Was zählt, was bleibt? Peter Pelinka hatte in der Kleine-Zeitung-Reihe „Was zählt . . .“ Andreas Treichl zu Gast. Ab 2008 Chef der Erste Group, gilt der nunmehrige Aufsichtsratschef der Erste Stiftung als Gestalter an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. Unter den ÖVP-Chefs Erhard Busek und Wolfgang Schüssel war Treichl auch VP-Finanzreferent. Das Gespräch in Auszügen – Andreas Treichl über . . .
. . . die Frage, warum er nie Finanzminister geworden ist:
„Ich wollte in die Erste, das kollidierte mit anderen Jobs. Bankdirektor per se ist nichts Reizvolles, aber die Erste hat mich gereizt, weil sie als eine der wenigen Institutionen in Österreich nicht politisch besetzt war.“
. . . den Skandal in der Commerzialbank Mattersburg:
„Wenn es nicht so tragisch wäre für die Menschen, wäre das ein aufgelegter Burgenländerwitz. Es ist so peinlich, dass so etwas 2020 in Österreich passieren kann. Es ist ein Gesamtversagen und es ist unverständlich – gerade in einem Bereich, der so streng reguliert wird wie das Finanzwesen. Hier ist es seit 2008 zu massiven Verschärfungen gekommen. In der Regulierung wurden für kleinere Institute Ausnahmen gemacht, da man nicht dieselben Kontrollmechanismen verlangen kann wie von großen Instituten wie der Ersten oder Raiffeisen. Dass so eine Sache passiert, wird aber dazu führen, dass auch für Kleine die gleichen scharfen Kontrollen kommen werden – und auch kommen sollten.“
. . . den Skandal beim Finanzdienstleister Wirecard:
„Dass Para-Finanzinstitute, die keine Banken sind, wesentlich weniger kontrolliert werden, hat die Aufsicht übersehen. Das ist ein ganz großer Fehler, der berichtigt werden muss. Es ist ein großer Betrugsfall mit wahrscheinlich sophistizierter krimineller Energie. Im Unterschied zu Burgenland, dort war es ein einfach gestricktes Verhalten.“
. . . die Krise und was er jetzt als Bundeskanzler tun würde:
„Ich würde nicht so viel anders agieren. Man muss extrem acht geben zwischen realistisch sein und Panikmache vermeiden. Realistisch in dem Sinn, dass es in den nächsten Monaten nicht besser werden wird. Aber wir müssen im Hinterkopf haben, dass wir bis jetzt noch jede Krise überwunden haben. Nur wird diese Krise zu einer starken Disparität führen. Es gibt jetzt schon Gewinner, es gibt Branchen, die in der Zukunft profitieren werden (Pharma, Digitales). Es tritt der Unterschied zwischen Wohlhabenden und Ärmeren stärker in den Vordergrund. Und es gibt einige Branchen, die wohl jahrelang nicht mehr dort sein werden, wo sie 2019 waren.“
. . . den Streit ums EU-Budget und warum er sich für Zuschüsse anstatt für Kredite ausspricht:
„Ich kann Umsatzausfälle in einem Betrieb nicht durch Kredite finanzieren. Entweder eine Firma oder ein Staat schafft es, das Geld wieder hereinzuholen, oder man muss helfen. Aus europäischer Sicht halte ich es für vernünftig, den am härtesten von der Krise getroffenen Ländern durch Zuschüsse zu helfen – wenn man kontrolliert, wofür es ausgegeben wird.“
. . . Europa zwischen den Blöcken USA und China:
„Leider ist Europa in den letzten 20 Jahren stark zurückgefallen. In allen neuen Technologien gibt es keine einzige europäische Firma, die weltweit eine große Rolle spielt. Das ist neu und dramatisch und es hat unzählige Gründe. Bezeichnend ist, dass vom Marktwert her die größte Firma Europas Louis Vitton ist – Handtaschen und Luxusgüter. Es muss sich ändern. Wenn wir wollen, dass unsere Kultur, die Gott sei Dank anders ist als die amerikanische und die chinesische, eine Rolle spielt, dann müssen wir wirtschaftlich vorne sein. Dazu fehlt uns extrem viel, zum Beispiel ein wirklich starker Euro. Europa muss sich das Ziel setzen, so attraktiv zu werden, dass junge Menschen aus aller Welt hier arbeiten wollen. Weil sie das Leben hier gerne haben, die Bildung gut und die Chancen besser sind als woanders. Wir brauchen keine vereinigten Staaten von Europa, aber einen einheitlichen Wirtschaftsraum. Hier muss Europa schnell handeln.“
. . . Vermögensbildung in Zeiten von Nullzinsen:
„Das ist momentan extrem schwer, vor allem für Menschen, die kein Risiko eingehen können. Das ist eines der großen Probleme, das auf uns und die junge Generation zukommt. Vor 10, 20 Jahren waren auch Leute mit weniger Verdienst in der Lage, Vermögen zu bilden. Das geht heute nicht mehr, das kann die Politik aber nicht einfach hinnehmen. Ich kritisiere, dass wir in der Politik im Wesentlichen zwei Ausrichtungen haben. Die einen wollen Vermögen bewahren, die anderen verteilen, aber keiner überlegt ernsthaft, was zu tun ist, damit Vermögensbildung wieder möglich ist. Ich glaube, wir müssen die Steuern für junge Menschen senken, damit sie die Möglichkeit haben, durch höhere Einkommen so viel Kapital aufzubauen, um sich verschulden zu können.“