Siemens hat sich in der Coronakrise überraschend gut behauptet. Der Umsatz im dritten Quartal sank nur um fünf Prozent, das Ergebnis im fortgeführten Geschäft blieb sogar fast auf Vorjahresniveau, wie der deutsche Technologiekonzern am Donnerstag mitteilte. Verluste im Energiegeschäft, das Ende September an die Börse gebracht werden soll, halbierten den Konzerngewinn allerdings auf 539 Millionen Euro.
Der scheidende Vorstandschef Joe Kaeser sprach von einer "sanften Landung". Er rechne damit, dass Umsätze und Orders im vierten Quartal des Geschäftsjahres 2019/20 (Ende September) wieder besser ausfielen als im dritten. "Ich bin zuversichtlich, dass wir auch im vierten Quartal eine gute Leistung zeigen können."
Für das Gesamtjahr wagte Siemens heute aber keine Gewinnprognose. Der Jahresumsatz dürfte um drei bis fünf Prozent sinken. Aber die Höhe des Abspaltungsgewinns der Energiesparte sei noch nicht absehbar. Und wie sich eine zweite Coronawelle auf die weltweiten Lieferketten auswirken würde, sei völlig ungewiss, erklärten Kaeser und Finanzvorstand Ralf Thomas.
Aktie legt zu
Siemens habe die Krise im Vergleich zur Konkurrenz bisher jedoch gut gemeistert und die eigene digitale Transformation noch einmal beschleunigt. "Ich bin stolz und dankbar", sagte Kaeser. Die Börse reagierte positiv, die Aktie legte in einem schwachen Marktumfeld um bis zu 4,6 Prozent auf 117,20 Euro zu und näherte sich ihrem Jahreshoch vom Dezember. Seit Mitte März hat sich der Börsenwert des Konzerns verdoppelt.
Der Auftragseingang von Siemens sank im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 7 Prozent auf 14,4 Milliarden Euro, der Umsatz um 5 Prozent auf 13,5 Milliarden Euro. Das bereinigte operative Ergebnis der Industriegeschäfte stieg hingegen um 8 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro.
Automobilgeschäft schwach
Das Geschäft mit der Automatisierung in Schlüsselindustrien wie dem Auto- und Maschinenbau litt dabei zwar. Vorstand Roland Busch, der im Oktober operativ das Ruder im Konzern übernehmen und Kaeser als Siemens-Chef im Februar ablösen soll, erwartet hier kurzfristig keine Erholung. Neben Einsparungen wirkte sich aber vor allem das Geschäft mit Industriesoftware positiv aus: Die renditestarken Sparte legte um 10 Prozent zu. Auch das Geschäft mit intelligenter Infrastruktur "hat sich gegenüber dem zweiten Quartal deutlich verbessert", sagte Kaeser.
Für das Digitalisierungsgeschäft setzt Busch auf weitere Partnerschaften, wie etwa die jüngst mit SAP beschlossene Zusammenarbeit. Damit "helfen wir unseren Kunden, die digitale Vernetzung in ihren Unternehmen weiter zu beschleunigen", sagte er und gab ein Beispiel: Ein Autobauer könne Daten seiner digitalen Modelle mit Echtzeitinformationen aus der Lieferkette und Leistungsdaten aus dem realen Betrieb verknüpfen. "Wenn Probleme auftreten, etwa bei einem Zulieferer, kann die Lieferkette umgehend angepasst werden und die Fertigung kann weiterlaufen." Siemens setze in Zukunft noch stärker auf Partnerschaften, denn so "kommen wir schneller zu tragfähigen Lösungen".
Siemens Mobility bleibt im Konzern
Enttäuscht äußerte sich Kaeser über den Rückgang der Gewinnmarge bei der "etwas erfolgsverwöhnten Mobility"-Zugsparte. "Hier können wir aber wieder mit einer deutlichen Verbesserung im vierten Quartal rechnen". Busch betonte den gestiegenen Umsatz und Auftragseingang und den Milliardenauftrag der Deutschen Bahn für 30 neue ICE-Züge. Er fügte hinzu: "Aufgrund dieser insgesamt positiven Marktperspektiven und Entwicklungen unseres Mobilitätsgeschäfts bekräftigen wir, dass Siemens Mobility ein integraler Bestandteil der Siemens AG ist."
Wegen hoher Verluste beim Windanlagenbauer Gamesa sowie einer höheren Steuerquote brach der Nettogewinn von 1 Milliarde auf 539 Millionen Euro ein. Die von Siemens gehaltene Mehrheitsbeteiligung wird im Energiekonzern Siemens Energy aufgehen, der am 28. September in Frankfurt an die Börse soll. Siemens bleibe Ankeraktionär, "eine komplette Veräußerung ist nicht denkbar", sagte Finanzvorstand Thomas. Er bekräftigte auch, dass Siemens weiter 40 bis 60 Prozent des Gewinns als Dividende ausschütten werde.
Fokus auf Software
Die Zukunft von Siemens gehört dem Software-Geschäft - nicht nur in der Automatisierungssparte Digital Industries (DI), sondern auch in der Gebäude- und Infrastruktur-Technik (SI). "Wir werden uns natürlich weiter umsehen am Markt, was Akquisitionen angeht", sagte Busch. Die Ratingagenturen hatten allerdings zuletzt die steigende Verschuldung infolge des 16,4 Milliarden Dollar (13,8 Milliarden Euro) schweren Zukaufs der Medizintechnik-Tochter Healthineers aus Erlangen kritisiert, die den US-Rivalen Varian schlucken will. Für Kaeser ist die Übernahme ein Beleg für die Richtigkeit seiner Strategie, den Konzern aufzuspalten: "Ein derartiger transformatorischer Schritt (wäre) in der früheren Konglomeratsstruktur der alten Siemens AG nicht möglich gewesen."
Der nächste, kleinere Schritt soll im nächsten Jahr folgen: die Abspaltung der Getriebetochter Flender, die wie Siemens Energy an der Börse gelistet werden soll. Kaeser schließt aber nicht aus, dass das Unternehmen aus Bocholt vorher verkauft werden könnte, etwa an einen Finanzinvestor. "Wir haben einen Plan. Wenn jemand meint, er habe einen besseren Plan, hören wir uns das natürlich an."
Busch sagte: "Ich blicke mit großem Optimismus in die Zukunft und auf das neue Unternehmen Siemens." Am 1. Oktober "wird ein neues Kapitel für Siemens aufgeschlagen. Digital Industries, Smart Infrastructure und Siemens Mobility bilden ein Unternehmen, das seinen Kunden Spitzentechnologien anbieten kann und damit seinen Beitrag für die Gesellschaft leistet." Er übernimmt das Steuer mit einem neuen Vorstandsteam, dem Cedrik Neike als Digital-Industries-Chef, Matthias Rebellius als Smart-Infrastructure-Chef und Judith Wiese als Personalchefin angehören.