose, dass die Krise zwei, drei Jahre dauern wird, zu den Pessimisten. Zweitens wird die Welt nicht mehr so global, sondern mehr in regionalen Blöcken agieren. Wir müssen in Europa, wo wir einen hohen Exportanteil haben, unsere Produktion zurückfahren und in Indien und China Kapazität aufbauen. Drittens: Wir wissen nicht, was wir nicht wissen. Die Welt ist so unberechenbar und volatil geworden, dass wir viel flexibler werden müssen. Entscheidungen müssen schneller getroffen werden, weniger im Vorstand, mehr in den Regionen, bei Kunden und Werken. Das ist ein Umlernen für alle Manager. Die vierte Veränderung ist: Viel mehr Digitalisierung! Digitale Lieferketten, Loslassen von Zeiterfassungen, Zusammenarbeit in Videokonferenzen - das geht jetzt alles. Wer das alles am schnellsten umsetzt, wird am besten dastehen.
Aber digitalisieren musste ja jeder schon vor Corona, auch Prozesse und Kosten optimieren. Sind seit Corona nicht völlig neue Rezepte in Industrie, Wirtschaft und Gesellschaft nötig?
Die Umsetzungsgeschwindigkeit und die Bereitschaft aller, das zu machen, ist heute größer. In Europa sind viele Industrien nur noch schwer weltweit wettbewerbsfähig, die kann man nicht ewig staatlich schützen. Aber wir haben fantastische Innovationen in allen Umwelttechnologien - Stichwort New Green Deal. Wir müssen es nur machen in Europa! Wir reden zu viel und gehen zu wenig mutig voran. Wir sollten mehr in junge Leuten investieren, ihnen die Freiheit und das Wagniskapital geben, um etwas auszuprobieren, auch einmal Pleite gehen und für das nächste, dann erfolgreiche Start-up zu lernen.
Die Jugend, die Generation Corona, erfuhr eine besonders komplexe Schulsituation. Wie muss Bildung künftig geschehen?
Bildung ist das wichtigste Gut eines Kontinentes mit wenig Rohstoffen. Das muss man endlich umsetzen und nicht nur Sonntagsreden darüber halten. Wenn in den Mittelschulen elf Prozent der Schüler am Ende nicht richtig rechnen und lesen können, müssen wir uns schämen! Meine Frau und ich haben mit einer Gruppe von Freunden am Anfang des Lockdowns mehrere hundert Computer für Schulkinder gekauft, die zu Hause keinen Computer haben. Bei den Lehrern brauchen wir eine Leistungsbeurteilung danach, was sie den Kindern an Kontakten und Internettools für Wissenserwerb ermöglichen, und nicht, welchen Lehrstoff sie abarbeiten. Das Dritte sind mehr Arbeitsmöglichkeiten für Junge und Risikokapital für Start-ups.
Glauben Sie, die Regierung hat diese drei Punkte erfasst?
Konzeptionell schon, aber es mangelt an der Umsetzung.
Zur Generation Corona gehören 64.000 junge Menschen zwischen 15 und 24, die arbeitslos sind. Wie kommen wir dem Problem bei?
Wir haben Tausende ungelöste Probleme, wir wollen eine CO2-freie Welt bauen und sind da in Europa besonders ambitioniert. Wir haben unglaublich viele engagierte, idealistische und interessierte junge Leute in Universitäten und in Ausbildung, die da mithelfen wollen. Geben wir Ihnen die Chance, das zu tun!
Wie sollten wir dafür Arbeit neu organisieren?
Vom Arbeitsmodell lebenslang in einer Firma oder ein zwei Wechsel sollten wir uns verabschieden und den jungen Leuten die Tore öffnen. Dass wir Arbeit immer noch nach Zeit pro Tageseinheit organisieren und bezahlen, davon sollten wir uns komplett verabschieden. Ich würde alle Arbeitszeitmodelle abschaffen. Es gibt gewisse Regelungen, die man aus Gesundheitsgründen einhalten muss. In einem Industriebetrieb sind Zwölf-Stunden-Schichten mit zwei Pausen dazwischen viel attraktiver für die jungen Leute als die meist praktizierten Acht-Stunden-Schichten. Damit können die Leute konzentrierter arbeiten. Vier Tage zwölf Stunden Arbeit, zwölf Stunden Pause und dann haben sie drei Tage frei. Für Leute mit Anspruch auf gut nutzbare Freizeit ist das besser.
Es gibt Forderungen nach kürzerer Arbeit bei gleichem Lohn.
Über diesen Unsinn aus den 1970er Jahren sollten wir nicht einmal diskutieren.
Da weniger zum Verteilen da ist: Sind Sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Das wird nie funktionieren. Die Jungen wollen sich mit mehr Selbstverantwortung verwirklichen.
Wie ernst nimmt die Industrie die für Klimaschutz mobilisierte Friday-for-Future-Jugend?
Ich bin sehr happy über diese Bewegung und ein sehr großer Sympathisant dieser radikal-ökologischen Zielsetzung. Wir arbeiten mit sechs großen Forschungsprojekten an der CO2-Senkung. Wir können den Rohstoff aus Abfällen unserer Kunden, als gewinnen.
Ad CO2: Brauchen wir noch innerösterreichischen Flugverkehr?
Luxus! Besser schnelle Bahn!
Der Corona-Anpassung griffen Sie in Trieben mit Zusperren vor. Wie haben so Regionen Zukunft?
Es ist traurig, sich vor die Menschen zu stellen und zu sagen: Es geht nicht mehr. Radenthein, Veitsch und Hochfilzen sind Beispiele, wie es eben schon gelingt. In Hochfilzen investieren wir 40 Millionen, in Radenthein 50 Millionen in das Digital Flagship plant. Da suchen wir 30 zusätzliche Lehrlinge natürlich aus der Region. Es können aber auch welche aus Ländern wie Syrien kommen, denen wir Sprachkurse zur Integration mit anbieten.
In Brasilien ufern Favelas aus. Corona trifft arme Schichten, arme Regionen besonders.
Traurigerweise leiden arme Bevölkerungen in Krisen immer mehr. Wir investieren in Brasilien 70 Millionen und machen dazu Community Investments mit sechs Prozent Social-Responsibilty-Budget. Hilfreich wäre, wenn das jeder macht.
Der Philosoph Peter Sloterdijk sagte, Krisen wie Corona oder einst die Pest würden in Europa auch eine „Poesie der Resilienz“ erzeugen, wo Gemeinschaftswille zur Überwindung der Krise sogar über individuelle Freiheiten gestellt würde. Sehen Sie das auch?
Ich bin genauso optimistisch. Ich habe im Lockdown Dutzende großartige Hilfsaktionen erlebt. Wir sind ein tolles Land, wo man aufeinander schaut. Es gab keine rassistischen Konflikte, die Leute sind zusammengerückt. Ich hoffe, dass wir uns auch nicht prügeln werden, wenn ein Impfstoff kommt.
Adolf Winkler