Der 15. Juli war der Tag, an dem die Commerzialbank für immer geschlossen blieb. Über Nacht hatte die Finanzmarktaufsicht dem Institut das Geschäft zugedreht, in der Früh kam es in den Nachrichten und im Ort daraufhin zu Szenen der Angst.
„Es strömten Kunden herbei, die in die Bank wollten und an der Tür rüttelten“, erinnert sich eine Augenzeugin an das Bild, das sie von ihrem Geschäft aus beobachtete.
Wie eine Bankzentrale wirkt das hellrosa gefärbte Haus auf der anderen Seite der Judengasse nicht. Parterre, erster Stock, ein Giebeldach – so steht es eingezwängt zwischen lauter Gebäuden, die höher sind. Jetzt verdecken Vorhänge den Blick durch die Fenster der Auslage. Innen kleben Zettel auf den Scheiben, darauf sind karge Informationen der Einlagensicherung und die Zutrittszeiten zu den Schließfächern zu lesen. Die Adresse ist verlassen, der Ort wirkt vom Geschehen wie überrumpelt.
Faß ohne Boden
„Das hat niemand erwartet. Die Bank war doch etabliert“, erklärt die Frau, eine Blumenhändlerin.
Kein Mensch wollte daran denken, dass die Commerzialbank ein Fass ohne Boden sein könnte. Mindestens zehn Jahre lang sollen Bilanzen getürkt, Guthaben und Kredite fingiert und auf diese Weise mutmaßlich 400 Millionen Euro versenkt worden sein. Ermittelt wird, es gilt die Unschuldsvermutung, wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Untreue.
Der Gönner
Martin Pucher? In der 7400-Einwohner-Stadt lässt ihn seine Fangemeinde nicht einfach fallen. „Ich bin mit ihm in die Schule gegangen“, erzählt ein Mann im T-Shirt der Feuerwehr. „Nie hätte ich ihm das zugetraut.“ Ein Satz, den man in Mattersburg oft zu hören bekommt, wenn man nach dem gestürzten Bankvorstand fragt. Ein Gönner sei er gewesen, lautet die häufigste Zuschreibung. Nicht von oben herab. „Hilfsbereit war er. Er hat alle unterstützt, die Vereine, die Feuerwehren und die Handelsakademie. Und für die hat er die Kontoführung in der Bank gratis gemacht“, berichtet die Frau des Feuerwehrmannes.
Beide hatten (wie viele im Ort) Erspartes in der Commerzialbank liegen – aber nicht mehr als jene 100.000 Euro, die von der Einlagensicherung gedeckt sind. Bis vor Kurzem war die Handelsakademie sogar mit der Fahne der Commerzialbank beflaggt, jetzt wehen vor dem Schulgebäude nur noch die Banner von Europa, Österreich und dem Burgenland. Ein vierter Mast ist leer – wohl ein Ausdruck der Enttäuschung und Distanzierung vom Mäzen.
„Es wird niemand Schlechtes über ihn sagen“, sagt eine andere Mattersburgerin, „aber was passiert ist, lässt einen sprachlos zurück.“
Wirtschaft in argen Nöten
Nichts Schlechtes? Das Bild hält nicht. Das Institut, das sich 1995 aus dem burgenländischen Raiffeisensektor gelöst hatte, verwuchs im Lauf der Jahre so stark mit Stadt und Region, dass das jähe Ende die lokale Wirtschaft in arge Nöte bringt. Bis zu 60.000 Kunden soll die Bank gehabt haben. Obwohl an Filialen anderer Institute in Mattersburg kein Mangel herrscht. „Es war die Bank mit dem besten Service“, begründen Einheimische, warum sie die Commerzialbank wählten.
„Kein Kommentar!“ ist oftmals der einzige Kommentar geschädigter Unternehmer. Mit Nachsätzen aber: „Für den Bezirk ist das eine wirtschaftliche Katastrophe. Schlimmer als Corona.“ Oder: „Ich sage nichts, es sind ohnehin alle verunsichert.“
Wirtschaftlich ist Mattersburg eine typisch österreichische Bezirksstadt, die von Mittelständlern, von Gewerbe, Handwerk, Wein, Landwirtschaft lebt – und von Felix Austria, dem zur norwegischen Gruppe Orkla ASA gehörenden Kechup- und Sugohersteller. Und nicht zuletzt vom seit längerem wichtigsten Sportverein des Burgenlandes, vom SV Mattersburg.
Der Revisor
„Martin Pucher ist ein Mensch mit einem großen Tatendrang. Das hat er mit dem SVM bewiesen“, sagt ein Mann, in einem der Gastgärten die causa prima diskutierend. Zwar will er (wie alle) seinen Namen nicht sagen, aber als ehemaliger Innenrevisor einer Bank verstehe er etwas von der Sache.
Der fußballerische Aufstieg des Vereines habe Pucher nach oben gebracht, sagt er. „Das löste einen Zuschauerboom aus, die Kassen waren prallvoll und man konnte eine Zeit lang großzügig sein.“ Die Stadt erhielt ein neues Stadion, die Nachbarorte adrette Bankfilialen. Die Trennung von Raiffeisen sei sogar mutig gewesen.
„Mattersburg hat Pucher viel zu verdanken. Aber der Boom endete wieder. Und was dann an Malversationen passiert ist, ist schrecklich und unverzeihlich.“
"Es gibt Schuldige"
Andererseits will der pensionierte Fachmann nicht einsehen, dass die Manipulationen nicht früher entdeckt worden sind. „Wo waren Revision, Aufsichtsrat, die Wirtschaftsprüfer, Finanzmarktaufsicht und Nationalbank? Die Scheingeschäfte wären zu erkennen gewesen. Da gibt es Schuldige, die man nicht straflos lassen kann.“ Bekanntlich haben sich mehrere Anwälte auf die Wirtschaftsprüfer der TPA eingeschossen. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil kündigte am Freitag eine Amtshaftungsklage gegen Staatsanwaltschaft und Finanzverwaltung an.
Im sonst sehr ruhigen Mattersburg brodelt es. Gerüchte machen die Runde, wer etwas gewusst haben und was noch alles aufgedeckt werden könnte. Ob es stimmt, dass Martin Pucher nun die Aufklärung unterstützt, wie sein Anwalt behauptet? Sein Wohnhaus im nahen Hirm ist verlassen, kein Auto in der Einfahrt, die Rollos sind unten. Die einzige Bank im Ort, die Commerzialbank, ist zu und der Bankomat außer Betrieb. Dafür gibt es in der Schenke nur ein Gesprächsthema.
Die Baulücke
In Mattersburg klafft vorerst eine große Lücke, eine Baulücke nämlich. Im Zentrum gegenüber der Volksschule sollte das von Pucher und der Stadt geplante Impulszentrum gebaut werden, ein Millionenprojekt mit neuem Rathaus, Büros, Geschäften, Wohnungen – und einer standesgemäßen Zentrale für die Commerzialbank. Eine alte Häuserzeile wurde dafür abgerissen, hinter dem Bauzaun wuchert auf dem tausende Quadratmeter großen Areal das Unkraut. Was dort nun von wem errichtet werden wird, weiß gerade niemand. Sicher ist nur, eine neue Bankzentrale wird es nicht sein.